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NEUES LEBEN FÜR DIE CITY

Viel ist derzeit die Rede von der Zukunft der Innenstädte. Man spricht über Umwälzungen und Transformationen, von Herausforderungen und Chancen. Fakt ist, dass sich einiges ändern wird. Wir haben uns gefragt: Welche Rolle spielt dabei die Kultur? Darüber haben wir mit Alexis Angelis gesprochen. Der renommierte Architekt ist mit dem „Core“ und dem „Forum Zukunft Stadt“ zu einem Taktgeber der Debatte geworden.


Beispielhafte Lösung: Das Core in der Heiligengeiststraße ist von einem Kaufhaus zu einem urbanen Bezugspunkt geworden. Auch die Kultur hat dort eine Nische gefunden. (Bild: Ulf Duda)

Über Jahrzehnte war es eine unumstößliche Gewissheit: Die deutschen Innenstädte waren zum Einkaufen da! Zunächst noch mit Autoverkehr vor der Haustür der kleinen Läden, später als Fußgängerzone mit großflächigen Konsumtempeln, die den „Einkaufsbummel“ zum Ritual erhoben. Der Fokus lag dabei nicht auf der Aufenthalts-, sondern auf der Einkaufsqualität.


Dieses Naturgesetz scheint nun - nach gerade einmal sechzig Jahren - langsam an sein Ende zu kommen. Das Internet hat sich als praktischere und günstigere Alternative zu vielen Angeboten erwiesen, einstige Platzhirsche wie Galeria oder C&A geraten in Schieflagen oder Insolvenzen. Beide haben ihre großen Filialen in Oldenburg bereits geschlossen oder beabsichtigen, dies zu tun. Die Innenstadt würde insbesondere mit Galeria einen bisher als unumstößlich und unvergänglich wahrgenommenen Faktor verlieren, der eine weitere klaffende Lücke hinterließe. Die Frage ist nun: Wenn das Kaufhaus nicht mehr funktioniert - was wird dann aus den Innenstädten?



Die neue Stadtkultur


Genau das haben wir Alexis Angelis gefragt. Der 52-jährige Architekt ist in den letzten Jahren zu einem überregional gefragten Gesprächspartner geworden, wenn es um den Wandel in den deutschen Fußgängerzonen geht. Das hat zum einen mit seinem Vorzeigeprojekt „Core“ zu tun, das er in der Oldenburger Heiligengeiststraße realisiert hat. Dabei hat er einen traditionellen Handelsstandort - ursprünglich für Hertie, zuletzt für Spiele-Max - in eine neue, zeitgemäße Nutzung überführt. Dafür hat er das Bestandsgebäude nicht etwa abgerissen, sondern umgebaut - und dabei gezeigt, welches Potenzial die offene Architektur der ehemaligen Kaufhäuser haben kann.


Passant:innn passieren ein Schild mit der Überschrift "Eine Innenstadt für alle" in den Fußgängerzone von Oldenburg
Eine für alle: Die Stadtverwaltung teilt das Ziel, die City attraktiv gestalten zu wollen - auch für potenzielle Mieter:innen und Investor:innen. (Bild: Kulturschnack)

Zum anderen hat Alexis mit dem „Forum Zukunft Stadt“ ein erfolgreiches Vortrags- und Talk-Format mit Expert:innen aus Städten wie Wien oder Utrecht eingeführt. Hier sollen Wege aufgezeigt werden, wie man dem Wandel begegnen und lebenswerte Städte gestalten kann. Alles easy also? Nicht ganz, wie sich in unserem Gespräch zeigen sollte.



 


Alexis, werfen wir mal einen Blick auf die Innenstadt. Wer da in den letzten Wochen oder Monaten durchgelaufen ist, spürt sofort, dass etwas passiert. Was genau das ist, könnten vermutlich nur die Wenigsten in Worte fassen. Wie fällt dein fachlicher Blick auf die City aus? Was sind ihre Herausforderungen?


