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FUNNY BONE

Was bedeutet es, Kunst zu erleben, die sich der greifbaren Realität entzieht? Warum können einzelne, singuläre Striche, auf einer blanken Leinwand zu wertvoller, bereichernder und bewegender Kunst werden? Wer das herausfinden möchte, findet in der Auseinandersetzung mit Jenny Brosinskis neuer Ausstellung "Funny Bone" im Oldenburger Kunstverein sehr wahrscheinlich seine persönlichen, individuellen Antworten. Und darum geht es ja! Was wir damit meinen? Das lest ihr hier.

Nahaufnahme eines Werkes der Künstlerin Jenny Brosinski aus der Ausstellung Funny Bone im Oldenburger Kunstverein
Lasst uns häufiger (metaphorisch) an der Oberfläche kratzen und schauen, was dahinter liegt. Bild: Jenny Brosinski
 

JENNY BROSINSKI - FUNNY BONE


26135 OLDENBURG NOCH BIS 09. FEBRUAR 2025

 

Man könnte es sich so leicht machen. Gerade die abstrakte und minimalistische Kunst hat immer wieder damit zu kämpfen, dass ihr der Rang wirklicher Kunst abgesprochen wird. Es klingen einem bereits die großspurigen Kommentare à la „Und das soll jetzt Kunst sein? Das kann ich doch auch!“ oder noch schlimmer „Ist das Kunst oder kann das weg?“ in den Ohren.


Bild: Jenny Brosinski, What Is Mine Will Always Fine Me, 2024 aus der Ausstellung Funny Bone im Oldenburger Kunstverein
Wann werden Formen zu etwas Gegenständlichem? Bild: Jenny Brosinski, What Is Mine Will Always Fine Me 2024

Und natürlich ist dieser Reflex in erster Instanz und in gewisser Hinsicht durchaus verständlich. Denn ein Werk, das beispielsweise „nur“ auf einzelnen Strichen basiert, zu sehen, weckt wahrscheinlich für viele die Assoziation der (eigenen) Kindheit und den ersten Gehversuchen, etwas gestalterisch festzuhalten und den Dingen der wirklichen Welt ihre tatsächliche Form zu verleihen. Wir alle mussten das vermutlich lernen und waren, je nach malerischer Begabung, mal mehr, mal weniger erfolgreich dabei. So ist für viele von uns, wenn nicht sogar für uns alle, die Darstellung einer tatsächlichen Form, die wir schon nach unserem ersten Blick in dieser Welt verorten können, in dieser Perspektive ein Merkmal von künstlerischer Qualität. „Ich erkenne es, ich kann es definieren, also kann ich es auch als Kunst akzeptieren.“ Doch so einfach ist es natürlich bei weitem nicht!

Zwischen Expressivität und Minimalismus


Denn warum sollte ausschließlich dieser Anspruch an Kunst etwas über ihre Qualität verraten? Warum sollte nur das hochwertige Kunst sein, was bereits an der obersten Oberfläche, binnen der ersten Sekunde, für jedes Auge klar erkennbar einem vermeintlichen technischen Anspruch genügt? Die abstrakte Malerei wurde seit ihren Anfängen zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts als ein klarer und bewusster Bruch mit der traditionellen Malerei verstanden. Daraus hat sich eine neue Tradition gebildet, die auch in der zeitgenössischen Kunst ihre eigenständigen Ausdrucksformen findet. Sie fordert die Betrachterinnen und Betrachter heraus, stellt ihnen Werke gegenüber, die ein Ausharren erfordern und den Blick für die Ebenen hinter dem vermeintlichen und besagten schnellen ersten Blick fördern.


Bild: Jenny Brosinski, We Were Right 'Till We Weren't, 2024 aus der Ausstellung Funny Bone im Oldenburger Kunstverein
Werke, die nichts verstecken wollen. Bild: Jenny Brosinski, We Were Right 'Till We Weren't, 2024

Jenny Brosinski, die an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee studierte und dort ihr Studium als Meisterschülerin beendete, zählt hierbei zu den spannendsten Stimmen dieser zeitgenössischen abstrakten Malerei. Sie lädt uns in eine Welt ein, in der Reduktion auf das Wesentliche einen Dialog über Komplexität eröffnet und vertritt in der heutigen Generation abstrakter Malerinnen und Maler mit ihrer einzigartigen Verbindung von Expressivität und Minimalismus eine besondere und bedeutende Position.


Teil des Werkes


In ihren Gemälden verwendet sie Materialien wie Ölfarbe, Holzkohle und Grafit, doch auch Unkonventionelles wie Olivenöl findet immer wieder den Weg auf ihre Leinwände. Dabei entstehen zarte Schatten, die den jeweiligen Werken eine besondere Tiefe verleihen und nur erkennbar werden, wenn man ihnen die volle Aufmerksamkeit schenkt. Da sie ihre Leinwände nicht grundiert, spielt auch das rohe Medium in seiner Stofflichkeit eine Rolle in der letztlichen Wahrnehmung ihrer Werke. Die Leinwand ist nicht bloßer Bildträger, sondern bewusster Teil des Werkes, was etwas Rohes erzeugt und dabei gleichzeitig Ehrlichkeit vermittelt.


