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EDDIE JIM: DIE UNENDLICHE NEUGIER

Fotografie lebt von den Momenten. Nur, wenn alles stimmt - Ort, Zeit, Licht - können Bilder entstehen, die mehr sind als nur ein einfaches Foto. Aber selbst das reicht nicht aus. Um wahre Fotokunst entstehen zu lassen, braucht es den geschulten Blick für Situationen, Konstellation und Perspektiven - sowie die richtige Einstellung zum Beruf. All das hat der gebürtige Hongkonger und Wahl-Australier Eddie Jim. Wir haben den Gewinner des World Press Photo Awards 2024 getroffen.


Gewinner des World Press Photo Awards 2024 in der Region Südostasien und Ozeanien: Eddie Jim mit seinem Bild „Fighting, Not Sinking“, das auf den Fidschi Inseln entstand. (Bild: Kulturschnack)
Gewinner des World Press Photo Awards 2024 in der Region Südostasien und Ozeanien: Eddie Jim mit seinem Bild „Fighting, Not Sinking“, das auf den Fidschi Inseln entstand. (Bild: Kulturschnack)

Es ist ein kalter Tag in Oldenburg, die Temperaturen liegen im Minusbereich. Frischer Schnee ist gefallen, die Innenstadt weiß eingefärbt. Dieses winterliche Szenario bietet für unseren Gesprächspartner den größtmöglichen Kontrast, denn Eddie Jim kommt direkt aus dem australischen Sommer ins frostig-kalte Deutschland. Der Gewinner des Regionalentscheids Südostasien und Ozeanien des World Press Photo Awards 2024 lebt in Melbourne und arbeitet dort vorwiegend für die Tageszeitung „The Age“. Wir checken kurz die Wetter-App: dort sind's gerade 26°C - mitten in der Nacht.


Von einem Kälteschock ist bei Eddie Jim jedoch nichts zu spüren. Der gebürtige Hongkonger arbeitet seit über dreißig Jahren als Fotojournalist und zählt damit zu den erfahrenen Vertretern seiner Branche. Trotzdem vermittelt er nicht etwa den Eindruck eines abgeklärten Allwissenden. Im Gegenteil: Er hat sich nicht nur eine beinahe kindliche Neugier auf das Unbekannte bewahrt, er hält sie sogar für essentiell für seinen Beruf. Was darüber hinaus notwendig ist, um ein guter Pressefotograf zu sein? Wie es gelingt, sich von dramatischen Situation nicht berühren zu lassen? Und warum ausgerechnet sein berühmtestes Bild dabei eine Ausnahme macht? Das alles und noch viel mehr hat Eddie Jim uns in einem ausführlichen Interview erzählt.



Interview mit Eddie Jim und Thorsten Lange im Rahmen der World Press Photo Ausstellung in Oldenburg für den Kulturschnack
Von Langeweile keine Spur: Eddie sprach gern über seine Arbeit - und auch über sein berühmtestes Bild. (Bild: Kulturschnack)

Wie ein Kapitän auf See


Eddie, du bist ein professioneller Fotograf. Das ist definitiv ein Beruf, von dem viele junge Leute träumen. Was denkst du? Welche Talente braucht man um so einen Job zu machen?


Um ein Pressefotograf oder Fotojournalist zu sein, sollte man vor allem verschiedene Interessen haben. Manche Leute konzentrieren sich nur auf ein einziges Thema, aber ich glaube, das funktioniert nicht so gut. Man sollte ein breiteres Spektrum abdecken - von Studio- bis Street Photography. Denn wir alle lernen von diesen verschiedenen Arten der Fotografie. Wir Fotojournalist:innen müssen heutzutage sehr oft Porträts machen, etwa von Fußballspieler:innen. Dabei spielt die Beleuchtung eine immens wichtige Rolle. Stell dir vor, jemand bittet dich, ein gutes Foto von einem Motiv in einem dunklen Raum ohne Licht zu machen. Was kannst du dann tun? Nicht viel, richtig? Licht ist ein Schlüsselelement der Fotografie. Wir müssen lernen, wie man es nutzt, wie man es liest, wie man das Beste daraus macht.


Man kann das Licht also lesen?


