Anfangs waren sie noch ein Geheimtipp, inzwischen kennt sie (fast) jeder: Die kleinen Pixel-Kunstwerke mit Helden der Achtziger Jahre, die uns an vielen Orten in der Stadt begegnen, vorzugsweise auf der Rückseite von Verkehrsschildern. Eine große Gemeinsamkeit verbindet alle Bilder: Sie sind positiv und bringen uns zum Schmunzeln. Wie kommt man auf so eine Idee? Wir haben beim Wilhelmshavener Kollektiv Say Love nachgefragt.
Für das Gespräch haben wir uns aber nicht etwas persönlich getroffen, sondern haben sozusagen ein Instaview geführt: Der Austausch lief anonym als Chat über Instagram. Deshalb wissen wir nicht, wer hinter Say Love steckt. Nach dem Austausch ist aber eines sicher: Es sind Menschen, die sich viele Gedanken zu unserer Welt der Gegenwart machen - und einen Weg gefunden haben, sie zu verändern.
Ihr geht mit eurer Kunst in den öffentlichen Raum. Fehlt unseren Städten was?
Es fehlt doch immer irgendwas. Je nachdem, welche Person man fragt, bekommt man ein ganz individuellen Katalog an Missständen. Leider geht der Blick für das, was da ist, dabei oft verloren.
Was kann Kunst und was ist Kunst? Mit dieser Frage beschäftigen wir uns seit ca. acht Jahren. Die Bilder und Installationen, die wir machen, sollen nicht auf den ersten Blick auffallen und stören. Die Motive sind für Menschen, die nicht wissen, was es ist, schwer zu erkennen und stören sie deswegen nicht. Wohingegen Leute, die in der Zeit aufgewachsen sind, die Pixel decodieren können und so erst das Bild erkennen.
Die Motive haben fast immer mit Kindheit zu tun und sind deswegen meist „positiv“ in Erinnerung. Wenn man also als Autofahrer seine tägliche Strecke fährt und man sieht kurz am Wegesrand eine Erinnerung aus der Kindheit, so freut man sich. Wir können also Freude machen. Und jeder der einen Führerschein hat, weiß wie schwer es ist, im Straßenverkehr freundlich zu bleiben.
Bilderserie: In der ganzen Region finden sich Werke von Say Love.
Was bedeutet es euch, wenn ihr ein Werk platziert habt? Gibt es ein gutes Gefühl? Und wie ist es, wenn etwas wieder verschwindet? Der Akt des Aufhängen ist etwas besonderes. In den Motiven stecken zwischen sechs und vierzehn Stunden Arbeit. Ab den Zeitpunkt des Aufhängens kann man nichts mehr korrigieren oder verändern. Man entlässt sein Baby in die wilde Welt. Und es ist traurig wenn die Bilder entfernt oder zerstört werden. Dies ist aber ein wichtiger Teil, der zur Street Art gehört. Es ist eine schnelllebige Kunst, die manchmal kaum fassbar ist. Da kommt dann Instagram ins Spiel. Dort können wir das protokollieren, was wir gemacht haben. Was wir dort zeigen, ist das, was wir auch zeigen wollen.
Ist seit sehr zurückhaltend, platziert eure Werke etwa auf Rückseiten von Verkehrsschildern. Ist das ein Prinzip eurer Arbeit?
Die Idee kam aus einem zufällig mitgehörten Gespräch. Eine Frau um die Sechzig sagte zu einem Kind, dass er wissen müsse, wie ein Vorfahrtsschild aussieht. In dem Alter kann man sich so etwas schwer merken - ein 150 Pixel-Pokémon können die Kinderaugen dagegen sofort zuordnen. Das Alter hat demnach einen eigenen Code, Dinge zu erkennen. Auf der einen Seite sehen die Erwachsenen ein „Halten verboten“, auf der anderen das Kind einen Pixel-Pikachu. Ein Geschenk des Zufalls.
