Streetfotografie. Was verbirgt sich hinter diesem Begriff? Was unterscheidet das Genre eigentlich von regulärer Fotografie und gibt es Akteure hier in Oldenburg, die diese Richtung in ihrer Arbeit verfolgen? Ja, definitiv, die gibt es und glücklicherweise konnten wir mit Dirk Marwede und Sören Bockhoop zwei von ihnen für diesen Artikel gewinnen, sind unsere Fragen losgeworden und haben für euch Antworten erhalten!
Es ist einfach ein verlockender Gedanke bei der Streetfotografie: die eigene Kamera ist schnell geschnappt und raus geht es auf die Straße, rein in die Stadt und damit in das Leben, das sich in und auf ihr abspielt. Das nächste Motiv wartet schließlich nur darauf entdeckt zu werden! Aber ist es wirklich so einfach? Wie genau lässt sich das Genre beschreiben?
"Eine einfache Definition wäre ‚das Besondere im Alltäglichen‘ festzuhalten. Dafür muss man seine Umgebung aufmerksam beobachten. Natürlich finden wir oft nicht dieselben Dinge ‚besonders‘, aber das macht gerade den Reiz der Streetfotografie aus. Etwas sehen, das einen anspricht, es in einem Ausschnitt festhalten, ein Gefühl, einen Gedanken oder eine Bedeutung damit in Verbindung bringen", beschreibt Dirk Marwede im Interview.
Auch Sören Bockhoop findet: "Das Genre der „Street Photography“ ist für mich vor allem spontan und authentisch. Es geht wohl mehr als in jedem anderen Bereich der Fotografie darum, den Moment spontan festzuhalten. Die unvorhersehbaren, natürlichen Momente des (Stadt-)Lebens. Geschichten sollen erzählt werden und das ohne eine Inszenierung."
Die Magie der Unvorhersehbarkeit
Inszenierung. Dabei scheint es sich um einen entscheidenden Begriff zu handeln, wenn es um das Genre geht. Denn oftmals kann Fotografie auch bedeuten, eine Aufnahme ganz bewusst zu "inszenieren", das Motiv, das Geschehen unter Kontrolle zu haben um möglichst exakt das erdachte Endergebnis erzielen zu können - für manche Bereiche auch schlichtweg erforderlich. Die Streetfotografie hingegen gibt sich ganz dem Reiz der Unvorhersehbarkeit hin. "Man weiß nie, wem man begegnet oder welche Situation man erlebt", so Bockhoop.
"Historisch wurden bei der klassischen Streetfotografie Menschen in bestimmten Alltagsszenen im öffentlichen Raum fotografiert, ursprünglich in schwarz-weiß", ergänzt Marwede. Aufgrund dieser dahinterliegenden, vermeintlichen Zufälligkeit sei diese Art Bilder entstehen zu lassen als Kunstform jedoch lange Zeit nicht Ernst genommen worden. Aber hinter all' den tollen Fotos, die man in Büchern oder online letztlich final sehe, verstecke sich eine riesige Menge gescheiterter Versuche einen Moment einzufangen, ergänzt er.
UNSERE INTERVIEWPARTNER Dirk Marwede beschreibt sich selbst nicht zuerst als einen Fotografen, wie man vielleicht vermuten könnte, nein! Der Begriff, den er zuerst für sich und sein Schaffen wählt, ist der des Beobachters. Auf seiner Website VisualDaybook - A Poetic Journey kann man an zahlreichen dieser wunderbaren Beobachtungen teilhaben! Zudem gibt Marwede circa 1-2 mal im Jahr Workshops zum Thema Streetfotografie. Beispielsweise am 16. & 17.02.2024 im Rahmen der World-Press-Photo Ausstellung in Kooperation mit der Volkshochschule. Sören Bockhoop fand seinen Weg zur Fotografie über die Fotos selbst. Schon immer blätterte er gerne in den Fotoalbum, die er bei sich zu Hause fand. Irgendwann wuchs der Wunsch eben solche Alben auch mit den eigenen Bildern füllen zu können. 10 Jahre alt und ausgestattet mit einer "Point and Shoot"-Kodak Kamera mit 36 Bildern startete er in seine Welt der Fotografie, die man wunderbar auf dem Instagram Account @fotografie_ol oder auch auf seiner Website www.fotografie-ol.de bestaunen kann. |
Die Fotos entstehen dabei nicht zwangsläufig alleine. Denn "die Streetfotografie Community in Deutschland wächst und es gibt in den größeren deutschen Städten [...] Streetcollectives, die sich regelmäßig treffen und auch Ausstellungen organisieren", erzählt Dirk Marwede.