Ja, das kann man. Wenn ich zum Beispiel ein Porträt in diesem Raum hier aufnehmen möchte, dann würde ich meine Motive nahe am Fenster platzieren. Heute ist ein perfekter Tag, um ein Porträt zu machen: Bewölkt, weiches Licht, kein Kontrast. Das ist ideal. Wenn wir das Motiv neben das Fenster stellen, kommt es sehr gut zur Geltung, als würde man im Studio eine große Softbox aufstellen. Tatsächlich könnte das natürliche Licht an einem bewölkten Tag sogar besser sein als das Studiolicht.


Als Fotograf liest man tatsächlich das Licht - genau wie ein Kapitän den Wind liest, um das Beste aus dem Wind zu machen und sein Schiff schnell fahren zu lassen.


Das Licht lesen: Es kommt nicht nur auf das Motiv und die Kulisse an, sondern auch auf die Umstände und die Perspektive. (Bild: Eddie Jim)
Das Licht lesen: Es kommt nicht nur auf das Motiv und die Kulisse an, sondern auch auf die Umstände und die Perspektive. (Bild: Eddie Jim)


Gab es einen Moment in deinem Leben, in dem du gespürt hast, dass du dieses Talent mitbringst? Dass du also das Licht lesen konntest?


Mir war anfangs nicht klar, dass ich diese Fähigkeit hatte. Das entwicklete sich erst im Laufe der Zeit. Ich bin seit fast vierzig Jahren in der Branche tätig und ich würde sagen, dass ich inzwischen alle Arten von Fotografie gemacht habe. Es ist zwar nicht so, dass ich bei jedem kleinen Auftrag viel dazugelernt hätte. Aber ich hab immer meine Erfahrungen gemacht und meine Arbeitsweise optimiert - etwa, was den Einsatz von Blitzlicht betrifft. Es ist also in erster Linie eine Erfahrung, die sich aufbaut. Deshalb sage ich immer: Wenn junge Fotograf:innen in die Branche einsteigen wollen, sollten sie sich nicht nur auf eine Sache konzentrieren, sondern alle Arten von Fotografie ausprobieren und ein möglichst breites Spektrum abdecken. Und sie sollten unbedingt viele Bücher lesen, denn jede:r Fotograf:in hat einen anderen Stil. Ich bin ein großer Fan von Fotobüchern, ich besitze eine Menge von ihnen. Sehr oft stammen meine Ideen aus diesen Büchern.


Es geht also nicht nur um die Fotografie selbst. Man muss sozusagen einen offenen Geist haben?


Richtig. Ich bewundere immer die Arbeit anderer Fotograf:innen. Ich entdecke dort immer Qualitäten, bei denen ich mich frage: Wie kommt es, dass ich nicht so gut bin wie er oder sie? Wie kommt es, dass du es kannst und dass du es schaffst? Wie kommt es, dass du dieses Foto in so kurzer Zeit oder in so einer Umgebung oder unter diesem Licht machen kannst und es so gut aussieht? So lerne ich, die Arbeit anderer Leute zu schätzen - und so lerne ich auch dazu!



Nur Teil eines Ganzen: Eddies Sportfotografien - wie hier bei den Olympischen Spielen von Paris - wirken, als würde er nie etwas anderes machen. Tatsächlich schätzt er aber Abwechslung und hält sie sogar für notwendig. (Bilder: Eddie Jim)



Bloß keine Routine


Auf deinem Instagram-Kanal findet man sehr unteschiedliche Bilder. Zuletzt sehr viel Sport, wie etwa die Olympischen Spiele in Paris. Aber die Vielfalt ist groß. Was denkst du: was sind deine größten Fähigkeiten und Qualitäten als Fotograf?


Ich sehe mich nicht als Spezialisten für irgendetwas. Ich fotografiere immer noch gerne alles, der ständige Wechsel Inspiriert mich am meisten. Wenn ich zum Beispiel die ganze Zeit Sport fotografiere, dann würde ich vielleicht denken: Dieses oder jenes Foto habe ich schon mal gemacht, ich werde das nicht noch einmal machen. Gute Fotograf:innen sollten aber nicht so denken, sie sollten immer kreativ sein. Du fragst nach meinen Stärken. Nun: Ich mache viele Porträts, weil ich es liebe, mit Menschen zu reden.


