Tuấn Andrew Nguyễn ist ein international bekannter, vielfach ausgezeichneter Künstler. Der vietnamesisch-amerikanische Filmemacher versteht es wie kein zweiter, seine Bewegtbilder mit einem Narrativ zu versehen, das den Besucher:innen seiner Ausstellungen viele Anknüpfungspunkte bietet. Warum er diesen Weg wählt, was er mit seiner Kunst erreichen möchte und was ihn nun zum zweiten Mal nach Oldenburg führt? Das - und noch viel mehr - hat er uns im Interview erzählt.
Papua Neuguinea. Was weiß man über dieses Land? Vielleicht nicht viel mehr, als dass es in Südostasien liegt - irgendwo dort, wo auch Indonesien und die Philippinen zu finden sind. Aber was dieses Land ausmacht? Und was es mit Deutschland verbindet? Darüber ist in der breiten Masse nicht viel bekannt. Das ist ein Versäumnis. Denn als Kaiser-Wilhelms-Land gehörte der nördliche Teil Papua-Neuguineas zwischen 1886 und 1919 zum deutschen Kolonialreich - und wurde dadurch zum Ort zahlreicher Verbrechen.
Der Medienkünstler Tuấn Andrew Nguyễn greift dieses Thema nun anhand eines Bootes auf, das im Berliner Humboldt Forum ausgestellt ist, dessen Ursprung aber auf der Insel Luf vor der Küste Papua-Neuguineas liegt. Tuấn erzählt die berührende Geschichte der Nachfahren der Erbauer des Bootes und ihres Wunsches, dem Erbe ihrer Ahnen näherzukommen. Diese Ausstellung zeigt uns, wie spannend, intensiv und inspirierend Medienkunst sein kann.
EDITH RUSS HAUS FÜR MEDIENKUNST
TUAN ANDREW NGUYEN:
WHEN WATER EMBRACES EMPTY SPACE
30. OKTOBER 2024 BIS 5. JANUAR 2025
DIENSTAG - FREITAG 14 - 18 Uhr
SAMSTAG, SONNTAG 11 - 18 Uhr
EDITH RUSS HAUS FÜR MEDIENKUNST
26121 OLDENBURG
Kolonialismus als Kernthema
Kenner:innen der Oldenburger Kunstszene wird etwas auffallen. Tuấn Andrew Nguyễn? Bei dem Namen klingelt doch etwas? Richtig: Im September und Oktober 2023 war „The Boat People“ im Pulverturm zu sehen. Schon jenes Projekt deutete an, welches Potenzial in den Filmarbeiten von Tuấn schlummert. Er lässt das Publikum nicht mit den Bildern allein, sondern webt eine Storyline ein, die den Zugang zu jener Materie erleichtert, um die es ihm eigentlich geht. Im Blickpunkt seines Interesses stehen immer wieder Menschen, die unter den Folgen des Kolonialismus leiden - und die selbst nicht gehört oder gesehen werden. Tuấn dreht seine Filme aber nicht etwa über sie, sondern mit ihnen zusammen. Und so entstehen authentische, geradezu poetische Kunstwerke.
Wir treffen Tuấn während der Aufbauarbeiten für seine neue Ausstellung „When water embraces empty space“, die vom 31. Oktober 2024 bis zum 5. Januar 2025 im Edith Russ Haus zu sehen ist. Er ist bereits einige Tage vor der Ausstellungseröffnung aus Ho Chi Minh City angereist, denn es gibt zu diesem Zeitpunkt noch sehr viel zu planen, organisieren, entscheiden, optimieren. Und es geht so weiter: Nur zwei Tage nach der Eröffnung in Oldenburg steht bereits die nächste an - in New Orleans, Louisiana, USA. Und zwischendurch? Wollen auch die 4- und 6-jährigen Kids daheim etwas vom Papa hören. Kaffeetasse und Smartphone sind in diesen Tagen deshalb Tuấns ständige Begleiter. Dennoch ist er bestens gelaunt und beantwortet geduldig all unsere Fragen. Schnell wird klar: Er ist jemand, der seine Kunst voll und ganz lebt - und der möchte, dass die Menschen sie verstehen.