Das ist tatsächlich ein Thema, das uns sehr beschäftigt. Der Wandel ist quasi systemisch, er ist auch disruptiv, wie man so schön sagt. Wir beobachten derzeit dass ein Weg, wie wir ihn jahrzehntelang kannten, offensichtlich an sein Ende kommt. Und deshalb glaube ich, dass es nicht damit getan ist, viel Geld in bestimmte Dinge zu stecken, um sie am Leben zu halten - wie zum Beispiel Galeria. Wir müssen erkennen, dass sich strukturell etwas verändert und dass es neue Lösungen braucht.


Das betrifft ganz verschiedene Aspekte, die eine Stadt ausmachen: Das ist Kultur, das sind Gebäude, das sind Menschen, das ist Handel. Die ganzen Faktoren zusammen müssen sich neu sortieren und in eine neue Hierarchie begeben.


Architekt Alexis Angelis aus Oldenburg
Gefragter Gesprächspartner: Architekt Alexis Angelis aus Oldenburg. (Foto: Ulf Duda)

Das hieße also, der Handel ist nicht mehr automatisch der Platzhirsch der Fußgängerzone. Wie konnte es dazu kommen?


In den letzten Jahrzehnten wurde alles dem Handel untergeordnet - und zwar in einer Form, die ab den 1960er Jahren mit der Entwicklung des Kaufhauses immer großteiliger wurde. Damit wurde die traditionelle lebendige Kleinteiligkeit der Innenstadt in die Hülle eines „synthetischen Ganzen“ übertragen. Bis zu einem gewissen Grad hat das lange funktioniert, auch weil es keine Alternativen gab. Die gibt es heute aber.


Das ist ein ganz tiefgreifender struktureller Wandel. Der ist natürlich getrieben von der Digitalisierung, die immer stärkere Auswirkungen auf den klassischen stationären Handel hat. Die Pandemie hat den Prozess dann nochmal beschleunigt und verstärkt. Der Trend ist aber nicht dadurch entstanden und auch nicht neu.



Unter welchen Schwerpunkten betrachtet man die Innenstadt denn jetzt? Muss sie baulich verändert werden? Oder geht es eher um eine andere Nutzung?


Ich benutze gerne das Bild der Programmierung: Die Orte und die Stadt müssen neu programmiert werden. Wie ein Computer, bei dem das Betriebssystem nicht mehr gut läuft: Das muss runter und es muss was Neues aufgespielt werden. Ich betrachte das tatsächlich auch als stadtkulturelles Phänomen und ich glaube, dass es durchaus schon Ahnungen gibt, wohin die Reise geht.


Die Innenstadt muss ein Lebensort sein, ganz bunt durchmischt - und dafür müsste eigentlich vieles von dem wiederkommen, was es schon mal gab.

Was macht denn die kleine italienische Stadt so schön? Da leben Menschen. Dann ist jemand auf dem Balkon und hängt die Wäsche raus. Unten ist eine kleine Bar, daneben ist ein kleiner Laden und alle unterhalten sich auf der Straße. Wir fühlen uns da wohl. Unsere deutsche Realität sah aber anders aus, hier ging es nur um Verkaufen. Weil die Ketten das günstiger umsetzen konnten, haben sie sich im Verdrängungswettbewerb durchgesetzt und sind dabei größer und größer geworden. Jetzt ist diese Entwicklung plötzlich gebremst, weil man Dinge, die weitgehend austauschbar sind, einfach online bestellen kann - von noch größeren, noch günstigeren, noch schnelleren Anbietern. Aber: Dadurch entstehen wieder Freiräume, weil Kaufhäuser wie C&A und womöglich auch Galeria leer stehen.


Das ehemalige C&A-Gebäude in der Innenstadt von Oldenburg in Niedersachsen
Für die Zukunft zu groß: Die ehemalige C&A-Filiale steht schon lange leer. Nun werden die Flächen in Teilen vermarktet. (Bild: Kulturschnack)