Wenn ich dann höre, wie die Leute mir ihre Geschichten erzählen, habe ich manchmal eine Idee, wie ich sie vielleicht in einer anderen Umgebung oder auf eine andere Art und Weise oder in einem anderen Winkel oder mit anderem Licht fotografieren kann. Die Ideen sind unbegrenzt. Und wenn man hart arbeitet, bekommt man definitiv ein paar gute Ergebnisse.

Als Laie hätte man ja denken können, dass man nur dann richtig gut wird, wenn man immer dasselbe tut und sich dadurch perfektioniert . Du magst aber Abwechslung?


Ja, immer! Am liebsten die ganze Zeit. Ich kenne nämlich auch das Gegenteil. Ich bin ja ein angestellter Fotograf bei einer Zeitung. Das heißt: Ich kann mir meine Jobs normalerweise nicht aussuchen, sie werden mit von meinem Fotoredakteur zugewiesen. Etliche Jahre lang musste ich über Restaurants berichten. Am Anfang fand ich das furchtbar langweilig. Einfach nur Essen? Come on! Aber während ich tagein, tagaus Essen fotografierte, fiel mir auf, was ein gutes Bild ausmacht: Wenn die Menschen das abgebildete Gericht am liebsten sofort essen würden - dann ist es ein gutes Bild. Wie erreiche ich das? Ich probiere verschiedene Lichtkonstellationen aus und verschiedene Blickwinkel und nutze verschiedene Skills, um meine Bilder einladender aussehen zu lassen. Immerhin konnte ich mich anhand dieser monotonen Aufgabe also weiterentwickeln.




Charismatischer Erzähler: Mit leiser, manchmal nachdenklicher, vor allem aber eindringlicher Stimme schildert Eddie seine Sicht auf die Fotografie - und auf die Welt, die er damit festhält. (Bilder: Kulturschnack)



Du hast eben gesagt, dir werden Aufträge von der Redaktion zugeteilt. Hast du denn gar keinen Einfluss darauf, was du bekommst?


Ich kann meinen Redakteuren Ideen vorschlagen. Ein Beispiel war die Berichterstattung im Vorfeld der Olympischen Spiele von Paris. Mein Vorschlag war eine Fotoserie mit australischen Oympionik:innen, die von Annie Leibovitz inspiriert war. Die Amerikanerin ist eine der größten Porträtfotografinnen, und sie hat ein Buch über das amerikanische Olympia-Team von 1996 veröffentlicht. Es ist ausschließlich in Schwarz-Weiß gehalten, die Bilder sind anders als alle anderen Sportporträts. Zum Beispiel steht eine Turnerin mitten in der Wüste. Es ist ein Foto, von dem ich sofort dachte: Wow, das ist so gut! Ich hatte eine ähnliche Idee und schlug sie meinem Redakteur vor. Ich habe nicht erwartet, dass er mir grünes Licht geben würde, denn ich wollte mit einer großformatigen Filmkamera arbeiten. Das Verfahren ist sehr kostspielig, weil die Filme teuer sind und ich mehr Zeit aufwenden, muss um sie zu entwickeln. Als der Redakteur aber mein erstes Testbild sah, hat er es geliebt und ließ mich weitermachen. Erst in Melbourne, dann in Sydney, schließlich in Adelaide. Ich musste jedes Mal mit dem Auto fahren, weil die Filme von den Röntgengeräten an den Flughäfen beschädigt worden wären. Veröffentlicht wurde die Serie schließlich als Sonderbeilage zur Zeitung am Eröffnungstag der Pariser Olympiade - ein voller Erfolg! Ich habe ein wirklich gutes Feedback bekommen und bin sehr stolz darauf, weil das Projekt eine Herausforderung war. Ich bin froh, dass der Herausgeber an mich geglaubt hat.




Nicht von der Stange: Eddies ungewöhnlichen Aufnahmen von Olympiateilnehmer:innen sorgten für große mediale Aufmerksamkeit. (Bilder: Eddie Jim)


Die Kamera als Barriere


In Oldenburg zu Gast bist du aber nicht wegen deiner Arbeiten für die Olympischen Spiele, sondern wegen des Bildes, für das du mit dem World Press Photo Award 2024 ausgezeichnet wurdest. Es ist nicht in Australien entstanden, sondern in der Saina Bay auf Kioa Island, einer der Fidschi Inseln. War das ein regulärer Auftrag der Redaktion oder hatte dieses Projekt einen besonderen Hintergrund?


