Ein halbes Jahr hat Jonas Meyburg, erster Stipendiat der Oldenburger Kunstschule, in seinem Studio 10 in der Langen Straße gearbeitet. Der Bildhauer und Klangkünstler erschuf ein Kunstwerk, das ganz direkt mit Oldenburg verbunden ist - und das uns zeigt, dass auch Oldenburg selbst über Verbindungen verfügt, die wir bisher übersehen haben. Wir haben „Infraaktif“ für euch ausprobiert.
Zugegeben: Wenn man sich eine Weile in Oldenburg aufhält, drängt sich irgendwann der Eindruck auf, man hätte die Stadt voll erfasst. Das liegt unter anderem am Monozentrismus: Mit der Innenstadt gibt es im Grunde nur eine urbane Zone, darüber hinaus wenige Subzentren, die eine ganz eigene Dynamik kreieren würden.
Und doch liegt man mit diesem Eindruck falsch, selbst wenn er auf jahrelangen Beobachtungen beruhigt. Denn von unserer Stadt sehen wir immer nur einen Teil, nämlich ihre Oberfläche im Hier und Jetzt. Jenseits davon gibt es aber noch sehr viel mehr zu entdecken. Und manchmal braucht es für so etwas das genaue Gegenteil der genauen Ortskenntnis, nämlich den unverbrauchten Blick von außen - den Jonas Meyburg mit nach Oldenburg gebracht hat.
INFRAAKTIF
EIN INFRASTRUKTURELLES RADIOFEATURE
12. NOVEMBER
19. NOVEMBER
26. NOVEMBER
14-18 UHR
ÖFFENTLICHER SOUNDWALK
JEWEILS 15 UHR
STUDIO 10
26122 OLDENBURG
Akustischer Stadtrundgang
Wir besuchen Jonas an einem ruhigen Mittwochvormittag, ausnahmsweise regnet es nicht und man kann durch einen Wolkenschleier sogar die Sonne erkennen. Wie immer wirkt der junge Bildhauer, Produktdesigner und Soundtüftler entspannt, wie immer täuscht dieser Eindruck aber. „Ich bereite gerade meine Ausstellung 'Of not moving at all' vor“, lacht er, als wir ihn darauf ansprechen. „Es ist nicht mehr viel Zeit - und noch viel zu tun!“
Bei seinem anderen Projekt - dem infrastrukturellen Radiofeature „Infraaktiv“ - muss er aber zum Glück selber nicht mehr tätig werden. Fleißig war er dafür in den letzten Monaten: Viele Gespräche hat er für den akustischen Stadtrundgang geführt und aufgenommen, fünfzehn von ihnen haben ihren Weg in den Soundwalk gefunden. Was dort zu hören ist? Und wie das alles funktioniert? Das erfährt man nur, wenn man sich eine Box schnappt und auf den Weg macht. Genau das haben wir getan - Jonas hatte ja eh zu tun.
Die Neuentdeckung Oldenburgs
Raus geht's, aus dem Studio erstmal nach links, Richtung Kurwickstraße. Sofort geht's los: Mit sonorer Stimme nennt Jonas zunächst allerlei statistische Daten zu Oldenburg, die uns auf unsere Expedition einstimmen. Diese Elemente wirken zunächst etwas random, sie werden im Laufe des Spaziergangs aber immer wieder auftauchen und bilden eine eigene Geschichte, die am Ende in einer wunderbaren Absurdität gipfelt. Ohne zu viel zu verraten, könnten sich einige Hörer:innen am Ende berufen fühlen, Zitronen anzubauen und/oder den Niederlanden einen Teil ihres Staatsgebiets abzuschwatzen.
Auch wenn Jonas' Zahlenspiele nicht uninteressant sind, verblassen sie doch im Vergleich zu den Beiträgen seiner fünfzehn Gesprächspartner:innen. Alle, die wir bei unserem Gang hören durften, verfügen über ein mehr oder weniger großes Erzähltalent und wissen ihren Anekdoten und Erzählungen gut zu verbalisieren. Dabei handelt es sich häufig „nur“ um Fachleute, die von ihrem Schaffensgebiet erzählen. Ist das trocken? Nein gar nicht!
Der Clou des Soundwalks: Die Beiträge werden nicht einfach hintereinander runtergerattert, sie werden von uns Spaziergänger:innen selbst ausgelöst, indem wir uns durch die Stadt bewegen. Immer wieder kommen es zu „Szenenwechseln, wenn wir uns an einen Ort bewegen, der GPS einen neuen Beitrag startet. Als eine gute Lösung erweist sich dabei, dass der jeweils laufende Beitrag erst zu Ende geführt wird, bevor ein anderer startet. So entsteht auch bei flotterem Tempo kein Durcheinander.