Letztlich bieten die Straßenverkehrs-Schilder für unsere Arbeit den perfekten Rahmen und die perfekte Leinwand. Fast jeder, der die Spiele der Achtziger gespielt hat, erkennt schnell das typische Lvl Design. Und unsere Zielgruppe fährt im Auto.
Genau daran erinnern uns eure Werke: an die Computerspiel-Ästhetik der Achtziger. Warum gerade dieser Stil? Was verbindet ihr damit - und was soll er bei den Menschen auslösen?
Viele kennen die Motive aus ihrer Kindheit. Sie selbst waren damals klein und haben die entsprechenden Serien geschaut oder Spiele gespielt, vielleicht sogar zusammen mit Bruder oder Schwester. Beim Wiedersehen mit den Motiven erinnert man sich zurück an eine oft fröhliche und unschuldige Zeit, als Mario und Luigi das Wichtigste waren. Es ist wie eine kurze Zeitreise in die Kindheit. So kurz, das Freude bleibt.
Nur ein Beispiel: Auf Serien wie „Masters of the Universe“ nimmt das Say Love Kollektiv Bezug.
Man spürt es ja schon an euren Äußerungen: der Name „Say Love“ scheint kein Zufall zu sein. Überall in euren Werken tauchen kleine Herzchen auf. Gibt es eine tiefere Botschaft dahinter?
Wie man so schön sagt, liegt Kunst im Auge des Betrachters. Da unsere Bilder für sich stehen und nicht erklärt werden, haben wir die Möglichkeit genutzt, etwas zu sagen was uns wichtig ist. Und das so, dass man dies auch nicht missversteht. 27 Pixel ergeben unser Herz. Ein Symbol, was jeder auf der Welt kennt. Es ist uns eine Herzensangelegenheit. All you need is love!
Eine bessere Botschaft kann es ja kaum geben. Welche Bedeutung hat Street Art eigentlich euer Ansicht nach heutzutage? Ist sie inzwischen ein etabliertes Stück Stadtkultur?
Ich glaube, wir müssen erst mal klären, was ihr unter Street Art versteht. Der Begriff ist ja riesig. Vielleicht kann man das am besten so formulieren: eine Kuh ist ein Tier, aber Tiere sind nicht nur Kühe. Möchtet ihr über Kühe oder Tiere reden?
Da es um euch geht: über Kühe! Aber vielleicht verratet ihr in diesem Zusammenhang, warum Kühe für euch besondere Tiere sind!
Kunst oder Dekoration? Keiner von uns hat den Anspruch, Kunst zu machen oder Künstler:in zu sein. Wir wollen eine bestimmte Emotion transportieren, die nicht missverstanden werden soll. Und für alle, die den „Pixel-Code“ kennen, ist das klar zu erkennen. So ist es offensichtlich und trotzdem versteckt. Dazu kommt noch der Spaß am entdecken…. Fehlt nur noch Schokolade!
Ihr erwähnt den Begriff "entdecken". Gehört das zum Prinzip? Dass eben nicht klar ist, wo man eure Werke findet, sondern ihnen zufällig begegnet und sich spontan dazu eine Meinung bildet?
Ja, das Entdecken ist eine wichtiger Aspekt des Projekts. Wir wollen Freude in den Alltag bringen, also müssen wir die Personen in ihrem Alltag finden. Die Begegnung mit den Bildern dauert in der Regel nur Sekunden. Lang genug, um sie zu erkennen und eine Emotion auszulösen, zu kurz um eine Meinung zu entwickeln.
Bekommt ihr Rückmeldungen? Spüren die Menschen die Liebe?
Wir bekommen in der Regel durchgehend positive und interessierte Rückmeldungen.
In Zetel hatten wir eine Begegnung, an die ich mich gerne zurück erinnere. Ein Herr von ca. 75 Jahren fragte nach dem Motiv und was „das“ soll. Erst konnte er es nicht erkennen, aber nach ein paar Augenblicken des Betrachtens erkannte er, was es ist. Und plötzlich kamen Erinnerung an die Kindheit und Jugend. Ein sehr schönes Gespräch voller Kontakt und Emotion entstand. Darum geht es uns.
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