Es ist ja kein großes Geheimnis, dass es mit der Zeitungsindustrie nicht unbedingt bergauf geht. Es wird zu wenig Werbung geschaltet, zu wenig Leute kaufen die Zeitung am Kiosk und es gibt zu wenig Abonnements. Deshalb haben wir auch kein Budget - iwe vielleicht früher - mit dem wir Jobs in Übersee abdecken könnten. Es ist sehr selten, dass man die Gelegenheit bekommt, ins Ausland zu gehen. Bei diesem Auftrag war es so, dass wir von Greenpeace Australien als Medienpartner eingeladen wurden, um über eine Klima-Konferenz zur globalen Erwärmung auf den Inseln zu berichten, Das allein war aber natürlich nicht genug. Also haben wir uns auf der Insel etwas umgeschaut.



Das World Press Photo of the Year 2024 von Eddie Jim auf Kioa Island
Fighting, Not Sinking: Das Gewinnerbild von Eddie Jim überzeugt nicht nur durch die Komposition um den Stammesältesten Lotomau Fiafia und seinem Enkel John, sondern auch durch seine Message. (Bild: Eddie Jim)


Wenn du dort mit den Menschen sprichst, dich durch ihre Heimat bewegst und deine Bilder machst, fühlst du dann auch ihre Probleme? Werden sie zu deinen eigenen? Oder bist du nur ein neutraler Beobachter, der versucht, von dem Thema unberührt zu bleiben?


Als ich auf der Insel ankam, habe ich nichts Ungewöhnliches bemerkt. Es ist einfach eine Insel mit schönen Stränden, klarem Wasser. Doch dann erzählte der Stammesälteste Lotofau Fiafia mir, dass die Uferlinie früher vierzig bis fünfzig Meter von der jetzigen entfernt war. Bei unserem Gespräch saßen wir vor seinem Haus auf einem Hügel. Er zeigte auf Mangroven, die relativ weit draußen zu sehen waren und erklärte, dass dort die Küstenlinie verlief, als er jung war. Ich habe mir das also vom Hügel aus angesehen und dachte: Das kann doch nicht sein, das ist doch ganz schön weit draußen. Doch er musste wissen. Er wurde vor 72 Jahren auf der Insel geboren und hat dort als Kind noch gespielt. Er hat also alle Veränderungen in den letzten siebzig Jahren miterlebt. Er war also das beste Subjekt, um diese Geschichte zu erzählen.



Kartenausschnitt mit Kioa Island und den Fidschi Inseln, auf denen das World Press Photo of the Year von Eddie Jim entstand.
Irgendwo im Nirgendwo: Kioa Island ist eine der kleineren Fidschi-Inseln und wird nur von wenigen Menschen bewohnt. (Karte: Google Maps/Kulturschnack)


Man beschäftigt sich also zwangsläufig mit den Problemen vor Ort. Wird man dabei auch emotional? Und wäre es gut oder schlecht, wenn es so wäre?


Ich benutze meine Kamera normalerweise als Barriere, um mich vom Geschehen zu trennen. Wenn ich zu emotional werde, kann ich meinen Job nicht mehr richtig machen. Ein Beispiel dafür war der Tsunami am zweiten Weihnachtstag 2004. Als ich ins thailändische Phuket kam, um über die Folgen zu berichten, war die ganze Stadt dem Erdboden gelichgemacht. Ich hatte nicht erwartet, so eine Verwüstung zu sehen. Davor kannte ich nicht einmal den Begriff Tsunami und wusste nicht, dass Wasser so mächtig und so zerstörerisch sein kann. Und als ich dort war, wurde ich emotional, weil wir tagein, tagaus mit Menschen sprachen, die selbst Opfer waren, die aber auch Angehörige verloren hatten. Sie hatten im Grunde alles verloren. Als ein menschliches Wesen ist es sehr schwer, in so einem Moment nicht emotional zu sein. Die Kamera als Barriere zu nutzen, hat damals für mich nicht funktioniert. Normalerweise bleiben wir als professionelle Fotograf:innen aber hinter der Kamera. Wir betrachten die Dinge durch diesen kleinen Sucher, der es so wirken lässt, als wären da, aber gleichzeitig nicht da. Wir betrachten die Szenerie durch ein Fenster. So versuche ich, mich von den Geschehnissen fernzuhalten. Denn:


Wenn wir zu emotional werden, sehen wir die Dinge einfach nicht. Wir sehen nur die Person vor uns, wir sehen andere Menschen nicht und die Dinge drumherum.


Zu Gast bei Greenpeace: Die „Rainbow Warrior“ ist nicht nur ein Markenzeichen der Klimaschützer:innen, sondern diente Eddie Jim auch als maritimes Fotolabor. (Bilder: Eddie Jim)



Der Blick für die Dinge


Was du siehst und was du nicht siehst, ist ja ganz entscheidend für die Fotografie. Wie findest du denn die Orte und Perspektiven für deine Bilder, wenn du an einer Szene ankommst?


Im Falle meines Gewinnerfotos hatte ich keine Wahl, weil Lotofau mir gesagt hat, wo die Uferlinie verläuft. Ich musste es von dort aus aufnehmen, das war die Geschichte. Das war also ganz einfach. Bei anderen Fotos ist es natürlich aufwändiger. Wenn ich zum Beispiel eine Eilmeldung oder ein tragisches Ereignis fotografiere, gehen wir ganz nah ran. Wir konzentrieren uns auf den Ort des Geschehens und wir sehen erstmal nur das, was sich aufdrängt. Zum Beispiel: Das Auto und die Mauer, in die es gekracht ist. Aber wenn wir etwas weiter zurückgehen, sehen wir ein breiteres, ein größeres Bild. Wir erkennen Zusammenhänge, Ursachen und Auswirkungen.


Also habe ich mir irgendwann gesagt: Nimm die ein paar Sekunden Zeit, wenn du bei einem Job ankommst. Mach nicht gleich Fotos. Einfach mal ein paar Sekunden innehalten, sich umsehen und beobachten, ob es etwas gibt, das man in die Bilder aufnehmen könnte.

Vielen Leuten, die privat Fotos machen, geht es sicher ähnlich. Sie wollen nicht nur das Naheliegende knipsen, sondern suchen das Besondere. Es ist interessant, dass du ähnlich verfährst, obwohl der Fotojournalismus ja ein schnelles Geschäft ist.


Heutzutage wollen die Leute bei den Zeitungen, dass es möglichst schnell geht. „Bitte schicken Sie die Fotos sofort“, heißt es dann immer. Aber manchmal lohnt es sich, ein bisschen innezuhalten und sich umzuschauen. Und dann sieht man vielleicht etwas, das noch ein bisschen wertvoller ist und das es wirklich wert ist, fotografiert zu werden.



Momentaufnahme: Eddie JIm gelang eine wunderbare Bildkomposition. Gleichzeitig entsteht ein starker Kontrast zwischen dem Alltag auf der Insel und der Bedrohung durch den Klimawandel. (Bild: Eddie Jim)
Momentaufnahme: Eddie JIm gelang eine wunderbare Bildkomposition. Gleichzeitig entsteht ein starker Kontrast zwischen dem Alltag auf der Insel und der Bedrohung durch den Klimawandel. (Bild: Eddie Jim)


Wenn du so ein Foto machst wie jenes auf Kioa Island: merkst man schon im Moment des Entstehens, dass etwas Besonderes dabei rausgekommen ist? Oder muss man sich im Nachhinein noch genauer damit beschäftigen, um das zu erkennen?


Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich noch etwas mehr aus einer Situation rausholen könnte. Ich spüre, dass ich mehr Zeit investieren sollte. Das Gefühl habe ich nicht sehr oft, aber wenn, dann gebe ich mir sehr viel Mühe, um das Beste herauszuholen. So ähnlich war es auch bei dem Bild auf Kioa Island: Es ist nämlich die zweite Version. Beim ersten Mal habe ich ein ähnliches Bild gemacht, aber das Wetter war nicht gut genug. Es war bewölkt und das Wasser war wellig. Ich hatte methodisch eigentlich alles richtig gemacht, aber das Wetter war außerhalb meiner Kontrolle.


