Eine Reise ist mehr als nur ein reiner Ortswechsel, sie ist oftmals der Beginn einer Geschichte. Deniz Utlu, der aktuelle Landgang-Stipendiat, unternahm eine solche literarische Entdeckungsreise durchs Oldenburger Land. Warum das Unterwegssein für ihn nie endet? Wie die Magie unerwarteter Begegnungen seine Kunst beflügelt? Das lest ihr hier!
In der Literatur im Allgemeinen spielt die Reise seit jeher eine besondere Rolle. Sie ist nicht nur ein Motiv, das den Aufbruch, das Unterwegssein und die Ankunft beschreibt, sondern auch ein Symbol für die innere Suche, das Finden und Verlieren. Schon in den klassischen Erzählungen und Texten steht die Reise als Metapher für Selbstfindung, Entwicklung, und dieser Gedanke prägt auch die Arbeit von Deniz Utlu maßgeblich.
Utlu ist aktueller Träger des Landgang Stipendiums, das vom Literaturhaus Oldenburg gemeinsam mit der Kulturstiftung Öffentliche Oldenburg vergeben wird und etablierten Schriftstellerinnen eine besondere Möglichkeit bietet: eine literarische Reise durch das Oldenburger Land. Dabei geht es um mehr als das bloße Schreiben – das Stipendium soll Autorinnen und Autoren dazu inspirieren, die Region, das Oldenburger Land mit offenen Augen zu erkunden und das Erlebte im Anschluss literarisch zu verarbeiten. Input: Inspiration. Output: Literatur. Seit 2015 entstanden so bereits zahlreiche Werke von namenhaften Schriftstellerinnen und Schriftstellern wie Matthias Politycki, Marion Poschmann, Michael Kumpfmüller, Mirko Bonné, Judith Hermann, Jan Brandt, Iris Wolff, David Wagner und Judith Kuckart, die bereits mit dem Buch "Fünf Landgänge" verewigt wurden. Ein weiteres Buch soll in Zukunft folgen! Für Utlu war das Motiv des "ständig Unterwegsseins" dabei mit Nichten ein unbekanntes.
„Schreiben ist irgendwie immer eine Reise, eine innere Reise, eine äußere Reise, eine Reise zu einem selbst. Eine Reise weg von sich selbst.“, so Utlu.
ÜBER DENIZ UTLU
Geboren 1983 in Hannover, studierte er Volkswirtschaftslehre in Berlin und Paris. Von 2003 bis 2014 gab er das Kultur- und Gesellschaftsmagazin freitext heraus. Sein Debütroman „Die Ungehaltenen“ erschien 2014 und wurde 2015 im Maxim Gorki Theater für die Bühne adaptiert. Von 2017 bis 2019 schrieb er für den Tagesspiegel die Kolumne „Einträge ins Logbuch“. 2019 erschien sein zweiter Roman „Gegen Morgen“, 2023 sein dritter Roman „Vaters Meer“. Deniz Utlu hat zudem Theaterstücke, Lyrik und Essays verfasst (unter anderem für FAZ, SZ und Tagesspiegel). Er forscht am Deutschen Institut für Menschenrechte und veranstaltet am Maxim Gorki Theater die Literaturreihe „Prosa der Verhältnisse“. |
Zuhören und Beobachten
Dabei sieht er sich nicht zwangsläufig als einen aktiven Teilnehmer des Szenarios einer solchen Reise, der ganz bewusst den Prozess der Recherche verfolgt sondern viel eher als eine Art stillen Beobachter, der versucht, auf seinem Wege möglichst viele Eindrücke aufzusaugen. Dieser Prozess der Wahrnehmung ist für Utlu essenziell. Nicht nur während seiner Reise, sondern auch in seiner gesamten Arbeit als Schriftsteller spielt das Beobachten eine zentrale Rolle. „Welche Eindrücke bleiben? Welche Gesprächsfetzen, welche Stimmungen, welche Bilder?“
Wichtig sei ihm dabei auch, alle Vorannahmen über das, was einen erwarten könnte, beiseite zu legen, um so unvoreingenommen an die Situation wie nur irgendwie möglich herangehen zu können. Zwar ließe sich ein gewisses Maß an Vorkenntnissen nicht vermeiden, doch versuche er diese ganz bewusst von sich in den Momenten der Reise abzukoppeln, was ihm zwar mittlerweile sehr gut gelinge, aber trotzdem eine Sache der Übung gewesen sei, wie er verrät.
DER SOUNDTRACK EINER REISE
Was könnte spannender sein, als die Frage, durch welchen Soundtrack eine Reise begleitet wurde. Vor allem, wenn am Ende dieser Reise ein Text entstehen wird. Auch Deniz Utlu hat während seiner Reise durch das Oldenburger Land genau hingehört, nicht nur auf die Stimmen der Menschen, sondern auch auf die Klänge, die ihn auf seiner literarischen Reise begleiteten. Wir freuen uns, euch an dieser Auswahl teilhaben lassen zu können:
NILÜFER YANYA
IBEYI
ISCHIA
KENDRICK LAMAR
WASIS DIOP
THE ROOTS
Verstehen wollen
Auch seine persönliche Reise durch das Leben verlief in ungewöhnlichen und doch erstaunlichen Bahnen. Denn obwohl bereits im frühesten Alter für Utlu klar war, dass seine Bestimmung das Schreiben ist, entschied er sich für ein Studium der Volkswirtschafslehre aus einem ganz besonderen Grund: Er wollte die materiellen Grundlagen der Gesellschaft verstehen, die Mechanismen und Strukturen, die unser tägliches Leben formen.
Dabei las er nicht nur, er verschlang förmlich die sogenannten Primärtexte – die Klassiker der Volkswirtschaftslehre, von Karl Marx bis zu den Naturrechtsphilosophen: schwerste literarische Kost. Für ihn war es nicht nur akademisches Wissen, sondern eine Grundlage, um die Welt, die er literarisch verarbeitete, zu begreifen. „Das Studium war für mich eine Art, die Welt anders zu sehen“, sagt er. Denn letztlich ist auch das Schreiben eine Art der Analyse – ein Versuch, die Welt zu verstehen, zu hinterfragen und in Worte zu fassen.
Auf ein Wiedersehen
Deniz Utlu ist der Beweis, dass das Reisen – sei es im wörtlichen als auch im metaphorischen Sinne – ein unerschöpflicher Quell der Inspiration ist, eine Suche nach neuen Eindrücken, Geschichten und sich selbst. Bereits jetzt schwebt ihm eine Idee, die jedoch vorerst noch ein wohlbehütetes Geheimnis bleibt, für den Text vor, mit welchem er im Frühjahr 2025 im Rahmen des Landgang-Projekts ein zweites Mal in den Nordwesten, zu den Stationen reisen wird, die ihn zum dann vorgetragenen Werk inspiriert haben. Monika Eden, die Leiterin des Oldenburger Literaturhauses, begleitet die Veranstaltungen als Projektleiterin und Moderatorin. Wir sind gespannt was uns erwartet!
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