Auf den Blickwinkel kommt es an
Tuấn, du bist ein international erfolgreicher Künstler, der auf der ganzen Welt seine Ausstellungen zeigt - von der Biennale in Venedig bis zum MoMA in New York. Nun bist du schon zum zweiten Mal in Oldenburg. Wie kommen wir zu dieser Ehre?
Es hat viel zu tun mit dem Edith Russ Haus. In der internationalen Kunstszene ist es sehr bekannt und es wird sehr stark wahrgenommen, was hier passiert. Edit Molnar und Marcel Schwierin haben hier in den letzten Jahren ein fantastisches Programm mit spannenden Ausstellungen von talentierten Künstler:innen zusammengestellt. Ich wollte gerne mit ihnen zusammenarbeiten und etwas dazu beitragen. Davon abgesehen ist Oldenburg einfach eine schöne Stadt mit sehr netten Menschen. Das gilt vor allem für das Team des Hauses!
Deine eigene Geschichte ist die einer Entwurzelung. Du bist 1976 in Vietnam geboren und lebst heute wieder dort. Aufgewachsen bist du aber in den USA.
Ja, richtig. Meine Familie flüchtete 1979 - eben als Boat People - aus Vietnam und landete schließlich in den USA. Wir lebten erst in Oklahoma, später dann in Southern California, wo ich auch studiert habe. Danach bin ich in meine Heimatstadt Sai Gon zurückgekehrt, die heute aber offiziell Ho Chi Minh City heißt. Das bringt die Leute immer wieder durcheinander. Aber das ist eine gute Sache, denn es sorgt für Aufmerksamkeit! (lacht) Im Endeffekt bin ich jetzt schon so lange wieder in Vietnam wie ich zuvor in den USA war.
Und als was fühlst du dich heute? Bist du Amerikaner oder Vietnamese?
Keines von beiden so richtig. Ich würde sagen: irgendwo dazwischen.
Heißt das, du bist immer nur Gast, egal in welchem Land du dich aufhältst?
Ich sehe das lieber anders: Ich bin in beiden Ländern zuhause. Das ist wie mit dem halb vollen oder halb leeren Glas. Ein kleine Variation des Blickwinkels kann dein ganzes Leben verändern.
Warum nicht? Im Jahr 2015 war Tuấn Andrew Nguyễn mit The Propeller Group Teilnehmer der Biennale in Venedig. Dort verwandelten sie das Geschoss eines M-16 Sturmgewehrs - das die US-Armee in im Vietnam-Krieg einsetze - in ein Kunstwerk. (Video: Biennale Arte)
Tuan Andrew Nguyen: Geschichtenerzähler
Zur Kunst hast du aber noch in den USA gefunden. Du hast an der University of California und am California Institute of Arts studiert, warst Teil einer Graffiti Crew und bist mit The Propeller Group für interdisziplinäre Kunst bekannt geworden. Wie würdest du deinen Ansatz beschreiben?
Ich arbeite sehr gerne mit Bewegtbildern, die ein gewisses Storytelling ermöglichen. Mich interessieren die Geschichten, die wir einander erzählen - oder die wir uns eben nicht erzählen - und wie sie unser tägliches Leben und unseren gegenseitigen Umgang miteinander beeinflussen. Mein Blick richtet sich aber auch darauf, welche Auswirkungen diese Geschichten auf Kräfteverhältnisse und -dynamiken haben.
Ich schätze das Filmemachen sehr, weil es eine kollaborative Arbeitsweise ist. Es ist jedenfalls ziemlich schwierig, Filme ganz allein zu drehen. Ich bringe mein Know-how als Filmemacher mit zu den Gruppen, mit denen ich arbeiten möchte. Ich mache aber keine Filme über sie, sondern mit ihnen. Viele Menschen, mit denen ich zusammenarbeite, haben keinen Zugang zu digitalen Medien. Sie kennen sich nicht aus, ihnen fehlt das nötige Wissen, deshalb können sie ihre Geschichte nicht erzählen. Ich finde es wichtig, dass ich mein Wissen teile und ihnen einen Zugang verschaffe. Das ist etwas, das auf mich als Filmemacher befreiend wirkt, das aber auch ihnen eine Selbstermächtigung verleiht. Der andere wesentliche Teil meiner Arbeit sind Skulpturen. Meine Objekte sind sehr eng verbunden mit den Narrativen, mit denen ich mich in meinem Filmen auseinandersetze.