Man kann sich natürlich wünschen, dass jemand kommt und die Gebäude 1:1 weiter nutzt. Aber wenn dieser jemand nicht kommt, muss man Alternativen zulassen. Und plötzlich ist Raum für andere Dinge da, zum Beispiel für Wohnen, für Leben und Arbeiten in anderer Form und - wie wir es im Core gemacht haben - sogar für Räume, die der Gemeinschaft offenstehen. Und die bringen wieder den Faktor Leben rein. Und dieser „Faktor Leben“ ist notwendig für eine funktionierende Innenstadt. Wenn Menschen da sind, will sich auch Gastronomie ansiedeln. Und wenn da viele Menschen sind, dann will sich auch wieder ein kleiner Laden ansiedeln. Insofern erwarte ich, dass sich etwas verändert. Und das Positive ist, dass die Chance da ist, den Menschen ins Zentrum zu rücken und zu fragen: Wie gestalten wir Umfelder lebenswert und attraktiv? Denn heute haben die Menschen und die Kund:innen nun mal die Wahl. Wenn das Einkaufserlebnis im Internet besser ist, dann werden sie das Internet wählen.



Die dominante Rolle des Handels verändert sich also, für entstehende Leerstände muss man sich neue Nutzungen und kreative Lösungen überlegen. Muss man also die ganze Stadt neu erfinden?


Nein, im Gegenteil. Ich glaube, dass die Innenstädte - in Oldenburg und anderswo - ein großes Potenzial haben, weil sie räumlich gefasst sind. Man hat schöne Strukturen, in denen man sich gut aufhalten kann. Natürlich braucht es bauliche Anpassungen. Zum Beispiel entstehen aus der Fläche eines Kaufhauses mit mehreren tausend Quadratmetern dann kleinere Flächen oder in den jeweiligen Etagen passieren verschiedene Dinge. Das Allerletzte, was wir jetzt tun müssten, wäre eine Aufhebung der Fußgängerzone, weil sie nicht mehr funktioniert und die Rückkehr des Autoverkehrs.


Die aktuelle Situation der Innenstädte ist nicht dadurch entstanden, dass sie schlecht erreichbar wären, sondern dadurch, dass die Konzepte nicht mehr tragen und sie eine neue Konkurrenz bekommen haben.

Eine historische Ansicht der Stadt Oldenburg
Bekam im Lauf der Zeit einige Updates: Die Oldenburger Innenstadt. (Bild: Stadtmuseum Oldenburg / Kulturschnack)

Ich glaube, dass die Aufenthaltsqualität der Innenstadt der Schlüssel ist. Es kann sein, dass man der Gemeinschaft dafür mehr zurückgeben muss, also öffentliche Freiflächen. Das kann ein Park sein oder eine nutzbare Spielfläche, die auch für Events geeignet ist. Etwa nach dem Prinzip: tagsüber Sandkasten, abends Beachvolleyball-Platz. Wir müssen Anziehungskraft generieren und dafür müssen wir den Erlebnisort Innenstadt ganzheitlich denken. Also nicht nur baulich, nicht nur handelsmäßig, sondern auch kulturell - zusammen mit einer Kulturetage, mit den Staatstheater, mit der freien Szene. Wenn wir uns vorstellen, wir laufen durch eine Innenstadt, wo jeden Freitagnachmittag z.B. kuratierte Konzerte stattfinden, dann ist das ein Ort, wo die Leute vielleicht auch gezielt herkommen, weil sie wissen: Das hat Aufenthaltsqualität, ich habe Erlebnischarakter und nebenbei kann ich was essen und trinken. Und das macht mir Lust, etwas zu kaufen, das ich beim Flanieren sehe.


Das Narrativ verändert sich also. Die Leute kommen nicht mehr in die Stadt, weil sie müssen. Wir müssen dafür sorgen, dass sie kommen wollen.


Bei diesen Gedanken spielt der öffentliche Raum eine wichtige Rolle. Dort herrscht häufig ein Konsumzwang, weil die Sitzgelegenheiten von Cafés und Restaurants bereitgestellt werden. Unverbindliche Aufenthaltsorte sind in vielen deutschen Innenstädten Mangelware. Muss man eventuell auch mal ein Gebäude abreißen, um neuen Raum zu schaffen?