Dann habe ich den Ältesten gefragt, ob ich ihn und seinen Enkel noch einmal fotografieren darf. Dafür hatte er eine Bedingung: „Du musst mir versprechen, dass du unsere Geschichten so oft wie möglich nach außen trägst.“ Und das habe ich getan.

Ich erinnere ich mich daran, dass es an diesem Tag keine Internetverbindung auf der Insel gab. Also sind wir auf die „Rainbow Warrior“ zurückgekehrt, auf der es Satellitenempfang gibt. Wir mussten die Bilder und die Geschichte ins Büro schicken, also haben wir auf dem Schiff gearbeitet. Währenddessen kamen einige Greenpeace-Mitarbeiter an mir vorbei. Sie sahen das Bild und sagten: Wow, das sieht gut aus! Ich hab mich gefreut und bedankt, aber ich habe nichts weiter erwartet. Als die Geschichte dann in der Zeitung veröffentlicht wurde, ging es los. Ich habe eine Menge positives Feedback bekommen. Nicht nur von meinen Kolleg:innen, sondern auch vom Chefredakteur, von anderen Medien in Australien.



Große Ehre: Nach der Auszeichnung mit dem World Press Photo Awrd 2024 stellte Eddie Jim „Fighting, Not Sinking“ in De Nieuwe Kerk in Amsterdam. (Bild: Lisa Knoll)
Große Ehre: Nach der Auszeichnung mit dem World Press Photo Awrd 2024 stellte Eddie Jim „Fighting, Not Sinking“ in De Nieuwe Kerk in Amsterdam. (Bild: Lisa Knoll)

Zunächst sollte die Story übrigens auf Seite 4 oder 5 erscheinen. Wir haben uns dann aber entschlossen, sie zu verschieben, bis wir einen Platz auf der Titelseite haben. Dadurch haben wir viel mehr Aufmerksamkeit erregt. Die Leute haben die Zeitung gesehen und wollten herausfinden, was hinter diesen Bildern steckt. Sie wollten die Geschichte hören. Damit war ich ziemlich glücklich, denn dadurch haben wir den Menschen auf Kioa Island Aufmerksamkeit geschenkt und ihnen eine Stimme gegeben.



Die Macht der Bilder


Tatsächlich erzeugte das Bild große Aufmerksamkeit. Und sie drang sogar bis nach Europa zur World Press Photo Foundation. Wie waren deine Gedanken, als du davon erfahren hast? War das eine große Ehre für dich als Fotograf?


Natürlich! Der World Press Award ist die größte Ehre in meinem Berufsleben. Ich kannte diesen Preis schon als Fotografiestudent, als ich 19 Jahre alt war. Ich hätte niemals damit gerechnet, ihn eines Tages selbst zu bekommen, weil die meisten Bilder aus Konfliktgebieten stammen. Es sind immer sehr eindrucksvolle, kraftvolle Bilder. Ich kann mich auf keinen Fall mit ihnen vergleichen. Die globale Erwärmung ist allerdings ein Thema von größter Bedeutung. Und es betrifft nicht nur ein Konfliktgebiet oder ein einzelnes Land, sondern die ganze Welt. Vielleicht habe ich diesen Preis auch deshalb gewonnen.


Ich fühle mich geehrt, aber gleichzeitig fühle ich mich auch, als hätte ich meine Mission erfüllt. Ich hatte ja versprochen, die Welt über Kioa zu informieren, die Geschichte so weit wie möglich in die Welt hinauszutragen. Und auf diese Art und Weise ist das definitiv gelungen.


Leidenschaftlich: Auch wenn Eddie Jim schon hunderte Male über sein Siegerbild gesprochen haben dürfte, tut er weiterhin mit großem Enthusiasmus. (Bilder: Andreas Burmann)

Magst du denn überhaupt noch über das Thema sprechen? Du warst in den letzten zwölf Monaten ja sicherlich auf einigen Ausstellungen, oder?