Unterirdisch und oberflächlich!?
Apropos: Zu welchem Thema hört man denn nun etwas? Über die Geschichte der Stadt weiß man ja fast alles - und die Gegenwart sieht man ja mit eigenen Augen. Außerdem gibt es doch Stadtführungen, die fast dieselbe Aufgabe übernehmen. Oder etwa nicht? Nein, tatsächlich ist es hier etwas anders. Thematisch steht hier nämlich nicht das Offensichtliche im Mittelpunkt, sondern Dinge, die man kaum sieht oder wahrnimmt - nämlich die Netzwerke der Stadt.
So geht es um die Wunderwelt der Kanalisation, um Verkehrswege zu Lande und zu Wasser, um Versorgungsleitungen für Gas und Strom, aber auch um Gerüche und Gefahren, um Alltag und Außergewöhnliches. All das ist klingt vielleicht nach Zweckmäßigkeit - und ja, all diese Infrastrukturen sind auch zweckmäßig. Aber das macht die Erzählungen nicht etwa langweiliger, sondern spannender, weil man immer wieder denkt: „Hey, ja, das war mir noch gar nicht bewusst!“ Wenn man so will, dann zeigt den Oldenburgerinnen ausgerechnet ein Auswärtiger, welch spannende Themen sich hier verbergen und wie interessant man sie erzählen kann. Chapeau!
Kunstschulstipendiat Jonas Meyburg Keiner von der Stange Es ist so sicher wie das Amen in der Kirche: Mit seinem „Infraaktif“-Projekt wird Jonas einige Menschen absolut abholen, anderen wird er damit überhaupt nicht erreichen. Und auch der Grund dafür ist ziemlich klar: Es sind seine Ambitionen, die über diejenigen von Gelegenheitskünstler:innen weit hinausgehen. Man kann es als Manko werten oder aber als Feature: Die Kunst von Jonas Meyburg ist nicht immer selbsterklärend. Man muss sich ihr sehr bewusst widmen, um all ihre Facetten und Denkwege erfassen zu können. Und selbst dann gelingt es nicht immer. Immerhin: Im Gegensatz zur Ausstellung „Labor 2“, die er mit seinem Kollektiv Unit404 im August 2023 realisierte, erweist sich „Infraaktif“ als sehr viel zugänglicher. Denn selbst wenn man keinen übergeordneten Kontext herstellen mag, sind die Geschichten der fünfzehn Beteiligten interessanten und eröffneten einen Blick auf Oldenburger Details, denen wir sonst keine Aufmerksamkeit schenken. Wer mehr über Jonas und seine Arbeitsweisen erfahren möchte, dem sei unser episches Portrait „Sound and the City“ ans Herz gelegt, das sich auch jetzt - nach dem Ende des Stipendiums - noch lohnt, weil Jonas eben keiner von der Stange ist.
|
Abenteuer Alltag
Nein, das Rad erfindet Jonas Meyburg mit „Infraaktif“ nicht neu. Wie bei (fast) jeder anderen Stadtführung geht man zu Fuß durch die City und schaut sich um. Auch gab es hier und da schon GPS-gesteuerte Anwendungen. Um ein neues Rad ging es aber auch nicht, sondern vielmehr um neue Wege, das Altbekannte zu sehen. Und was diese Mission betrifft, ist „Infraaktif“ sehr erfolgreich.
Teile des Kulturschnacks haben mehr als eine Dekade im Rathaus gearbeitet, kennen zumindest aus Erzählungen eigentlich jeden Stein der Stadt. Und doch bot das infrastrukturelle Radiofeature viel Neues - weil es sich den unsichtbaren Netzwerken der Stadt widmet und weil es das auf eine interessante Art und Weise tut.
Die Holzbox schien zwar im Laufe des Spaziergangs immer schwerer zu werden, aber das mag auch an Trainingsdefiziten im Team Kulturschnack gelegen haben. Was dagegen konstant - und zwar konstant hoch - blieb, war das Interesse an den Beiträgen auf unseren Ohren. Sie wurden trotz ihrer Vielzahl zu keiner Zeit langweilig - vielleicht auch, weil Jonas sie mit seiner kuriosen Parallelgeschichte verknüpft, bei der man sich stets die Frage stellt, wohin sie führen mag.
So oder so ist es ein Gewinn, die Stadt einmal anders zu sehen als sonst - mit einem frischen Blick für Details, die man zuvor nie registriert hat. Schließlich halten auch wir uns schon eine Weile in Oldenburg auf und hatten bisweilen den Eindruck, wir hätten die Stadt voll erfasst. Dieser Eindruck täuschte aber auch bei uns. Und bei euch? Findet's raus!
Comments