Der Konsumzwang ist ein interessantes Thema. Das Kaufhaus war eine künstliche Welt, die nur auf Konsum ausgelegt war. Im Grunde sollte man da gar nicht sein, wenn man nicht konsumiert. Das ist ein Modell von gestern. Natürlich spielen wirtschaftliche Aspekte weiterhin eine Rolle, da sollten wir uns nichts vormachen. Wir müssen aber den öffentlichen Raum aufwerten und der Gemeinschaft mehr Raum geben. Das ist ein wenig so wie in einer nachhaltigen Landwirtschaft, wo man ein Feld auch mal ein paar Jahre still legt, weil dann später mal was drauf wächst, was gesund ist und uns gut tut. Das heutige Core war urspürnglich ja auch ein reiner Konsumbereich, wo mit jedem Quadratmeter maximiertes Geld verdient werden sollte. Wir haben das geöffnet und sagen: „Kommt bitte her, haltet euch auf und belebt diesen Ort.“


Zwei Baustellen in der Achternstraße in Oldenburg
Umgestaltung statt Abriss: Vorhandene Substanz weiter zu nutzen, ist der nachhaltigere Weg, findet Alexis. (Bild: Kulturschnack)

Aber um auf deine Frage zurückzukommen: Muss man was abreißen? In Oldenburg würde ich sagen: eher nicht. Wir sollten die Ressourcen nutzen, die wir haben. Und als Berlin-Rückkehrer würde ich behaupten, Oldenburg mangelt es nicht an Ruhezonen. Es ist hier nicht so dicht, dass man nicht atmen kann. Wir haben einen riesigen Schlossgarten, wir haben das Eversten Holz. Und ich genieße auch die Räume in der Stadt. Der Herbartgang, der Rathausmarkt - das sind tolle Orte. Die sind ja deshalb schön, weil sie räumlich gefasst sind. Oder der Waffenplatz nach dem Umbau: Man kann darüber diskutieren, ob das jetzt optimal gelöst ist. Aber wenn ich im Sommer rausschaue, dann sehe ich dort Wasserspiele, durch die Kinder flitzen. Ich sehe Leute in den Cafés sitzen oder sie stehen auf dem Platz zusammen und klönen. Insofern glaube ich, wir müssen dafür sorgen, dass wir Inhalte neu programmieren - mit Themen, die Leben erzeugen, die einen Grund dafür geben, da hinzugehen. Es wäre aus meiner Sicht auch die Aufgabe einer Kommune, dafür zu sorgen, dass solche Dinge möglich werden.


BUNDESWEITES THEMA DIE KULTUR ALS CITY-RETTER? Nicht nur in Oldenburg richtet sich der Blick auf die Innenstadt. In Ausgabe 184 der Kulturpolitischen Mitteilungen beschäftigt sich die KuPoGe intensiv mit der Lage und Zukunft der deutschen Innenstädte.

Über insgesamt 24 Seiten hinweg beschäftigen sich verschiedene Redakteur:innen und Gastautor:innen mit der „Krise der Innenstädte“, unter ihnen Sören Bartol, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen. Dabei wird unter anderem die Frage gestellt, inwieweit die Kultur Beiträge zu einer zukünftigen Stadtentwicklung leisten kann und inwifern Baukultur und Kunst bei der Bewältigung der Krise helfen können. Ein deutlicher roter Faden durch verschiednen Beiträge ist jedoch die Feststellung, dass die Innenstädte multifunktionaler werden und dafür einen Wandel durchlaufen müssen. Diese Sicht korrespondiert sehr genau mit den Aussagen von Alexis Angelis. Wer nach unserem Interview also weiteren Vertiefungsbedarf hat, dem seien die „Kulturpolitischen Mitteilungen 184“ ans Herz gelegt.


Was es in Oldenburg relativ wenig gibt, sind kleine Plätze für spontane Nutzungen. In anderen Städten sieht man etwa an Weggabelungen urbane Keimzellen. Da kann man Stühle hinstellen, da kommen Menschen zusammen, da passiert was.


Wenn man durch die Innenstadt geht, dann gibt es durchaus Räume, die entsprechendes Potenzial haben, etwa den Herbartgang. Da ist eigentlich ein kleiner Stadtplatz. Wenn da zwei Cafés wären, dann hätten wir da einen der schönsten Räume überhaupt. Dann geht man durch die Burgstraße, die hat sich schön entwickelt. Da war früher gar nichts, heute gibt es dort verschiedene Gastronomie, kleine Läden. Diese Räume sind da, manchmal braucht es nur die Aufwertung einer Straße oder jemand stellt drei Tischchen vor seinen Laden und fertig ist genau der städtische Ort, den wir lieben. Wir müssen also nichts wegreißen, aber wir müssen etwas in die Räume hineindenken. Als Stadt könnte man natürlich gucken, wo es diese kleinen Potenziale gibt und dann überlegen: Wo sind eigentlich positive Kräfte, wie können wir sie unterstützen, wie können wir ihnen noch mehr Kraft geben?