Nein, ich war tatsächlich nur zum Auftakt in Amsterdam und nun auf dieser in Oldenburg! (lacht) Es gab zwar auch eine Ausstellung in Sydney, aber dort war kein Rahmenprogramm mit Gästen vorgesehen. Das hielt sich also sehr in Grenzen. Aber wann immer ich die Möglichkeit habe, über das Bild zu sprechen, tue ich das auch - etwa für einige Foto- und Kameraclubs in Melbourne. Dort werde ich oft eingeladen. Auf diese Weise spreche ich mit mehr und mehr Leuten und verbreite die Geschichte immer weiter. Das tue ich auch, weil ich das Gefühl habe, dass ich den Menschen auf Kioa etwas schulde. Sie gaben mir die Möglichkeit, sie auf der Insel zu fotografieren. Sie gaben mir Zeit, um mit ihnen zu arbeiten. Also sollte ich mein Bestes tun, um ihnen etwas zurückzugeben, wann immer es möglich ist.


Glaubst du denn, dass Pressefotografie einen Einfluss darauf hat, wie Menschen die Welt wahrnehmen? Erzählen sie eine eigene Geschichte, weil sie die Themen auf eine bestimmte Weise darstellen?


Ich denke schon. Wenn du dir die Bilder in der World Press Photo Ausstellung anschaust, dann stellst du fest, dass alle ihre Geschichte gut erzählen. Viele Fotograf:innen wenden sehr viel Zeit dafür auf. Meine Aufträge dauern meist nur eine Woche, aber hier sind einige Projekte dabei, die sehr lange dauerten. Die Fotograf:innen haben das Thema deshalb sehr intensiv kennen gelernt. Und ich bin überzeugt, dass man bessere Bilder bekommt, wenn man mehr Zeit mit dem Motiv verbringt. Denn je entspannter das Motiv ist, desto besser ist das Bild. Wenn man dagegen jemanden zum ersten Mal trifft und ein paar Fotos macht, dann sind wahrscheinlich keine guten Bilder dabei.



Fotograf Eddie Jim mit seinem Bild „Fighting, Not Sinking“ bei der World Press Photo Ausstellung in Oldenburg
Der Fotograf und sein Werk: Eddie Jim fühlte sich wohl in Oldenburg und ließ durch Vorträge und Gespräche viele Menschen an der Geschichte hinter dem Bild teilhaben. (Bild: Kulturschnack)


Was genau braucht denn ein gutes Pressefoto?


Es mag komisch klingen, aber ein gutes Pressebild hat durchaus Ähnlichkeiten mit einem Foto von einem gut zubereiteten Essen, so wie ich sie früher machen musste. Wenn man jemandem ein Bild von einem Teller zeigt und diese Person möchte das Gericht am liebsten sofort essen, dann ist es ein gutes Essensfoto. Und dieses einfache Prinzip kann man auf den Fotojournalismus übertragen:


Wenn du jemandem das Bild zeigst und das Publikum fühlt sich emotional verbunden, kann also das Thema durch das Bild fühlen, dann ist es gelungen.

Natürlich kommt es auf die Fähigkeiten der Fotograf:innen an, wie man die Szene einfängt. Aber wenn eine Wirkung erzeugt wird, wenn Emotionen zum Publikum durchdringen, dann ist ein gutes Zeichen. Ich habe Menschen erlebt, die in eine Ausstellung wie diese gegangen sind und bei bestimmten Bildern anfingen zu weinen. Sie kannten das Thema nicht, sie wussten nicht, worum es geht. Aber als sie die Bilder ansahen, fingen sie an zu weinen. Das ist kraftvoll. Ob es sich jetzt um objektiv gute oder schlechte Bilder handelt, ist schwer zu sagen. Das ist eine andere Fragestellung. Aber wenn man sich anhand des Bildes dazu bringen kann, dasselbe zu empfinden wie die Fotografin der Fotograf, dann ist das gut genug.



Das Thema fühlen: Zu einem guten Pressebild gehört mehr als nur das Geschehen abzubilden. (Bild: Eddie Jim)
Das Thema fühlen: Zu einem guten Pressebild gehört mehr als nur das Geschehen abzubilden. (Bild: Eddie Jim)

Letzte Frage: Was magst du am meisten an deinem Beruf? Was liebst du nach all den Jahren immer noch wie am ersten Tag?