Leben mit der Gefahr: In Zentralvietnam liefen weiterhin tausende von Blindgängern aus dem Krieg. Immer wieder kommt es zu Explosionen. Tuan Andrew Nguyen nähert sich diesem Thema über die Bomben selbst an. (Video: Tuan Andrew Nguyen)
Und diese Objekte ergänzen bzw. unterstützen die Filme? Oder ist es genau anders herum?
Es ist mal so, mal so. Ein Beispiel: Ich habe das Projekt „The Unburied Sounds of a Troubled Horizon“ in Quảng Trị durchgeführt. Die Provinz liegt in der Demilitarisierten Zone in Zentralvietnam. Sie gehört zu den am stärksten bombardierten Gebieten der Geschichte und die Menschen finden dort immer noch viele Blindgänger. Der Film beschäftigt sich mit der Frage, was es bedeutet, sich bis heute mit diesen Objekten auseinandersetzen zu müssen. Durch die Explosionen dieser Blindgänger hat Vietnam in all den Nachkriegsjahren genauso viele Opfer zu verzeichnen wir die amerikanische Armee während des aktiven Krieges. Die Frage war also: Wie gehen die Menschen mit der Bedrohung um? Im Film gibt eine junge Frau, deren Vater und Bruder Opfer dieser Explosionen waren und deren Mutter an PTBS leidet, eine eigene Antwort. Aus Trümmerteilen stellt sie Mobiles her, die an den US-Bildhauer Alexander Calder erinnern und die - verkürzt ausgedrückt - zur Behandlung von PTBS beitragen können. Hier gehen Narrativ und Skulptur also Hand in Hand.
Der Wunsch nach Veränderung
Aber hier scheint es wieder durch: Das Storytelling ist ein Kernelement deiner Arbeit. Medienkunst kann manchmal schwer zugänglich wirken, bei dir scheint es deutlich leichter zu fallen, weil du dem Publikum etwas an die Hand gibst.
Das ist von Fall zu Fall unterschiedlich, aber du hast durchaus Recht. Ich bin eben ein Geschichtenerzähler. Wie ein Maler Farbe verarbeitet, verarbeite ich Geschichten. Und ich finde, dass man Informationen teilen sollte. Meine Arbeit basiert sehr stark auf Recherche. Und ich möchte gerne das Wissen teilen, das ich erlangt habe, indem ich Menschen getroffen, mit ihnen gesprochen und mit ihnen gearbeitet habe. All das packe ich in meine Projekte.
Ist es dir eigentlich wichtig, dass die Menschen deine Arbeiten verstehen?
Ja, absolut! Ich mag zwar Abstraktion und ich denke, sie ist sehr wichtig, um neue Ideen auszuprobieren. Ganz persönlich möchte ich aber eine Balance zwischen Abstraktion und Zugänglichkeit finden. Ich glaube, dass es in der Mitte zwischen diesen beiden Polen noch etwas gibt, und für mich ist das Poesie.
Denkst du an diese Ebene bereits, wenn du deine Werke erarbeitest? Spielt das Publikum im Entstehungsprozess eine Rolle?
Ja, weil es mir wichtig ist. Ich arbeite ja mit kleinen Gruppen und Gemeinschaften. Und ich möchte, dass die Besucher:innen meiner Ausstellungen die Ergebnisse dieser gemeinsamen Arbeit sehen, sie verstehen und anhand dessen auch ihr eigenes Leben reflektieren. Ich kann deshalb nicht allzu sehr abstrahieren.
Verfolgst du mit deiner Kunst letztendlich einen ganzheitlichen Ansatz? Geht es also einerseits um die Kunst, darüber hinaus aber auch um eine Geschichte, die du erzählen willst, und am Ende sogar um den Wunsch, etwas zu verändern?`
Ich will tatsächlich etwas mit meiner Kunst verändern. Immer! Das ist mein stärkstes Anliegen, da liegen aber auch meine größten Fähigkeiten. Ich mache jetzt schon eine Weile Kunst und mit jedem Projekt lerne ich dazu und werde etwas besser. Und der Wunsch, einen Effekt auf die beteiligten Personen zu haben und auf die Menschen, die sich das ansehen, wird immer größer. Ich sage nicht, dass es immer effektiv ist. Und ich behaupte auch nicht, damit immer erfolgreich zu sein. Aber der Wunsch und die entsprechende Haltung sind definitiv da!