Wenn man an die potenziellen Nutzungen denkt, dann ist man schnell bei der Kultur. Aber wenn man jetzt an die Stadt der Zukunft denkt, welchen Platz nimmt sie ein? Braucht die Kultur spezielle Orte? Oder ist sie weiterhin diejenige, die dahin geht, wo gerade was frei ist?


Die Kultur hat die Kraft und Kreativität, sich Orte zu „nehmen“. Ich habe lange in Berlin gelebt, da hat mich genau das fasziniert. In den späten Neunziger Jahren und den frühen Zweitausendern gab es noch überall Lücken und Leerräume, die wurden dann gefüllt.


Die Kultur ist eben anders als etwas Kommerzielles. Das wird oft mit persönlichem Einsatz gemacht, von Menschen, die das absolut leben. Dadurch entsteht eine unheimliche Kraft.

Wenn wir auf Oldenburg schauen, dann ist das Theater Laboratorium ein gutes Beispiel. Mit Pavel ist da jemand gekommen, der mit Liebe seinen Ort entwickelt hat und plötzlich ist da ein Anziehungspunkt in der Stadt, der nicht mehr wegzudenken ist. Oder nehmen wir die Kulturetage vor vierzig Jahren, da haben engagierte Menschen aus dem Nichts einen Kulturort geschaffen. Solche Beispiele zeigen eigentlich, dass die Kultur agil und stark ist und genau dieser Wegfinder, den man braucht. Als Stadt sollte man Ermöglicher sein. Mal geht es um Zwischennutzungen, mal geht es um den öffentlicher Raum, aber immer geht es um eine Offenheit für Leute mit Ideen. Das ist wichtig. Wir haben mit dem Core selber die Erfahrung gemacht. Wir wollten eine Plattform schaffen, wo Menschen hinkommen, wo Kultur hinkommt, wo Innovation hinkommt. Es gibt Leute, die Ideen haben und die nach Möglichkeiten suchen, sie umzusetzen. Denen muss man helfen und die muss man miteinander verknüpfen.



Vorher und nachher: Auch das erfolgreiche Core war anfangs nur eine leere Gebäudehülle mit sehr viel Platz, nun ist es ein urbaner Treffpunkt geworden. (Bilder: Sergej Wismann (vorher), Ulf Duda (nachher))


Du deutest es gerade an: Kultur spielt im Core eine wachsende Rolle, da ist inzwischen ein eigener Spielort entstanden. War das von Anfang an mitgedacht oder ist dieser Schwerpunkt erst im laufenden Prozess entstanden?


In erster Linie ging es darum, einen Ort der wirtschaftlichen Innovationskultur zu schaffen. Und zwar deshalb, weil wir - als Standort - kreative Unternehmen brauchen, um erfolgreich zu sein. Das war der erste Ausgangspunkt. Und dann haben wir gefragt. Was zieht eigentlich die Menschen an, auch in anderen Städten? Weshalb war ich begeistert von Berlin? Warum geht jemand anderes nach Amsterdam? Ganz einfach: Weil es dort tolle Orte gibt, tolle Räume, tolle Angebote, tolle Kultur, tolle Restaurants. Und wir haben dann ganz bewusst gesagt: Das Erdgeschoss des Core wird ein Ort des Treffens, eben eine Markthalle, wo wo man schwellenlos hinkommen soll - und wo eine Bühne steht, auf der etwas passieren kann. Die Kultur haben wir tatsächlich von Anfang an als Baustein gesehen. Sie zieht die Leute an, erst recht im Zusammenspiel mit einer coolen Location. Genau das wollten wir generieren.


Das Core ist deutschlandweit zu einem Vorzeigemodell für die Nachnutzung eines Kaufhauses geworden. Wie würdest du reagieren, wenn hier in Oldenburg jemand sagt: Wir wollen auch noch einen Akzent in die Richtung setzen und kopieren einfach das Prinzip?