Ich liebe es, mit Menschen zu reden. Und noch mehr liebe ich es, den Leuten zuzuhören, weil jeder eine andere Geschichte zu erzählen hat. Wenn man sich genug Zeit nimmt, um sich diese Geschichte anzuhören, kommen einem manchmal gute Ideen, wie man sie fotografieren könnte. Auch nach über dreißig Jahren in dieser Branche denke ich jeden Tag über Projekte nach, die ich noch gern umsetzen würde, und mir fällt dabei immer wieder etwas Neues ein. Ich lese viele Bücher, ich schließe Freundschaften mit Menschen. Und ich hoffe, wie ich schon sagte, dass die Bilder umso besser werden, je besser man die Person oder die Leute kennt. Wenn man offen und aufgeschlossen ist, kann man sich von anderen inspirieren lassen. Das ist einer der Gründe, warum ich immer noch gerne fotografiere. Es gibt nicht viele Fotograf:innen, die nach Jahrzehnten im Beruf immer weiter machen wollen. Aber bei mir ist das so. Wann immer sich eine Gelegenheit bietet, will ich das Beste daraus machen. Damit meine ich nicht, dass ich härter oder länger arbeite als andere. Ich will einfach nur die bestmöglichen Bilder machen.


Es geht dabei auch um ein Vermächtnis. Wenn man auf einige ikonische Bilder zurückblickt, dann weiß man, dass sie für immer fortbestehen. Studierende orientieren sich daran, Fotograf:innen lassen sich von ihnen inspirieren. Mit ist so etwas bisher leider nicht gelungen, aber ich arbeite daran. Und ich hoffe, dass ich das eines Tages ein paar Bilder haben werde, die die Leute wirklich mögen.


Interview mit Eddie Jim und Thorsten Lange im Rahmen der World Press Photo Ausstellung in Oldenburg für den Kulturschnack
Konzentriert bei der Sache: Einige der schönsten Sätze sagte Eddie Jim ganz am Ende unseres Gesprächs - und hinterließ damit umso mehr bleibenden Eindruck. (Bild: Kulturschnack)

Das Leben ist einfach zu kurz ist, um Zeit zu verschwenden. Deshalb fotografiere ich immer weiter. Oft habe ich an meinem freien Tag das Glück, meine Kamera dabeizuhaben und etwas fotografieren zu können, das mir gefällt. Etwas, das ich abseits der Arbeit mag, zum Beispiel zeitgenössische Fotografie. Diese Abwechslung frischt mich auf. Als ob ich durch diese Art von Fotografie auf bessere oder neue Ideen kommen könnte. Und vielleicht ist es auch so. Meine Neugier jedenfalls scheint endlos zu sein - und ich denke, das ist eine gute Sache.



 



Leidenschaft als Beruf


Es wartatsächlich eine kleine Grausamkeit im Ausstellungszyklus der World Press Photo Foundation: Eddie Jim musste ausgerechnet aus dem australischen Sommer in den deutschen Winter. Was manchen von uns die Laune verhagelt hätte, bewirkte bei Eddie Jim das Gegenteil: Er freute sich über Kälte und Schnee, weil sie ihm etwas boten, was er für unerlässlich hält: Abwechslung. Insofern muss Oldenburg kein schlechtes Gewissen haben: Der gefeierte Fotograf war sehr gern an der Hunte.


Das aber letztlich weniger wegen des Wetters, sondern vor allem, weil er sehr gern über seine Arbeit spricht. Über dieses Interview hinaus erzählte er von weiteren Fotoprojekten, die jeweils ihre eigenen Geschichten hatten und mit denen wir weitere Artikel hätten füllen können. Das Fotografieren ist für Eddie Jim kein Beruf, sondern eine Leidenschaft. Ständig sucht er neue Herausforderungen und Wege, sich weiter zu verbessern. Diese Einstellung ist es, die ihn seit Jahrzehnten durch eine ansonsten schnell- und kurzlebige Branche trägt. Und sie ist es, die ihm herausragende Bilder ermöglicht. Wie jenes mit dem 72-jährigen Lotomau Fiafia auf Kioa Island, mit dem er schließlich den World Press Photo Award 2024 gewann.


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