KURZPORTRAIT TUAN ANDREW NGUYEN Nein, als Nachwuchskünstler geht Tuấn nicht mehr durch. Mit Jahrgang 1976 gehört er mittlerweile zur Generation der Etablierten bzw. den Mid Career Artists. Und auch die Liste an Werken und Ausstellungen besitzt mittlerweile eine epische Länge. Und dennoch befindet sich seine Karriere aktuell an einem Wendepunkt.
Tuấn wuchs in einer vietnamesischen Einwanderungsfamilie in Kalifornien auf, was seine spätere künstlerische Inspiration stark prägte. Er absolvierte ein Kunststudium an der University of California in Irvine. Während seiner Studienzeit begann er, sein Talent für visuelle Kommunikation und politische Botschaften zu entwickeln. Eine bedeutende Wende in Tuấns Karriere kam, als er das Künstlerkollektiv "The Propeller Group" gründete. Dieses Kollektiv setzte sich aus Gleichgesinnten zusammen und verfolgte das Ziel, Kunst als Mittel zur Erforschung gesellschaftlicher Fragen zu nutzen. Gemeinsam schufen sie innovative und provokante Arbeiten, die in der zeitgenössischen Kunstszene Aufmerksamkeit erregten. Tuấns Werk zeichnet sich durch seine Vielseitigkeit aus. Er nutzt verschiedene Medien wie Video, Installation und Malerei, um seine Botschaften zu vermitteln. Eine seiner bekanntesten Arbeiten ist die Videoinstallation "The Living Need Light, The Dead Need Music", die 2014 auf der Biennale in Venedig präsentiert wurde. Das Werk erforscht die vietnamesische Bestattungskultur und die Verbindung zwischen Leben und Tod.
Über die Jahre hinweg wurde Tuan Andrew Nguyen für seine künstlerischen Leistungen mehrfach ausgezeichnet und seine Werke in angesehenen Galerien und Museen weltweit ausgestellt. Seine Kunst ermutigt dazu, über die Grenzen von Kultur und Identität nachzudenken und reflektiert die Erfahrungen von Menschen, die wie er selbst zwischen verschiedenen Welten navigieren.
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Fokus auf die Opfer
Wir haben nun schon mehrfach die Gruppen erwähnt, mit denen du zusammenarbeitest. In den erwähnten Beispielen „The Boat People“ und „The Unburied Sounds“ waren es Gruppen, die in Kontext zu deiner Heimat Vietnam standen. Die inhaltliche Klammer ist aber nicht ihre Herkunft, sondern etwas anderes...
Richtig. Ich interessiere mich sehr für Bevölkerungsgruppen, die unter den Traumata von Krieg, Vertreibung und Kolonialismus gelitten haben oder immer noch leiden. Ich schaue mir an, wie sie ganz unterschiedliche Methoden und Strategien finden, um ihr Leid zu überwinden und wieder nach vorne zu schauen. Vielleicht versuche ich, darin auch etwas von mir selbst zu entdecken. Aber:
Ich bin tatsächlich sehr an diesen Gemeinschaften interessiert, deren Geschichten nicht sehr bekannt sind, die nicht Teil der großen Erzählungen sind, über die nicht gesprochen und deren Stimme nicht gehört wird. Das sind die Geschichten, die ich sehr stark fühle.
Wenn du das Schicksal und das Leid dieser Menschen betrachtest und auf die Folgen der Kolonialisierung schaust: Fühlst du dabei etwas? Stört dich das Unrecht? Oder versucht du, neutral zu bleiben?
In meinen bisherigen Arbeiten habe ich versucht, nicht allzu viel Aufmerksamkeit auf die Vergangenheit zu richten. Meine Projekte widmen sich vielmehr der Frage, wie eine Zukunft möglich ist, während das Gewicht der Geschichte noch da ist. Es ist immer da, das weiß man gerade in Deutschland sehr gut.