Das Core ist keine Schablone, die auf jedes leerstehende Gebäude passt. Ich denke, da müsste man schon anders denken. Wenn jetzt Galeria schließen sollte, müsste man schon neue Ideen haben. Ich glaube aber, dass man bestimmte Mechanismen oder Systematiken, die wir als Entwickler reingesetzt haben, übertragen kann. Nämlich: die Orte erst mal zu beleben, bevor ich von ihnen leben kann. Genau das passiert ja gerade in ganz Deutschland. Wir sehen, dass alle Städte das gleiche Problem haben und man muss für jeden Fall das richtige Rezept finden. Und meist ist es eine gute Idee, diejenigen Dinge aufzugreifen, die bereits da sind.





Welche könnten das zum Beispiel sein?


Hier in Oldenburg drängt sich zum Beispiel das Staatstheater auf, etwa für Proben oder Experimente, aber warum nicht auch für Auftritte? Oder die Universität mit der European Medical School und mit OFFIS. Auf der Freifläche des ehemaligen Finanzamts könnte man sich neue Hörsäle vorstellen, die abends für die Erwachsenenbildung genutzt werden können. Dadurch würde enorme Bewegung entstehen, viele Leute würden zusammenkommen, es wären einfach Menschen da. Dann entstehen vielleicht kleine Shops drumherum, mit dem Pferdemarkt könnte es einen regen Austausch geben, alles kriegt eine neue Kraft. Mit der Musikschule hat die Stadt ja einen guten Schritt gemacht und in die Richtung könnte man weiterplanen. Wenn ich etwa an Galeria denke: Warum können Teile davon nicht eine Optionsplattform für die Innenstadtgymnasien sein? Dann müsste sich nicht jede Schule auf dem eigenen Gelände erweitern und auch den letzten Quadratmeter ihres Schulhofs ausnutzen. Für die City kann ja nichts Besseres passieren, als wenn hunderte Schüler:innen jeden Morgen an so einen Ort strömen und nachmittags wieder raus. Da freuen sich die Bäcker drumherum und und die Cafes wahrscheinlich auch.


Es ist so viel möglich, wenn wir die Ressourcen klug nutzen und gut managen. Überall gibt es Bedarfe.

Schüler:innen der Musikschule der Stadt Oldenburg während des Umbaus
Positives Beispiel: Die Musikschule der Stadt Oldenburg hat eine zentrale Innenstadtimmobilie übernommen - und damit den Straßenzug belebt. (Bild: Stadt Oldenburg)

Du sagst es: Die Musikschule hat gezeigt, dass so eine Nutzung für Belebung sorgt. Die Baumgartenstraße war nie besonders begehrt, durch die Veränderungen wude sie sehr aufgewertet. Es ist einer dieser kleinen Stadtplätze entstanden...


Da sind wir wieder beim Stichwort Programmierung. Sie beantwortet die Frage, warum jemand dorthin gehen und auch bleiben sollte. Erst wenn Menschen da sind, lohnt es sich auch wirtschaftlich wieder. Heute muss niemand mehr irgendwo hinfahren, um Schuhe zu kaufen. Heute sagt man: Ich möchte gerne einen Kaffee trinken oder ein Eis essen und dann kann ich nebenbei Schuhe kaufen. Ich möchte eigentlich eine schöne Zeit verbringen und das ist der Grund, warum ich in die Stadt gehe. Die Baumgartenstraße ist tatsächlich ein schönes Beispiel, wie plötzlich Leben an einen Ort gekommen ist.


Viele Kulturschaffende sehnen sich nach besonderen Orten. Um sowas nutzen zu können, braucht man aber Offenheit gegenüber Ideen. Glaubst du, wir brauchen mehr davon? Sollten wir öfter mal den sprichwörtlichen Ballon steigen lassen, um zu sehen, ob er fliegt?


