Am ersten Augustwochenende finden die 40. Internationalen Keramiktage statt und teilen die Bevölkerung einmal mehr in zwei Bereiche: Die einen lieben den Markt auf dem Schlossplatz über alles - die anderen könnten sich nicht weniger dafür interessieren. Wie findet man die Begeisterung für dieses Thema? Darüber haben wir mit Nicola Heppner gesprochen. Als Geschäftsführerin der Werkschule ist sie für die Durchführung des Großereignisses verantwortlich. Ihre Antworten lest ihr hier!
Nein, romantisch verklärt ist unser Verhältnis zur Keramik nicht gerade. Aus unserem Alltag kennen wir sie vor allem als Waschbecken und Kloschüsseln. Tatsächlich überzeugt der Werkstoff durch seine hohe Alltagstauglichkeit: Hitze, Schmutz oder Säure können ihm nichts anhaben. Die Wahrnehmung hat sich zwar verändert, seitdem Keramik in Hightech-Bereichen eingesetzt wird. So bestehen die Hitzeschilde des Space Shuttle aus diesem Material, ebenso Luxus-Uhren und teure Smartphones. Es sind aber auch hier die funktionalen Eigenschaften der Keramik, die sie so nützlich machen.
Dabei ist sie ihrem Wesen nach etwas ganz anderes. Das zeigt der Blick zurück in die Vergangenheit, genauer gesagt in die Steinzeit. Obwohl der Cro-Magnon-Mensch vor etwa 30.000 Jahren nomadisch lebte und in erster Linie mit dem Überleben beschäftigt war, gelangen ihm damals bereits eindrucksvolle Kunstwerke. Woraus? Ihr ahnt es: aus Keramik! Das macht sie zu einem der ältesten Kunst-Stoffen der Welt. Zum Vergleich: die berühmten Höhlenmalereien in den spanischen Altamira- oder den französischen Lascaux-Höhlen sind „nur“ 15.000 Jahre alt. Höchste Zeit also, die Keramik von der Profanität des Alltags zu befreien!
WERKSCHULE E.V.
40. INTERNATIONALE KERAMIKTAGE OLDENBURG
SAMSTAG, 5. AUGUST
10 BIS 18 UHR
SONNTAG, 6. AUGUST
11 BIS 18 UHR
26122 OLDENBURG
Vielfalt der Farben und Formen
Der ideale Ausgangspunkt dafür sind die Internationalen Keramiktage Oldenburg. Hier geht es zwar nicht um spektakuläre Einsatzgebiete wie die Raumfahrt. Dafür kann man aber einen sehr guten Eindruck von künstlerischen Keramiken erhalten. Wer am ersten Augustwochenende über den - hoffentlich sonnigen - Schlossplatz schlendert, taucht ein in eine Welt aus Farben und Formen. Schnell wird dabei deutlich, dass Keramik zwar viele praktische Eigenschaften besitzt, dass sie aber besonders gut für kreative Schöpfungsprozesse geeignet ist.
Offenbar erschließt sich der Reiz aber erst auf den zweiten Blick, anders wäre die eingangs erwähnte Zweiteilung des potenziellen Publikums nicht zu erklären. Trotz der enormen Präsenz der Keramik in unseren täglichen Routinen, in besonderen Anwendungsgebieten wie der Raumfahrt und in der internationalen Kunstszene besteht also Bedarf an Aufklärung.
Am Montag, den 1. August, sind es nur noch wenige Tage bis zum Start der Keramiktage. Rund um das Planungsteam der Werkschule herrscht reger Trubel: Aussteller:innen benötigen Informationen zum Ablauf, letzte Planungsdetails verlangen nach einer Entscheidung. Trotzdem nimmt Nicola Heppner sich die Zeit, unsere Fragen zu beantworten - und weckt Vorfreude auf das Großereignis!
Nicola, die Keramiktage finden bereits zum 40. Mal statt. Aber wie kam es überhaupt dazu, dass sie hier stattfinden? Hat Oldenburg etwa große historische Traditionen in diesem Bereich?
