Fortschritt, der unsere Gesellschaft als Ganze nachhaltig und positiv beeinflusst, findet nie von allein statt. Er braucht mutige Menschen und gerade sie sind es, die langfristige Veränderungen zum Guten anstoßen. Eine solche Frau war Johanna ("Hanna") Hofmann-Stirnemann. Der ersten deutschen Museumsdirektorin, die auch ihre Spuren in Oldenburg hinterließ, hat das Landesmuseum nicht nur eine eigene Kabinettschau gewidmet, sondern auch einen Raum für uns alle. Was es damit auf sich hat, lest ihr hier.
HANNA STIRNEMANN KABINETTSCHAU NOCH BIS 06. APRIL '25 LANDESMUSEUM KUNST & KULTUR OLDENBURG PRINZENPALAIS
Pi·o·nier, Pionierin /Pioniér/ Jemand, der auf einem bestimmten Gebiet bahnbrechend ist; Wegbereiter |
Wir vergessen es nur allzu leicht, gerade in diesen Zeiten und sind uns unserer bisherigen Errungenschaften zu gewiss, halten sie für selbstverständlich. Dabei ist es doch so, dass wir all die Dinge auf die wir uns als demokratische Gesellschaft berufen, dem Mut Einzelner zu Verdanken haben, die einen bestimmten Schritt wagten oder sich mit Missständen nicht zufrieden geben wollten und so dazu beitrugen, dass sich die bisherigen Verhältnisse zum Besseren wendeten.
Hanna Stirnemann drang in die Welt der Museen und der Kunst zu einer Zeit voller Umbrüche - gesellschaftlich, politisch als auch kulturell. Dass eine Frau wie Hanna Stirnemann in den 1930er Jahren nicht nur die erste öffentlich bestellte Museumsdirektorin im Stadtmuseum Jena, sondern zusätzlich in Personalunion auch die Geschäftsführerin des Jenaer Kunstvereins wurde war nicht nur ungewöhnlich – es war revolutionär. Dabei war sie keine Museumsleiterin, die einfach nur sammelte und katalogisierte. Sie verstand Museen in ihrer Gänze als lebendige Orte des gesellschaftlichen Austauschs für alle sozialen Bevölkerungsgruppen, als Foren für das Zeitgenössische.
Kompromissloser Einsatz
Ihr Anliegen war es nicht, die Vergangenheit hinter Glas zu konservieren, sondern sie in Verbindung mit der Gegenwart zu bringen. Hierzu arbeitete sie auch mit Schulen Volkshochschulen und Vereinen zusammen. Eine Haltung, die sie wahrscheinlich bereits in den Jahren 1927-1929 entwickelte, als sie hier in Oldenburg am Landesmuseum Kunst & Kulturgeschichte als wissenschaftliche Hilfskraft ihre rasante Karriere begann.
Abseits ihres kompromisslosen Einsatzes für die Kunst und das Kunstgewerbe der Gegenwart, engagierte sie sich vor allem für die Kunst von Frauen. Deshalb ist es nur einleuchtend, dass die Kabinettschau auch entsprechend in einem Raum Werke der Künstlerinnen zeigt, die Stirnemann immer wieder beschäftigten. Einige der Künstlerinnen lernte sie in Oldenburg kennen, andere stellte sie in Ausstellungen und Publikationen vor. Ihre Ausstellung "Gestaltende Arbeit der Frau" von 1932 in Jena regte zudem ihren damaligen Vorgesetzten, Walter Müller-Wulckow, zu Erwerbungen für das Landesmuseum an.
Mehr als ein Raum
So lassen sich also in der Sammlung des Hauses immer wieder Einflüsse von Stirnemann und Rückbezüge auf ihre Zeit in unserer Huntestadt finden. Doch diese Einflüsse und Bezüge liegen nicht nur in der Vergangenheit, sondern haben darüber hinaus in jüngster Vergangenheit eine fantastische Ergänzung erhalten. Denn nicht nur eine Kabinettschau widmete man Stirnemann anlässlich ihres 125. Geburtstages, sondern gleich eine ganze Räumlichkeit im Schloss des Landesmuseums - nämlich die "Hanna Stirnemann Lounge".
Während man mit der klassischen Lounge sonst für gewöhnlich einen Rückzugsraum verbindet, der oft nur einer bestimmten Gruppe zugänglich ist – sei es durch ein bestimmtes Ticket, eine Mitgliedschaft oder einen vorherrschenden Konsumzwang – gehört die Hannah Stirnemann Lounge uns allen. Der Eintritt ist frei, ihr müsst kein Ticket im Schloss des Landesmuseums kaufen und die Nutzung ist an keinerlei Bedingungen geknüpft (abseits eines pfleglichen Umgangs versteht sich).
Ganz im Geiste
Der Begriff der Lounge wurde hier gekonnt aufgegriffen und zu einem größeren, metaphorischen Bild gewandelt. Ja, sie ist weiterhin Aufenthaltsraum. Ja, sie lädt zum Verweilen ein. Doch im Gegensatz zur klassischen Bedeutung ist sie keine exklusive, abgeschottete Komfortzone, sondern ein bewusst offener Raum, der nicht dazu da ist, Menschen herauszufiltern, sondern sie hereinzulassen. Gerade die imposante Architektur, das historische Erbe und die damit verbundene Bedeutung können potenziell ebenso eine einschüchternde Wirkung auf Außenstehende haben, der das Landesmuseum nun mit der Lounge sowohl im ästhetischen als auch symbolischen Sinne genau das richtige Zeichen entgegensetzt und damit diese ohnehin schon vorherrschende Offenheit nochmals deutlich unterstreicht.
Das ist auch deshalb entscheidend, weil es genau dort an die Überzeugungen von Hanna Stirnemann anknüpft und sie zur perfekten Namensgeberin für einen solchen Ort macht. Sie glaubte daran, dass Kunst und Kultur nicht nur einem elitären Kreis vorbehalten sein dürfen, sondern so vielen Menschen wie nur irgendwie möglich zugänglich gemacht werden müssen. Hier können sie nun miteinander ins Gespräch kommen, lesen, arbeiten, diskutieren oder auch gemeinsam Kunst erleben.
Wenn sich Hannah Stirnemann also je gefragt haben sollte, was ein Museum mehr sein kann als eine bloße Sammlung, findet sich im Schloss des Landesmuseums nun eine Antwort, natürlich nachdem man sich im Prinzenpalais die aktuelle Kabinettschau zu Gemüte geführt hat, die ihr vermutlich sehr gefallen hätte.
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