Diese Gemeinschaften, mit denen ich arbeite sind aber sehr hoffnungsvolle und sehr starke Gruppen, die immer wieder neue Wege finden. Meine Filme reflektieren genau das - anstatt festzustellen, dass irgendetwas schlecht war. Deshalb sind sie letztlich positiv - weil sie dokumentieren, wie die Menschen heilen und weitermachen.
Kolonialgeschichte trifft Medienkunst
Vielleicht finden wir diesen Spirit auch in der aktuellen Ausstellung „When Water Embraces Empty Space“, die nun im Edith-Russ-Haus zu sehen ist. Sie handelt ja von einem Thema, das in Deutschland nicht sehr bekannt ist, nämlich von der deutschen Kolonialzeit in Papua-Neuguinea und in diesem Zusammenhang auch von Provinienz. Wie kommt es denn, dass ausgerechnet ein vietnamesisch-amerikanischer Künstler diese Geschichte thematisiert?
Das hatte seinen Ursprung auf der Biennale in Berlin im Jahr 2022. Ich hab damals das Humboldt Forum besucht und das Luf-Boot dort ausgestellt gesehen. Ich bin sehr am Meer und an Schiffahrt interessiert, was natürlich mit meiner eigenen Biographie zu tun hat. Deswegen war ich sofort von dieser Geschichte gefesselt. Ich sprach dann mit Marcel darüber und er empfahl mir das Buch „Das Prachtboot“ von Götz Aly, das ich sofort gelesen habe. Meine Interesse wuchs ständig. Ich ging daraufhin nochmal ins Museum und dort lief ein Film zum Boot, in dem Stanley auftrat, einer der Nachfahren der Erbauer. Er berichtete von seinem Wunsch, das Boot genauer ansehen zu können, um daraus lernen und Wissen zurück nach Luf bringen zu können. Und da dämmerte es mir, dass dieses Boot das letzte seiner Art war und die Kunst es herzustellen verloren gegangen ist. Von diesem Moment an wollte ich Kontakt aufnehmen und dort ansetzen, wo dieser Film aufhörte: nämlich ihnen ermöglichen, das Boot zu sehen. Und zum Glück konnten wir diese Idee finanzieren.
Hättest du das Projekt auch umgesetzt, wenn es keine deutschen Partner:innen gegeben hätte? Oder hätte das Ganze dann niemals stattgefunden?
Ich glaube, dass zumindest die Forschung stattgefunden hätte. Die Umsetzung wäre ohne die Unterstützung von Edit und Marcel und ihre erfolgreiche Suche nach Fördermitteln aber unmöglich gewesen. Geld ist ja leider ziemlich wichtig, um Ideen umsetzen zu können. Gerade in einem Fall wie Papua-Neuguinea, wo es eine ganz eigene Form der Bürokratie gibt. Es war ungeheuer aufwändig, die Gruppe von dort nach Deutschland reisen zu lassen. Unter anderem mussten wir Pässe und Visa besorgen. Letztere galten aber nur für den Schengen-Raum, nirgendwo sonst durfte die Gruppe die Airports verlassen. All diese Komplikationen wurden letztlich sogar Teil des Projekts selbst, weil sie eine eigene Geschichte erzählen.
Wie würdest du die Ausstellung denn beschreiben? Was erwartet die Besucher:innen?
Die Ausstellung wird in unterschiedlichen Räumen vier großformatige Videos zeigen. Das erste von ihnen wird gleich nach dem Eingang eine gewaltige - gut 15 Meter lange -Projektion des Bootes sein. Das ist ganz nah dran an der tatsächlichen Größe. Ich wollte, dass die Besucher:innen einen Vorstellung von den Dimensionen bekommen. Ich habe mit einigen befreundeten CGI-Experten zusammengearbeitet, um eine realistische Abbildung zu erschaffen. Es geht unter anderem darum, das Boot im Wasser zu erleben - denn es ist schon so lange im Museum in Berlin, dass die Vorstellung schwerfällt. Das Boot geht dann auf eine ganz eigene Reise. Die weiteren Videos werden die Geschichte selbst behandeln. Stanley wird ausführlich zu Wort kommen, er ist ein sehr charismatischer Erzähler. Und danben wird es auch Skulpturen geben, die - wie vorhin schon angedeutet - die Geschichte ergänzen und Wechselwirkungen erzeugen.