Dass die Internationalen Keramiktage - bzw. das Herzstück Keramikmarkt - in diesem Jahr zum vierzigsten Mal stattfinden, ist schon großartig. Denn die Frage ist berechtigt: Oldenburg hatte keine Tradition im Bereich Keramik. Das bedeutet, dass die Stadt nicht in der Nähe einer großen Tongrube liegt, an der Tagebau betrieben würde. Als 1983 der Töpfermarkt von der Stadt ins Leben gerufen wurde, geschah das auf Betreiben einiger Keramiker. Es herrschte im ganzen Land eine Stimmung, die man Keramiker-Boom nennen könnte.
Damals hießen die Keramiktage noch Töpfermarkt. Das klingt deutlich weniger glamourös. Wo ist denn der Unterschied? Gibt es überhaupt einen?
Grundsätzlich sind beide Begriffe Synonyme. Der Töpfermarkt wurde mit Augenmerk auf die Weser-Ems-Region und den Norden gegründet. Dementsprechend waren auf dem Markt zahlreiche regionale Werkstätten vertreten und einige wenige Keramiker aus den Niederlanden.
Voraussetzung war schon damals, dass die Teilnehmenden ausgebildete oder studierte Keramiker waren.
Die Gründung war so erfolgreich, dass man den Töpfermarkt auf jeden Fall weiterführen wollte. Bald wurde parallel zur Veranstaltung eine Ausstellung vom Stadtmuseum gezeigt, die sich der „Keramik aus Norddeutschland“ widmete. Später zog diese Ausstellung in den Pulverturm und entwickelte sich dort aufgrund des beschränkten Platzangebots zu einer Einzelausstellung, die sie auch heute noch ist.
Jeder Boom erlebt aber auch Flauten. Um den Töpfermarkt nicht zu einer herzlosen Routine werden zu lassen, hat sich die Stadt Oldenburg im Jahr 1999 dazu entschieden, den Töpfermarkt und seine Organisation an die Werkschule – Werkstatt für Kunst und Kulturarbeit e.V. zu übergeben. Mit viel Mut, Engagement, Ideen und vor allen Dingen keramischem Fachwissen hat sich der Vorstand der Aufgabe gewidmet, dem Töpfermarkt wieder neues Leben einzuhauchen.
Eine Art Revitalisierung also. Wie sah das im einzelnen aus?
Über die Lebensfähigkeit eines Marktes entscheiden Vielfalt und Niveau. Ersteres wurde durch die internationale Ausschreibung erzielt, letzteres durch strengere Juryentscheide, die auch darauf abzielten, neben der Internationalität alle keramischen Sparten abzubilden. Wichtig dabei, dass die Bewerber eine klare eigene Formensprache haben. Darüber hinaus wurden Sponsoren und Förderer gesucht und gefunden, so dass die Keramiker heute vier jurierte Preise und einen Publikumspreis gewinnen können. Das Landesmuseum wurde zu einem Kooperationspartner und öffnet alljährlich seine Räume wieder für keramische Ausstellungen.
Mit den Jahren gelang es so, den Markt zu einem der besten und qualitätsvollsten keramischen Märkte Deutschlands zu machen.
In der keramischen Szene spricht sich das rum und zieht weitere bekannte Künstler:innen an. Die Internationalisierung und die neue Konzentration von keramischen Unikaten, künstlerischen Gefäßen und Plastiken waren der Grund für die Umbenennung.