Auf jeden Fall. Wir haben in den letzten Jahren gesehen, dass aus der Szene heraus großartige Dinge entstanden sind. Zum Beispiel Ein außergewöhnliches Ereignis auf dem Gelände des Alten Klärwerks. Oder Einfach Kultur, erst in der Bahnhofstraße, jetzt im GleisPark. Man sieht daran, dass es eine Szene gibt, die Kraft, Potential und Lust hat, die sich auch immer irgendeine Nische sucht. Für Einfach Kultur haben sie aus der Not heraus erstmal einen Hinterhof genommen. Und warum nicht? Für den GleisPark wurde dann später ein ungenutztes Grundstück zwischen den Gleisen beim Hauptbahnhof gefunden. Das sind ja im Grunde diese Testballons - und sie fliegen.




Großes Potenzial: Kulturveranstaltungen wie Einfach Kultur, Ein außergewöhnliches Ereignis und der Theaterhafen funktionieren auch - oder gerade - an ungewöhnlichen Orten. (Bilder: Kolja Zinngrebe, Ulf Duda, Stephan Walzl)


Ein anderer Fall ist der Theaterhafen. Der war ein super Beispiel dafür, wie man einen Ort durch temporäre Aktionen testen und beleben kann. Wir hatten so etwas vor vielen Jahren auch für das Bahnhofsviertel vorgeschlagen, als Antwort auf die Frage: Wie kann man das beleben? Und wir haben gesagt: Lass uns ein Festival machen, das zwei Wochen lang diesen Ort erlebbar macht. Genau das ist mit dem Theaterhafen gelungen - weil aus der Not heraus eine kreative Lösung gefunden wurde. Das musste die Stadtplanung nicht entwickeln, sondern die Kreativen haben diese Lösungen gefunden. Als Kommune muss man verstehen, dass damit Werte geschaffen werden. Das Staatstheater hat den Ort wertvoll gemacht und hat Leuten den Kopf geöffnet. Viele haben dann gesagt: „So habe ich den Ort noch nie gesehen. Da würde ich auch wohnen oder ein Café aufmachen wollen.“


Das habe ich immer wieder erlebt, auch in Berlin, dass irgendwelche jungen Arbeitslosen, Architekten:innen oder Künstler:innen ein Cafe aufgemacht und daneben eine Brachfläche genutzt haben. Und dann wurde das erst zum Ort.

Eine Kommune muss also nicht alle Dinge selber erfinden oder vorgeben, sie muss oft nur ein schneller Ermöglicher sein. Die Ideen sind ja da. Sie kann dann fragen: Was kann ich jetzt tun, um die Fäden zusammenzuführen und der Initiative Kraft zu geben? Am Ende ist das eine ideale Sache für die Stadt, weil sie ja nur ein Drittel der Arbeit machen muss. Sie muss nur helfen, dass die anderen freiwillig arbeiten.


Neues Wohngebäude in der City der Stadt Oldenburg
Neue Nutzungen: Auch das Wohnen wird in der City (wieder) ein größeres Thema werden, wie hier im Abraham. (Bild: Kulturschnack)

Es ist häufig also auch eine Frage des Mindsets. Gibt es etwas, von dem du sagst: Das würde uns noch fehlen, damit wir hier so richtig Bewegung in diesen Prozess kriegen?


Ja, klar. Deshalb habe ich ja das Forum Zukunft Stadt initiiert. Ich wollte auch Impulse von außen hier reintragen und herausfinden, wo wir noch lernen können. Ich lebe sehr gerne hier in Oldenburg und finde, wir haben eine sehr schöne Stadt. Das heißt aber ja nicht, dass ich die Augen verschließe und niemals sage: Mensch, da haben andere etwas Tolles gemacht. Wir wollen unsere Stadt ja noch besser machen, weil sie das Potenzial dafür hat. Ich finde zum Beispiel, wir können in Oldenburg noch etwas mutiger und experimentierfreudiger sein. Deutschland ist eben ein Land der Normen und der Regularien. Wir wollen nichts falsch machen, wir wollen die richtigen Wege gehen. Aber manchmal muss man auch mutig sein und sagen: Lass uns doch mal sehen, ob wir das hinkriegen.


