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SAGE UND SCHREIBE

  • kulturschnack
  • vor 5 Tagen
  • 6 Min. Lesezeit

Diese Überschrift dient im allgemeinen Wortschatz als Stilmittel des Betonung. Im Sinne von: wirklich, tatsächlich, kaum zu glauben. Man kann sie aber auch wortwörtlich verstehen: Einfach mal seine Gedanken in Worte fassen und laut aussprechen. Oder: sie in Texte verpacken und dauerhaft festhalten. Das klingt alltäglich? Ganz genau - und genau deshalb werden das Sagen und das Schreiben oft unterschätzt. Höchste Zeit, sich ihren Wert bewusst zu machen.



Sie stecken in jedem von uns: Die guten Geschichten, die es wert sind, aufgeschrieben zu werden - am besten von uns selbst. (Bild: Shutterstock)
Sie stecken in jedem von uns: Die guten Geschichten, die es wert sind, aufgeschrieben zu werden - am besten von uns selbst. (Bild: Shutterstock)

Man stelle sich eine Zivilisation vor, in der niemand spricht und schreibt. Was bliebe übrig? Eine stumme Welt, in der keine Kommunikation exitsiert. In der man sich anschweigt und parallel existiert, ohne viele Überschneidungen oder Gemeinsamkeiten zu haben. In der niemand lernt, versteht, nachvollzieht. Eine Welt also, in der es keinen Fortschritt geben kann.


Zugegeben: Manches davon erinnert uns fatal an die gegenwärtige Realität. Immerhin aber gibt es in der Weltpolitik noch Versuche der Kommunikation und somit auch Hoffnung auf Veränderungen zum Besseren. Bis zu diesem Punkt ist unsere Zivilisation aber nur gekommen, weil sie eben doch miteinander kommuniziert, sich austauscht und daraus Erkenntnisse gewinnt. Weil wir: sagen und schreiben. Und weil wir Freude daran haben, unsere Gedanken in Sprache zu verpacken.

Sprachverliebt: Anja Seemann. (Bild: privat)
Sprachverliebt: Anja Seemann. (Bild: privat)

Genau das fördert Anja Seemann. Die 37-Jährige hat u.a. Germanistik mit Schwerpunkt Literaturwissenschaften studiert. Für sie ist die Leidenschaft für Sprache schon lange ein ganz selbstverständlicher Teil ihres Alltags. In ihr wuchs jedoch der Wunsch, die Faszination mit anderen zu teilen- und so entstand das Projekt „sage & schreibe“.


Dessen Titel darf man duchaus wörtlich nehmen: Es gibt nämlich monatliche „Schreib-Dates“ und Workshops, bei dem es um die gemeinsame Textproduktion an ausgesuchten Orten wie der Schöne Dinge Meisterei oder dem Veggiemaid geht. Aber auch das „sagen“ spielt eine Rolle, denn zwiemal jährlich finden Lesungen der eigenen Texte - und ein Austausch darüber - im Theater Unikum statt.


Wir haben mit Anja über „sage & schreibe“ gesprochen und dabei nicht nur einiges über ihr Herzensprojekt erfahren, sondern auch über den Reiz unserer vermeintlich alltäglichen Sprache.




 



Anja, du bist hast unter anderem Germanistik und Anglistik studiert. Was reizt dich an Sprache und der Literatur?


Sprache ist für mich ein besonderer Ausdruck des die-Welt-Verstehens. Das Schreiben ist für mich mein wichtigster Mechanismus zum Festhalten an der schnelllebigen Zeit. Sprache zoomt rein und raus. Ein Satz kann ganz pragmatisch sein und der nächste wieder poetisch. Sprache ist für mich immer Ausdruck von Vielfalt.


Lieferte die Inspiration: Schreibcoachin und Bloggerin Kea von Garnier. (Bild: Nathalie Scholl)
Lieferte die Inspiration: Schreibcoachin und Bloggerin Kea von Garnier. (Bild: Nathalie Scholl)

Im Theater, bei Lesungen oder Poetry Slams steht die Sprache im Mittelpunkt. Du hast mit „sage & schreibe“ aber ein ganz eigenes Format entwickelt. Wie kam es dazu?