Ein solches Gefühl der Gemeinsamkeit kann man auch über die sogenannten Streetwalks erfahren, bei denen sich eine Gruppe Gleichgesinnter beispielsweise eine gemeinsame Aufgabe stellt und diese versucht mit ihren Fotos jeweils umzusetzen. Eine tolle Möglichkeit sich auszutauschen, Techniken miteinander zu teilen und gerade für Beginner innerhalb des Metiers eine tolle Gelegenheit, sich sicherer beim Fotografieren "in freier Wildbahn" zu fühlen.
Doch leider sind diese gemeinsamen Ausflüge für die letztliche Kunstform selbst meistens eher hinderlich als förderlich. "Wenn da fünf, sechs oder mehr Menschen mit ihren Kameras durch die Gegend laufen, dann verhält sich die Umwelt auch wieder ganz anders. Unauffällig ist es jedenfalls nicht", stellt Bockhoop in der Regel fest.
Ein schmaler Grad
Diese Unauffälligkeit ist zwar immens wichtig, führt aber direkt zu einem weiteren Problem. Denn ein grundlegendes Dilemma eint alle Fotografen des Genres zwangsläufig. Für den Wunsch, einen Moment fotografisch wirklich völlig unverfälscht einfangen zu können, ist es notwendig, dass man seine Fotos spontan aufzeichnet. Bedeutet, die Menschen, die innerhalb der Stadt abgelichtet werden, sollen im Idealfall überhaupt nicht wissen, dass sie im Moment des Geschehens fotografiert werden. Hierbei kommt dann das Recht am eigenen Bild, ein Persönlichkeitsrecht zum Tragen, das für jeden von uns gilt. Denn jede Person soll natürlich, völlig zu Recht, selbst darüber entscheiden dürfen, ob und wie das eigene Bildnis öffentlich gezeigt wird. Eine waschechte Zwickmühle, in der man sich da hinter der Kamera befindet. Die viel spannendere Frage dabei ist jedoch: Wie geht man damit letztlich in der Praxis um?
"Die Streetfotografie ist inzwischen als Kunstform anerkannt, d.h. es ist wichtig, aus dem Gefühl herauszukommen, dass man etwas Verbotenes tut. Es geht nicht um die individuelle Person, sondern um eine Szene, um das, was der Fotograf in einem bestimmten Moment darin sieht. Bei der Veröffentlichung wird es rechtlich komplizierter. Es ist nicht auszuschließen, dass eine gegen seinen Willen fotografierte Person, gegen die Veröffentlichung seines Fotos vorgeht. Die Gerichte müssen dann Persönlichkeitsrechte gegen die Kunstfreiheit abwägen", erklärt Dirk Marwede.
Für beide ist darüber hinaus eine offene und transparente Kommunikation absolut entscheidend. "Ich für meinen Teil spreche Personen, die ich abgelichtet habe, meist an, zeige ihnen das Bild und erzähle dann auch, was ich eigentlich mache und wofür ich meine Fotos verwende. [...] Es kommt nicht häufig vor, dass Personen mit ihren Fotos oder der Veröffentlichung nicht einverstanden sind", so Bockhoop
Loslegen!
Wen nun das Fotofieber so richtig gepackt hat oder wer schon länger mit dem Gedanken spielt, die Fotografie für sich persönlich auszuprobieren, für den haben beide selbstverständlich auch noch den ein oder anderen Tipp!
Dirk Marwede empfiehlt beispielsweise den Verein Haus der Fotografie. "Der ist mit seiner Sprechstunde und den Open Space Treffen eine gute Anlaufstelle. Hier werden ganz unterschiedliche Themen zur Fotografie behandelt, Streetwalks und Ausstellungen organisiert, Bücher und Fotos besprochen."
Sören Bockhoop hingegen ist es vor allem wichtig nochmal zu betonen einfach loszulegen und warnt zudem davor, sich schon im Vorfeld zu viele Gedanken zu machen oder Limitationen zu setzen: "[...] Es ist nicht wichtig, was man fotografiert. Ob man nun Street Fotografie betreibt, Tiere, Pflanzen, Landschaften fotografiert oder Portraits schießt; der Spaß und die Freude an der Fotografie sollten meiner Meinung nach im Vordergrund stehen. [...] Wenn man sich zu viel mit Rahmenbedingungen und eventuellen Abgrenzungen beschäftigt, kann das auch unnötig einschränken. Jeder sollte das tun, woran er Freude hat."
... und das sehen wir ganz genau so!
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