Im Edith-Russ-Haus für Medienkunst eröffnet sich aktuell allen Besucherinnen und Besuchern ein künstlerischer Blick unter die Erdoberfläche. Doch von "Kopf in den Sand stecken" ist dabei keine Rede! Stattdessen zeigen Jakrawal Nilthamrong & Kaensan Rattanasomrerk in ihren Arbeiten Netzwerke und Verhaltensweisen der Natur, die womöglich sogar als eine heilsame Brücke hinein in unsere Gesellschaft wirken könnten?

JAKRAWAL NILTHAMRONG & KAENSAN RATTANASOMRERK SPORE 29. JANUAR - 23. MÄRZ 2025 EDITH-RUSS-HAUS FÜR MEDIENKUNST KATHARINENSTRAßE 23

Es ist dunkel. Gedämpfte, minimalistische Lichtquellen fallen auf organische Skulpturen, Leinwände hängen mitten im Raum, die flimmernde Filmsequenzen zeigen. Der Raum wird einzig und allein vom lauten Rattern der Filmprojektoren erfüllt. Eigentlich ist es beinahe so als sei man gar nicht an der Erdoberfläche sondern unter der Erde vergraben worden und könne einem sonst völlig Verborgenes nun in aller Seelenruhe erkunden. Bei dieser Erkundungsreise treffen wir auf fragile Strukturen, die wirken, als wären sie gerade erst aus dem feuchten Waldboden gewachsen. Was gemeint ist? Wer die aktuelle Ausstellung „Spore“ im Edith-Russ-Haus für Medienkunst in Oldenburg betritt, wird immer wieder einer Sache begegnen: der künstlerischen Auseinandersetzung mit der sogenannten Mykologie. Der Wissenschaft der Pilze.
Dabei sind Pilze faszinierenderweise weder Pflanze noch Tier, sondern folgen ihren vermeintlich ganz eigenen Regeln. Ihre Netzwerke, die sich unter der Erde ausbreiten, sind die stillen Architekten des Waldes. Sei es, dass sie Bäume miteinander verbinden, Nährstoffe transportieren, sie recyclen und machen Erde wieder fruchtbar und sind deshalb ein entscheidender Bestandteil vom Kreislauf des Lebens.
Ein Denkmodell
Ihr fragt euch, wieso sich die beiden Protagonisten der neuen Ausstellung im Edith-Russ-Haus für Medienkunst, Jakrawal Nilthamrong und Kaensan Rattanasomrerk, ausgerechnet für Arbeiten rund um die Thematik Pilze entschieden haben? Weil Mykologie nicht einfach nur eine wissenschaftliche Disziplin ist, sondern sich ebenso ganz wunderbar als Metapher für das eignet, was unter der Oberfläche unserer Gesellschaften oftmals tief verborgen liegt, nämlich: Erinnerungen, Traumata, Geschichten von Migration und Transformation. So wie auch Pilze unsichtbar unter der Erde vor sich hinwachsen, existieren auch unsere kollektiven Erfahrungen oft im Verborgenen. Zumindest solange, bis sie sich beispielsweise in Form von Erzählungen, im künstlerischen Ausdruck ihren Weg an die Oberfläche bahnen - wie nun in diesem Fall.

Genau hier setzt „Spore“ an. Die beiden Künstler nutzen die Welt der Pilze als ihr persönliches Vehikel um über die tiefgreifenden Fragen unserer Zeit nachzudenken: Wie erinnern wir uns? Wie können wir die unsichtbaren Verbindungen zwischen Menschen, Orten und Vergangenheiten erkennbar werden lassen? Auf diese Art und Weise wird ihre Arbeit zu einer Art Denkmodell, das uns lehrt die Welt nicht nur an der Oberfläche zu betrachten, sondern auch die unsichtbaren Strukturen zu erkennen, die unser Zusammenleben formen – seien es nun eben Wurzeln im Waldboden oder Geschichten, die von Generation zu Generation weitergegeben werden. „Die Pilze“, betonen die beiden Künstler, „können nur auf verrottendem Material wachsen. Das ist eine Metapher dafür, wie Menschen den Raum der Verwundeten wieder bewohnen und ihn zu unserer Existenzgrundlage machen können. Wie ließe sich das Ausgeliefertsein nicht als Manifestation einer Opferrolle, sondern als eine Form von politischer Kritik und politischem Handeln interpretieren? Das sind in diesem historischen Moment entscheidende Fragen der Weltgemeinschaft.“
Die Wurzeln des Lebens
Mit diesem Ansatz könnten die beiden kaum aktueller und stärker den Geist der Zeit treffen. Mit Ihren Arbeiten bewegen sich Nilthamrong und Rattanasomrerk sowohl an der Schnittstelle von experimentellem Film, Installation als auch ortsspezifischer Kunst. Während sich Nilthamrong mit seiner Arbeit als Regisseur und Editor durch Filme auszeichnet, die oft auf experimentelle Art und Weise mit verschiedenen Zeit- und Realitätsebenen spielen und persönliche aber auch politische Geschichten in einer poetischen, surrealen Bildsprache miteinander verbindet, arbeitet Rattanasomrerk mit Installationen und multimedialen Konzepten, die sich mit der Beziehung zwischen Mensch und Umwelt befassen.

In ihrer gemeinsamen Ausstellung „Spore“ verschmelzen diese beiden individuellen Ansätze nun zu einer gemeinsamen künstlerischen Sprache. Das gleichnamige, extra für diese Ausstellung entstandene Projekt ist dabei ein recherchebasiertes Werk, das eine mögliche Zukunft untersucht, in der Pilze mit ihrer besonderen Organisationsform womöglich sogar für Gesellschaften als Vorbild fungieren könnten. Als aktuelle Stipendiaten für Medienkunst der Stiftung Niedersachsen begleiteten die beiden, unter anderem, während ihres Arbeitsaufenthalts in Oldenburg filmisch thailändische Restaurantmitarbeiter bei einer Pilzsuche, die dabei auf einer tiefergehenden Ebene zu einem Bild für Heimatlosigkeit, für Verwurzelung und Entwurzelung zugleich wird. Aber auch die Räumlichkeiten des Ausstellungshauses selbst werden mit filmischen Mitteln gänzlich verändert. So entsteht auf der oberen Etage des Hauses ein großes, projiziertes Loch im Boden, das einem suggeriert weit über den Dächern Oldenburgs zu fliegen, während eine Etage tiefer (quasi an gleicher Stelle) selbiges Loch als Projektion zu finden ist und den Blick in den Himmel von unterschiedlichen Punkten der Stadt aus erlaubt.
So wächst im bildlichen Sinne letztlich Kunst auf dem Boden von Pilzen und nach dem Besuch der Ausstellung setzen sich dann, ganz getreu ihrem Titel, die Sporen des Gesehenen in einem selbst nieder und wachsen stetig in uns, im Verborgenen zu immer weiter ausgereifteren Gedanken heran, die sich vernetzen und uns reflektieren lassen. Und ist das nicht das Schönste, was Kultur gelingen kann?