In der Corona-Zeit gab es viele Einschnitte. Das Leben war auf den Kopf gestellt und tatsächlich bin ich dieser Zeit persönlich dankbar: Da habe ich mein kreatives Schreiben wieder hervorgekramt dank Kea von Garnier, die eine online Schreibwerkstatt angeboten hat. Danach war ich als Co-Moderatorin dabei – weiterhin online. Irgendwann entstand der Gedanke: Das muss doch auch analog funktionieren! Und tatsächlich – es klappt aus meiner Sicht sogar noch besser! Das Format fokussiert sich nicht zu sehr auf das Endprodukt, sondern nimmt den Prozess in den Fokus. Und klar haben wir in Oldenburg ein buntes Kulturprogramm und auch Lesungen – jedoch ist die Mehrheit dessen an Bekanntheit oder auch Erfolg gekoppelt.


Bei den Lesungen von sage & schreibe ist zentral, dass alle Texte für sich stehen und wir keine direkte Bewertung vornehmen, wie beispielsweise beim Poetry Slam.

Was genau bietet sage & schreibe? Was kann man dort machen? Wie ist die Atmosphäre?


Das Format sage & schreibe ist ganz wörtlich zu verstehen: Der „sage-Teil“ findet sich in Lesungen wieder. Der „schreibe-Teil“ ist heute das Herzstück des Formats. Das bedeutet konkret: Monatliche Schreibdates im Atelier der Schönen Dinge Meisterei und Workshops z.B. im/ab Mai Schreiben zum Film im Cine K, ein Schreibkreis als Paket über sechs Termine mit einem festen Teilnehmendenkreis und ab dem Sommer das Event "Write at Night", Schreiben im Café oder Nature Writing im Botanischen Garten. Neulich habe ich zum esrten Mal ein Schreib-Retreat über ein Wochenende organisiert. Das war so toll! Auch längere Angeboten wird es künftig geben. Insgesamt sind das Angebote, die zum Schreiben anregen. Wir lernen neue Tools, Methoden oder Übungen kennen. Ich verstehe mich auch als Plattformgebende für Schreibräume. Ich bin immer wieder fasziniert von der Offenheit und Verbundenheit, die sage & schreibe fördert.


Das Auge schreibt mit: Anja legt Wert auf eine stimmungsvolle Atmosphäre. (Bild: Anja Seemann)
Das Auge schreibt mit: Anja legt Wert auf eine stimmungsvolle Atmosphäre. (Bild: Anja Seemann)

Wie beobachtest du die Teilnehmer:innen? Was macht die intensive Auseinandersetzung mit der Sprache mit ihnen?


Die Teilnehmenden sind sehr aufgeschlossen gegenüber den Übungen und super fokussiert – gerade in den freien Schreibzeiten. Wir sind immer wieder überrascht, wie viel wir in einer Stunde ganz konzentrierter Arbeiten an unseren Projekten schaffen. Auch das Schreiben bedarf viel Übung und so starten wir immer mit einer kreativen Übung, bevor es in die freie Schreibzeit geht. Ich erlebe, dass die Schreibdates wie ein Türöffner funktionieren. Dass aus Ideen fertige Texte werden oder als wertvolles Übungsfeld dienten. Dass Ziele gesteckt werden, dass das Schreiben verbindet und uns ähnliche Themen beschäftigen.


Der Alltag überlagert leider ab und an unsere Kreativität und zusammen schaffen wir es, das einsame Schreiben in einen gemeinsame Aktivität zu verwandeln – und das motiviert mich sehr und genau das schätzen auch die Teilnehmenden. Ich erlebe daher auch regelmäßig dankbare Worte für mein Engagement.

Die Teilnehmer:innen präsentieren ihre Arbeiten auch öffentlich. Was erwartet das Publikum?