Besonders spannend ist hierbei der Kontrast zu den im Oldenburger Kunstverein ausgestellten Zeichnungen der Künstlerin. Denn für Brosinski sei die Auseinandersetzung mit dem Material, der Grundlage, auf der sie ihr Schaffen verewigt, von wesentlicher Bedeutung. Deshalb grundiert sie, ganz entgegen des üblichen Vorgehens, ihr Papier und verleiht diesem hierdurch bedeutsame Unebenheiten und eine völlig neue Beschaffenheit, die in der inneren Einstellung zum künstlerischen Schaffen etwas ganz bewusst Handwerkliches ausstrahlen. Denn aus einer eben solchen Handwerksfamilie stammt Brosinski auch selbst.


Hinterfragen & Verstehen


Bild: Jenny Brosinski, Talk To Myself For Hours, 2024 aus der Ausstellung Funny Bone im Oldenburger Kunstverein
Wenn jeder Strich von Bedeutung ist. Bild: Jenny Brosinski, Talk To Myself For Hours, 2024

Natürlich hinterfrage auch sie immer mal wieder ihr Schaffen und habe Zweifel, erzählt Brosinski im Gespräch. Doch gerade diese Momente versuche sie in ihrer Arbeit zu manifestieren, und oftmals liege gerade hier, in den unerwarteten Wendungen und dem Unerklärlichen, das, was sie am Malen wirklich liebe. So steht man innerhalb der Ausstellung beispielsweise einer fast vier Meter hohen Leinwand gegenüber, an deren Spitze eine Art pinke Wolke thront. Gerade auf dieser Größe bleibt vieles der ursprünglichen Leinwand frei und erkennbar. Für Brosinski sei gerade eine solche Entscheidung total wichtig, weil eben diese Nichtanwesenheit einen klaren Kontrast zu einem vor Selbstbewusstsein strotzenden, einnehmenden Auftreten anderer Werke dieser Größe darstelle. Ein Zulassen des Zweifels, des Nachdenkens und Reflektierens in Form einer Leinwand, der der entsprechende Raum verliehen wird, den es benötigt. Denn sind nicht auch wir oftmals viel mehr mit uns selbst im Zweifel, als wir es nach außen zugeben möchten?


Auch stehe sie ganz bewusst in einem inneren Austausch mit ihren Arbeiten darüber, wann der richtige Zeitpunkt gekommen sei, sie loszulassen. Ein Entscheidungsprozess, der sich auch über längere Zeit hinweg abspielen kann, weshalb sie immer an mehreren Werken zur selben Zeit arbeite und zwischen Leinwänden, Zeichnungen oder auch Skulpturen rotiere. Dieser Abstand von Zeit zu Zeit sei auch deshalb wichtig, um immer wieder einen klaren Blick für die wesentlichen Dinge zu finden, denn gerade wenn eben so vermeintlich wenig auf den Leinwänden passiere, wie es bei ihr der Fall sei, stehe natürlich jeder Strich, jede Entscheidung viel stärker auf dem Prüfstand, und nichts könne man wirklich vor den Augen der Betrachtenden verstecken. Ihr persönlicher Anspruch ist, dass diejenigen, die ihre Kunst betrachten, die Möglichkeit haben, das gleiche Verständnis wie sie selbst für ihre Arbeiten zu entwickeln.


Das fehlende Puzzleteil


Obwohl in ihrem Atelier oftmals eher die Stille vorherrsche und der Fokus möglichst immer auf ihren Arbeiten stehe, sei es trotzdem nach Abschluss eines Bildes oftmals die Musik, die ihr zufällig in der Welt begegne und sich wie das letzte, entscheidende und fehlende Puzzleteil einfüge und so mehrfach bereits die Grundlage ihrer Werktitel wurde, wie auch in der aktuellen Ausstellung der Fall. So tragen gleich mehrere Arbeiten Einzelreferenzen zu Songs von Miley Cyrus im Titel und eröffnen dabei natürlich die Frage einer innerlichen Zugehörigkeit, die zudem eine Brücke zwischen Pop- und Hochkultur schlägt.


Bild: Jenny Brosinski, I Can Take Myself Dancing, 2024 aus der Ausstellung Funny Bone im Oldenburger Kunstverein
Eine Vase? Oder doch nur ein Pinselstrich? Bild: Jenny Brosinski, I Can Take Myself Dancing, 2024

Wir sollten es uns also nie zu einfach machen. Denn „Funny Bone“ ist ein fantastisches Beispiel dafür, was passiert, wenn wir uns selbst und unsere Wahrnehmungen herausfordern, uns auf Werke einlassen und uns die Zeit geben zu verweilen. Brosinski selbst fragte sich als Kind immer, was sich wohl in ihrem Bilderbuch hinter dem Lebkuchenhaus der Hexe bei Hänsel und Gretel verberge und erdachte sich, was sie wohl dort erwarten würde. Wir sollten es Brosinski gleichtun und ebenfalls unseren Blick auf die Ebenen richten, die hinter dem liegen, was wir auf der vermeintlichen Oberfläche der Kunst zu erkennen glauben.


Wir wünschen viel Spaß bei der Ausstellung!

 

Mehr Infos zu Jenny Brosinski gibt es hier: https://jennybrosinski.com/

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