Tipps zur Vertiefung: Wer sachliche. -aber dennoch spannende - Informationen zum Thema Luf-Boot sucht, sollte Götzy Alys „Das Ptachtboot“ lesen, in dem es um genau jenes Boot geht, das auch Tuan thematisiert. Ungleich lockerer ist Christian Krachts Südseeballade „Imperium“, die uns die gesamte Absurdität der Kolonialidee für Papua-Neuguinea äußerst unterhaltsam vor Augen führt.
Als du das Projekt angegangen bist, hattest du schone Ahnung davon, wie es am Ende aussehen würde? Oder ensteht das alles im Prozess?
Ich habe niemals eine Vorstellung davon, wie das Ergebnis am Ende aussieht! (lacht) Es heißt ja, wenn du einen Film drehst - vor allem einen dokumentarischen Film -, dann drehst du ihn dreimal: Zuerst, wenn du ihn dir vorstellst und vorausplanst. Ein zweites Mal, wenn du ihn tatsächlich filmst. Und zum dritten Mal, wenn du ihn schneidest und editierst. Und dieses Prinzip kann man gut auf meine Arbeit übertragen. Ich hatte keine Ahnung, in welche Richtung es gehen würde. Klar war nur, dass ich Stanley sprechen und ihm und seiner Familie die Möglichkeit eröffnen wollte, diesem Boot zu begegnen, an dessen Entstehung ihre Vorfahren beteiligt waren.
Selbst jetzt, während ich hier sitze, ist das Projekt nicht fertig. Das hilft mir ein wenig, wenn ich darüber nachdenke, dass ich vielleicht das eine oder anderen noch anders hätte machen müssen. (lacht) Es ist aber klar, dass die Geschichte nicht zu Ende ist und ich hoffe, ich werde ebenfalls weiterhin Teil davon sein, Die Reise geht weiter.
Lass uns nochmal kurz zurückkommen auf deinen Wunsch, mit deiner Kunst etwas verändern zu wollen. Glaubst du, die Ausstellung kann den Lauf der Dinge beeinflussen?
Das hoffe ich. Ich hoffe, ich kann etwas beitragen - und bewirke nicht etwa versehentlich das Gegenteil. Stanley und seine Familie liegen mit wirklich am Herzen und ich will sie unterstützen. Ganz unabhängig davon, was passieren wird, bin und bleibe ich ihr Freund, ihr Kollege, ihr Co-Worker. Ich denke, das ist alles was ich in diesem Moment dazu sagen kann, denn niemand weiß, wie es letztlich weitergeht.
Aber wir sind schon gespannt - und haben nun gute Gründe nach London und Toronto zu reisen, um den Fortschritt zu beobachten. Denn dorthin wird diese Ausstellung .als nächstes wandern. Vielen Dank für das spannende Gespräch, Tuấn!
When Water Embraces Empty Space
Keine Frage: Tuấn ist tatsächlich ein wahrer Storyteller. Bescheiden und zurückhaltend zwar, aber voller kluger Gedanken und spannenden Geschichten. Ihm gelingt der Spagat zwischen einer wichtigen Botschaft, und eine gelungenen künstlerischen - tatsächlich poetischen - Inszenierung. Er muss dem Publikum keine plakative Botschaft mit auf den Weg geben, damit es ihm folgen kann. Er lässt die Geschichten wirken - und genau das tun sie durch die kunstvolle Inszenierung.
Bei „When Water Embarces Empty Space“ kommt noch etwas hinzu: Es ist die deutsche Kolonialgeschichte, die hier thematisiert wird. Das Thema betrifft uns, ob wir wollen oder nicht. Denn auch wenn wir selbst nicht persönlich in Rabaul oder Herbertshöhe im Kaiser-Wilhem-Land an den Verbrechen beteiligt waren, so wirken sie doch bis heute nach. Und wir dürfen uns die Frage stellen, ob wir heute nicht auch noch andere Formen des Kolonialismus fortsetzen. Damit würden wir jedenfalls genau das tun, was Tuan Andrew Nguyen beabsichtigt. Man sollte ihm dankbar sein - und unbedingt seine großartige Ausstellung besuchen.
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