Dazu gehört vielleicht auch die Frage, wie man ein maximales Ergebnis erzielen kann. Manchmal ist es klug, nicht zu sparen, sondern ein bisschen Geld zu investieren. Nehmen wir den Kultursommer: Der ist prima, wir sind froh, dass wir ihn haben. Aber könnte man nicht auch einen ganzen Monat Kultur in der Innenstadt feiern? In so eine Richtung zu denken, das ist meine Vision. Denn das ist nicht nur ein Kostenfaktor, das ist eine Riesen-Marketingmaschine und die setzt weitere Prozesse in Gang. Zum Beispiel kommen Studierende in die Stadt, sie bleiben und gründen eine Firma. Das ist die Zukunft.


Der ängstliche Blick aufs Budget ist nicht die richtige Denkart. Man sollte sich auch mal fragen: Was kann ich ermöglichen? Wo möchte ich, dass ein Feuerwerk entsteht?

Baustelle für ein neues Hotel in der Oldenburger Heiligengeiststraße.
Stadtumbau: Für einen Hotelneubau wurde historische Substanz geopfert. Das sollte nach Meinung von Alexis der Ausnahmefall bleiben. (Bild: Kulturschnack)

Wenn du dir diesen Prozess anguckst, den die Innenstädte gerade durchläufen: Wo stehen wir momentan in Oldenburg? Und wie stehen die Chancen, dass der Wandel gelingt?


Derzeit sieht man überall ein großes Suchen. Alle wachen jetzt auf und sehen: Da muss etwas anderes passieren. Wir Fachleute denken manchmal: Endlich hört mal jemand zu! Dadurch öffnen sich gerade Türen und man muss darauf achten, dass es vernünftig gemacht wird. Es bleibt dabei: Als Kommune muss man nicht jede Initiative selber starten. Stattdessen sollte man verknüpfen und verstärken, indem man sagt: „Ihr seid die Kultur, aber wir kennen ein paar Leute aus der Wirtschaft. Wir können euch zusammenbringen und kreieren daraus neue Chancen.“ Dafür werden wir ein gutes Stadtmanagement brauchen und wir alle müssen ein bisschen raus aus unseren Denk-Silos. Wenn uns das gelingt, glaube ich, dass die Chancen ganz gut stehen; zumal wir uns schlechte Lösungen sowieso nicht mehr leisten können.


Aber man sieht eben auch, dass viele Dinge derzeit noch schwierig sind. Es ist zum Beispiel nicht leicht, das Core wirtschaftlich zu brtreiben, weil es an vielen Stellen nicht den Ertrag nach vorne stellt, sondern Lebendigkeit erzeugen will. Und da wird man sehen, ob das auf Dauer ohne Unterstützung geht. Ich glaube, da sind auch die Kommunen gefordert. Das sieht man etwa an der Stadt Hanau, die selbst insgesamt 60 Millionen für den Umbau einen Innenstadt-Kaufhauses einplant. Da wurde die Notlage klar erkannt. Um es zusammenzufassen:


Wir sollten in Zukunft die existenten Kräfte verstärken und vernetzen. Dazu gehört das Core, aber auch die Theater, die Kulturetage, der kleine Kaffeeladen an der Ecke. Man muss viele kleine Feuerchen entfachen, die dann zusammenwirken.


 


Die Zukunft der City


Wo geht sie also hin, die Reise der Innenstadt? Alexis hat in seinen Antworten angedeutet, wie Fachleute die Entwicklung sehen. Ob es genau so kommt? Dafür spricht tatsächlich einiges. Denn wie eingangs gesagt: Wer durch die Innenstadt geht, spürt die Veränderung. Man darf davon ausgehen, dass nicht jede Handelsfläche eine bleiben wird.


Für die Kultur beduetet dies in erster Linie: Chancen. Zwar wird sie immer wieder als eine Art „Lückenbüßerin“ genutzt, um temporäre Effekte zu erzielen. Aber das muss nichts Schlechtes sein, denn dadurch entsteht der so beliebte Pop-up-Charakter. Mittel- bis langfristig wäre aber auch dauerhaft eine relevante Rolle für die Kultur innerhalb des Wallrings vorstellbar. Wenn es so käme, wäre es vielleicht das Ende der vermeimtlich unumstößlichen Gewissheit, dass die Innenstadt für den Handel da ist. Es wäre aber dennoch eine positive Entwicklung, denn sie bedeutet: Neues Leben für die City!

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