Genau. Zwei feste Lesungen gibt es pro Jahr im Unikum der Uni Oldenburg. Diese Abende beschreibe ich gern als einen bunten Blumenstrauß an Menschen und Texten. Die Lesenden gestalten selbst die Bühne, auf der sie lesen. Ich moderiere durch den Abend und lege großen Wert darauf, dass wir das Schreiben wertschätzen und auch den Mut sehen, den es kostet, eigene – größtenteils unveröffentlichte – Texte öffentlich zu machen.



Gespür für Details: An Texten kann man lange arbeiten, is alles passt - an guter Gestaltung auch. (Bild: Anja Seemann)
Gespür für Details: An Texten kann man lange arbeiten, is alles passt - an guter Gestaltung auch. (Bild: Anja Seemann)

Welche Ziele verfolgst du selbst mit sage & schreibe? Eine Förderung der Sprachkultur? Die Ausbildung von Literat:innen?


In erster Linie finde ich es wichtig, dass wir uns bewusst Zeit für Kreatives nehmen. Ich schreibe grade an meinem ersten Roman und nutze natürlich die Schreibzeit auch, um weiter an meiner Geschichte zu arbeiten. 


Mir ist es sehr wichtig, einen niedrigschwelligen Raum zu schaffen. Ich möchte Hürden abbauen. Ich freue mich, wenn das Schreiben einfach Spaß bringen kann – nicht alles muss immer das eine gradlinige Ziel verfolgen. Das Leben ist ernst genug – sage & schreibe soll deshalb ein warmer, herzlicher Ort für gemeinsame Kreativzeit sein.

Das Format darf also auch ein Experimentierraum sein. Und natürlich freue ich mich, wenn sich durch die Fokussierung auf die Wirkung von Sprache auch die Sprachkultur gefördert wird. Ich glaube, dass das eine dann das andere bedingt: Ich setze mich intensiv mit einem Thema/Projekt schreibend auseinander und verstehe nach und nach mehr, was Sprache bewirken kann. Das muss aber eben nicht nach außen in einem Buch münden, das dürfen auch Erkenntnisse sein, die nach innen wirken.



 


Sprich es aus, schreib es auf


Zum Glück ist die Vorstellung einer stummen Welt nur ein dystopisches Gedankenspiel. Wir Menschen sprechen miteinander und daran wird sich auch nichts ändern - egal, wer gerade die Weltordnung durcheinander würfelt. Erkennbar ist jedoch, dass unsere Sprache wegen ihrer Zweckmäßigkeit häufig nicht wertgeschätzt wird. Die bewusste Auseinandersetzung fehlt. Und das ist paradox, denn sie ist gleichzeitig wichtig und schön.


Bühnenreif: Zweimal im Jahr können Interessierte ihre Texte im Theater Unikum vorstellen. (Bild: Anja Seemann)
Bühnenreif: Zweimal im Jahr können Interessierte ihre Texte im Theater Unikum vorstellen. (Bild: Anja Seemann)

Umso wertvoller sind Initiativen wie „sage & schreibe“. Anja Seemann hat ihren zunächst flüchtigen Gedanken - „Das muss doch auch analog gehen!“ - glücklicherweise nicht verworfen. Vielleicht hat sie ihn gar laut ausgesprochen oder aufgeschrieben. Das folgende Experiment ist jedenfalls vollauf gelungen - und Oldenburg um ein attraktives Angebot zu unserem vielleicht wichtigsten Kulturgut reicher.


Wer Sprache also nicht nur dazu benutzen möchte, um knappe Captions zu formuliern oder kurze Messages zu verschicken, und wer stattdessen tiefer eintauchen will in ihre zahlreichen Nuancen, Möglichkeiten und Wirkungsweisen, sollte sich „safe & schreibe“ unbedingt näher anschauen. Und wer weiß? Vielleicht ist dieses Angebot der entscheidende Zündfunke für eure Literaturkarriere. Deshalb: Sagt, schreibt - seid dabei!


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