VIELFÄLTIGE KERAMIK MATERIAL DER MÖGLICHKEITEN Keramik ist erstaunlich gegensätzlich, einerseits vollkommen alltäglich, andererseits absolut außergewöhnlich. Wie der besondere Werkstoff entsteht und was ihn so einzigartig macht, erklären wir hier. Das Wort Keramik stammt aus dem Altgriechischen: keramos war die Bezeichnung für Tonminerale und die aus ihm durch Brennen hergestellten formbeständigen Erzeugnisse, wie sie etwa im antiken Athener Bezirk Kerameikos produziert wurden. Um Keramik herzustellen, braucht man zunächst einmal Ton, der in speziellen Gruben abgebaut wird. Ursprünglich war jeder Ton einmal festes Gestein. Erst durch Verwitterungen wie Regen, Wind und Frost oder durch großen Druck wird das Gestein spröde und porös. Übrig bleiben dann sehr feinkörnige, pulverartige Mineralien. Mischt man Ton mit Wasser, lässt er sich hervorragend formen. Diese Eigenschaft erkannten die Menschen schon in der Steinzeit. Archäologische Funde aus der Zeit vor etwa 30.000 Jahren belegen die flächendeckende Verwendung von einfachen Keramikerzeugnissen. Dies waren meist Gegenstände für rituelle Zeremonien, wie kleine tierische und menschliche Figuren. Die Figuren wurden sogar schon damals durch Brennen haltbar gemacht. Man nimmt an, dass die Menschen durch Zufall ein Lagerfeuer auf tonhaltigem Boden entzündet hatten und so die Vorteile gebrannten Tons erkannten. Im Laufe der Jahrtausende entwickelten einige Keramikhersteller:innen bemerkenswerte künstlerische Fähigkeiten. Die große Vielfalt Nicht nur die Formgebung, auch Brennverfahren und Glasurtechniken verbesserten die Töpfer:innen im Laufe der Jahrtausende. Außerdem wählten sie den Ausgangsrohstoff immer gezielter aus. Inzwischen ist das fast schon eine Wissenschaft für sich, wie die Differenzierungen zeigen: Steinzeug ist ein dichter Werkstoff mit natürlicher Brennfarbe, Steingut ist porös mit weißer Brennfarbe und Irdenware ist poröse Keramik mit farbigen Scherben, niedrig gebrannt. Als edelstes tonkeramisches Erzeugnis gilt Porzellan. Rohstoff dafür ist Kaolin, ein sehr feines, weißes Gestein. Es kommt nur sehr selten vor und ist deshalb auch sehr kostbar. Mitte des 19. Jahrhunderts fand man für die Keramik neue Einsatzgebiete in der Technik. Vor allem in der Industrie halfen keramische Werkstoffe viele Probleme zu lösen. Zu diesem Zeitpunkt war vor allem hohe Hitzebeständigkeit gefragt, zum Beispiel bei der Verwendung von Isolierungen an elektrischen Leitungen, später auch bei den Hitzeschilden des Space Shuttle Raumfahrtprogramms. Die Herstellung moderner Keramik ist erst möglich geworden, seitdem Brennöfen sehr hohe Temperaturen erzeugen können. Die Bandbreite der Eigenschaften wird heute in Industrie und Medizin gleichermaßen hoch geschätzt. Mehr zum Thema findet ihr im hilfreichen Glossar und in den Fachbeiträgen auf der Website der Keramiktage.
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Beim Stichwort Keramik denken viele Menschen nach wie vor an Teller, Tassen, Vasen. Wie erkennt man denn, ob es etwas nur Alltagsgegenstand oder Kunstwerk ist? Oder stimmt das Klischee etwa gar nicht?
Keramik ist so viel mehr als Teller, Tassen und Vasen! Du wärst überrascht zu erfahren, was in deinem Haushalt alles aus Keramik besteht. Im Lexikon lautet die Definition:
„Keramik ist ein aus anorganischen Stoffen bestehender Werkstoff, der unter Zugabe von Wasser geformt, bei Raumtemperatur getrocknet und anschließend durch einen Brennprozess ausgehärtet wird, und so seine charakteristischen Eigenschaften erhält.“
Der Gedanke an das heimische Badezimmer ist naheliegend, aber es gibt noch viel mehr - etwa das Mahlwerk einer Pfeffermühle, Zahnimplatate, künstliche Hüftgelenke. Am Fraunhofer Institut experimentieren die Forscher:innen mit den typischen Eigenschaften der Keramik, bspw. für die Raumfahrt.
Aber zurück zum Keramikmarkt. In der Galerie unter freiem Himmel kann man sich einen umfassenden Eindruck über die Vielfalt der künstlerischen Keramik verschaffen.
Die Künstler:innen präsentieren aktuelle zeitgenössische Keramik, künstlerische Plastiken, botanische Objekte, Tierskulpturen, Schmuck, Gefäßunikate, und ja, auch Gebrauchskeramik in Form von Tassen und Tellern.
