top of page

KOLUMNE: TREFFT EUCH, TAUSCHT EUCH AUS

  • Thorsten Lange
  • 7. Apr.
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 10. Apr.

Seit Mitte 2020 schreibt Kulturschnacker Thorsten eine monatliche Kolumne für die wunderbare Theaterzeitung des Oldenburgischen Staatstheaters. Digital findet ihr sie zum Nachblättern unter www.staatstheater.de. Oder: hier.


Szene aus „Die Kunst der Komödie“, das im Oldenburgischen Staatstheater in Oldenburg zu sehen sein wird.
Zündfunken: Theaterstücke wie „Die Kunst der Komödie“ geben uns wichtige Impulse - für eigene Gedanken und für Gespräche nach der Vorstellung. (Bild: Stephan Walzl)

Es ist ein Naturgesetz: Wer eine Kolumne schreibt, wiederholt sich irgendwann. Das kann versehentlich passieren, weil man den Überblick verliert. Aber auch ganz bewusst – und das ist hier der Fall. Aber keine Sorge: Ich greife nicht etwa ein Thema wieder auf, das ich bereits durchgekaut habe. Vielmehr stelle ich eine Facette in den Mittelpunkt, die immer wieder mal in Nebensätzen auftaucht, der ich bisher aber keine größere Aufmerksamkeit geschenkt habe: Das Gemeinschaftserlebnis Kultur – und was es mit uns macht.

 

Sehen wir der Wahrheit mal ins Auge: Wie sind ziemlich allein; vielleicht mehr als jemals zuvor. Wir merken es oft nicht, weil wir damit beschäftigt sind Newsfeeds zu checken, Messages zu beantworten oder Content zu posten. Die kleinen Geräte in unseren Händen sind eine Art Ersatzdroge für Zwischenmenschlichkeit. Sie erzeugen die Illusion, eben nicht allein zu sein, weil ständig etwas passiert. Dabei forcieren sie die Vereinzelung, weil das Starren auf den Screen zwangsläufig isoliert.


Die Smartphone-Bühne mit all ihren Reels, Storys und Slides sieht nur jeder selbst. Ein Austausch dazu? Findet nicht statt. Wir halten die Welt in der Hand – doch wir sind allein mit ihr.

Zwischenruf fürs Zusammenkommen

 

Warum betone ich das hier? Es klingt doch so banal. Aber: Mir ist das trotzdem wichtig. Denn ich glaube, wir müssen unsere Schweigemauern möglichst oft brechen, wenn wir das Gefühl füreinander nicht endgültig verlieren wollen. Und dabei hilft uns die Kultur. Denn sie lässt uns zusammenkommen und aufeinandertreffen, sie lässt uns gemeinsam erleben und gegenseitig bereichern.

 

Natürlich könnte man jetzt sagen: Alles schön und gut, aber auch Kultur erlebt man letztlich allein, weil man ja eben nicht mit dem Nachbarn quasseln oder sich auf dem Second Screen mit dem Rest der Welt austauschen darf. Stimmt. Aber genau diese Stille braucht es, um in uns etwas aufzubauen. Um tatsächlich große Gefühle und Gedanken zuzulassen. Um Meinungen zu bilden – nicht nur zum Gesehenen, sondern auch zu all dem, was uns frei assoziierend in den Kopf kommt.


Screenshot der Theaterzeitung des Oldenburgischen Staatstheaters mit der Kulturschnack-Kolumne
Gute Nachbarschaft: Mit der KulturTafel und der Sparte 7 teilen wir uns die Seite gern. (Screenshot: Kulturschnack)

Derart aufgeladen suchen wir ein Ventil. Wir suchen das Gespräch über das, das wir soeben erlebt haben – und damit beginnt ein weiterer Akt. Wie erkläre ich, was ich empfunden habe? Verstehen die anderen, was ich meine? Habe ich überhaupt verstanden, was ich gesehen habe? Diese kulturelle Nachspielzeit sorgt dafür, dass wir wieder in den Austausch gehen, unsere eigenen Gedanken artikulieren und andere Meinungen akzeptieren.

 

Das mag jetzt fruchtbar pädagogisch klingen. Nach dem Motto: Geht zur Kultur, ihr lernt was dabei! Ich will hier aber gar nicht mahnen und auch nichts schmackhaft machen. Es sind Dinge, die automatisch passieren, die unweigerlich ihren Lauf nehmen, weil die Kultur uns so inspiriert, bewegt, stört, überrascht, verändert. Sie ist Impulsgeber für die eigene Gedankenwelt. Sie legt frei, was in uns verborgen ist. Sie macht klar, was vorher diffus war. Wenn wir in Theatersesseln sitzen oder vor Konzertbühnen stehen, dann können wir gar nicht anders, als auf das Geschehen reagieren. Im besten Fall sind wir beseelt von dem, was wir sehen. Aber auch, wenn wir es argwöhnischer betrachten, skeptisch sind oder uns sogar ärgern, hat das alles einen Sinn. Hauptsache, es werden Emotionen frei – und wir wischen nicht gelangweilt zum nächsten Video.



Die Rezeptoren weit geöffnet

 

Wenn wir anschließend unsere Gedanken teilen – zum Thema, zur Handlung, zur Darbietung, zu was auch immer – dann stehen Meinung und Gegenmeinung nicht unversöhnlich im Raum. Weil all unsere Rezeptoren weit geöffnet sind und wir den Drang nach Austausch verspüren, entsteht etwas, das wir in unseren Endgeräten nicht finden: ein Miteinander. Genau das brauchen wir gerade so dringend, um der Spaltung der Gesellschaft entgegenzuwirken. Wir sind alle gar nicht so unterschiedlich.


Deswegen sollten wir uns nicht von unseren Screens an der Nase herumführen lassen, sondern etwas ganz Verrücktes wagen: Mit anderen zusammentreffen und uns austauschen.

 

Naturgesetze kann man nicht außer Kraft setzen, deshalb habe ich mich heute wiederholt. Fast alles andere kann man aber sehr wohl verändern. Die Vereinzelung unserer Gesellschaft mag zwar in vollem Gange sein und unsere Mobile Devices verschärfen den Trend zur Scheinwelt immer weiter. Ich hoffe aber, dass es viele gibt, die damit nicht zufrieden sind. Haben Sie auch keine Lust auf Matrix und Metaverse? Dann lassen Sie uns treffen, lassen Sie uns reden. Und wann sollte das besser gehen als mit frischen Inspirationen von einer Bühne?  

bottom of page