Diese allerdings sind in aller Regel Unikate oder in Kleinstserien hergestellt. Weiter findet man Drehkeramik und aufgebaute Keramik, hergestellt aus Steinzeug, aus Porzellan oder Irdenware, bemalt oder bezeichnet mit verschiedenen Techniken und Dekoren, mal ganz grafisch, mal künstlerisch. Es gibt Werkstücke, die im Holzofen, im Gasofen oder im Elektro-Ofen gebrannt wurden. Man kann herausfinden, was der Unterscheid zwischen Salzbrand, Holzbrand und Rakubrand-Technik ist.
Ob es sich bei den Keramiken - von Teller über Vasen und Schmuck bis zu Skulpturen - um Alltagsgegenstände oder ein Kunstwerk handelt, das hängt vom individuellen Sinn für Ästhetik und dem eigenen Geschmacksempfinden gegenüber der Kunst ab. Es entscheidet also jeder für sich, was sie oder er als "Kunst" empfindet und was nicht.
Was bedeutet hier eigentlich international? Aus welchen Ländern kommen die Aussteller:innen? Und wie viele sind es insgesamt?
International bedeutet europaweit. An 110 Ständen sind neben Deutschland die Länder Italien, Spanien, Portugal, Großbritannien, Dänemark, Polen, Tschechien und natürlich unser direkter Nachbar, die Niederlande vertreten.
Was genau erwartet mich als Besucher:in auf dem Schlossplatz? Nur die Objekte? Oder sind die Künstler:innen auch anwesend? Kann man sie ansprechen? Und gibt es ein Rahmenprogramm?
Die Besucher:innen dürfen sich auf über hundert von einer Fachjury ausgewählte Keramikkünstler:innen, Werkstätten und Designer freuen. Die Aussteller:innen sind an beiden Tagen da und freuen sich immer über interessiertes Publikum. Gerade die Kommunikation mit den Besucher:innen macht den Keramikmarkt so wertvoll.
Neben dem Markt auf dem Schlossplatz kann man kostenfrei auch zwei keramische Ausstellungen im Schloss besichtigen. Bei der „brandneu – brandnew“ handelt es sich um eine Präsentation der Aussteller:innen. Jede:r von ihnen darf ein bezeichnendes Werkstück in die Ausstellung einreichen. Damit wird der perfekte Querschnitt des gesamten Marktes abgebildet.
Als Besucher:in dürfen Sie am Samstag für Ihr Lieblingsstück votieren und sind damit Teil der Jury für den Publikumspreis, der am Samstagabend bei der Preisverleihung vergeben wird.
Im Marmorsaal des Schlosses läuft die Einzelausstellung „Kraft und Lebendigkeit“. Es werden Keramiken von Sebastian Scheid präsentiert, dem Gewinner des „Preis der Fachzeitschrift NEUE KERAMIK“. Außerdem kann man bei einem Gewinnspiel selbst hochwertige Keramik gewinnen und einer jungen Keramikerin bei Ihrer Arbeit an der Drehscheibe zuschauen.
Einfach Eintauchen
Wer weiß? Vielleicht werden auch in Zukunft noch die meisten Menschen an das heimische Badezimmer denken, wenn das Stichwort Keramik fällt. Wer aber die Gelegenheit nutzt und in die Internationalen Keramiktage eintaucht, wird seine Assoziationskette nachhaltig verändern. Wir können das nur empfehlen, selbst wenn man Teller, Tassen und Vasen in erster Linier nur als Gebrauchsgegenstände interpretiert. Denn eines ist sicher: wenn die Menschheit etwas über Jahrtausende aktiv verwendet, immer neue Einsatzgebiete findet und an weiteren forscht, dann lohnt sich die Beschäftigung damit.
Stimmungsvoll: Eindrücke von den 39. Internationalen Keramiktagen (Bilder: Markus Hibbeler)
Das gilt insbesondere für die künstlerischen Anwendungen auf höchstem Niveau. Denn hier ist die Keramik tatsächlich von der Profanität des Alltags befreit - und zeigt, dass sie noch viel mehr ist als hitzebeständig und schmutzresistent. Nutzt das aus und schaut euch das auf dem Schlossplatz an - das eigene Badezimmer seht ihr schließlich oft genug.
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