Wie klingt eigentlich eine Stadt? Und was wäre das Ergebnis, würde man ihre Geräusche in Klangkunst verwandeln? Spannende Fragen, die bisher kaum beantwortet wurden. Doch das wird sich ändern. Denn seit dem 1. März arbeitet der 27-jährige Bildhauer Jonas Meyburg, erster Stipendiat der Oldenburger Kunstschule, an diesem Thema. Wie Skulpturen und Soundkulissen zusammenpassen? Und was Oldenburg davon hat? Lest ihr in unserem Portrait!
Das Image einer Stadt definiert sich in erster Linie über das Visuelle. Jeder kennt die berühmten Bilder touristischer Highlights: Die Oper in Sydney, die Christus-Statue von Rio de Janeiro, der Lappan in Oldenburg. Sie alle sind Meilensteine des Stadtmarketings. Klar: Bilder lassen sich am einfachsten zu kommunizieren - und jeder kann sofort einen Bezug dazu aufbauen. Aber ist die Stadt tatsächlich nur mit den Augen zu erfassen? Oder gehört dazu nicht mehr? Gerüche? Gefühle? Und: Geräusche?
Eine Stadt ist die Summe ihrer Teile und es ist gut, wenn man sich bewusst macht, dass es dabei um mehr geht als nur das, was man in Hochglanzprospekten oder im Insta Feed sieht. Bilder sind schön und gut, aber auch bekannt und abgenutzt, Vielleicht sollten wir Städte einfach mal anders wahrnehmen, um neue Eindrücke zu gewinnen - und mit ihnen auch neue Erkenntnisse? Genau diese Frage hat sich auch die Oldenburger Kunstschule gestellt und gibt nun - mit der Vergabe eines Stipendiums - ganz eigene, überaus spannende Antworten.
OLDENBURGER KUNSTSCHULE
STUDIO 10
WERKSTATT UND ATELIER DES STIPENDIATEN JONAS MEYBURG
1. MÄRZ BIS 31. OKTOBER
DIENSTAGS UND MITTWOCHS
11 BIS 17 UHR
WEITERE VERANSTALTUNGEN IN VORBEREITUNG
26122 OLDENBURG
Außen schwarz, innen bunt
Wir treffen Jonas draußen vor seinem Atelier am Lefferseck, überaus praktisch gelegen zwischen Späti und Bankzentrale. Er trägt schwarze Cargohosen, schwarzes Shirt, schwarze Cap. Hat man sich so einen Stipendiaten einer Kunstschule vorgestellt? Oder doch eher einen kunterbunten Vogel erwartet? So oder so sollte man sich nicht von Äußerlichkeiten täuschen lassen. Schließlich gibt es optisch extravagante Zeitgenossen, die letztlich aber auch nicht anders sind als alle anderen. Dem gegenüber stehen die Menschen, die es nicht darauf anlegen, äußerlich aufzufallen - in deren Köpfen es dafür umso bunter zugeht. Und zu diesen gehört auch Jonas.
Er ist der erste Stipendiat der Oldenburger Kunstschule. Die entsprechende Ausschreibung sah vor, dass die Funktion und Entwicklung der Innenstadt künstlerisch in den Blick genommen wird. Eine zentrale Rolle sollten dabei auch partizipative Ansätze spielen, d.h. die Bevölkerung sollte idealerweise in die Entwicklung eingebunden werden. Das Stipendium läuft ein halbes Jahr, gestartet ist Jonas allerdings schon am 1. März. Das hat den Nachteil, dass wir schon ein paar Wochen verpasst haben - aber den Vorteil, dass er schon ein wenig angekommen ist und schon das eine oder andere zu erzählen hat.
Kannte er Oldenburg eigentlich vorher? „Nicht wirklich“, gibt er zu. Einmal sei er für einen Filmdreh in der Stadt gewesen; sogar direkt gegenüber seines jetzigen Ateliers. „Viel mehr habe ich aber nicht gesehen.“ Also auch keine Vorstellung von der Kultur? „Nein, dafür blieb damals leider keine Zeit. In Erinnerung geblieben ist mir aber, wie schön Oldenburg ist.“ - und es klingt nicht so, als wolle er damit nur einen guten Eindruck machen. Ein positiver Vibe, aber noch viel zu entdecken - das sind beste Voraussetzungen für eine produktive Zeit an der Hunte.
Es kommt nicht auf die Größe an
Geboren ist der 27-jährige Künstler in Duisburg, seine letzte Station war jedoch Braunschweig, wo der an der Hochschule für Bildende Künste Bildhauerei studierte. Oldenburg ist also gewissermaßen eine weitere „Verkleinerung“ der Lebensumgebung. Was hat ihn an der recht konkreten Ausschreibung der Oldenburger Kunstschule gereizt - wo doch die Stadt selbst nicht das entscheidende Argument gewesen sein kann?
„Der öffentliche Raum ist ein Thema für mich", stellt Jonas fest. Das sei schon während des Studiums so gewesen und es habe unter den Kommilitonen:innen lebhafte Diskussionen dazu gegeben. Er ist eben ein Treff-, Bezugs- und Kristallisationspunkt des zwischenmenschlichen Zusammenlebens, ein Brennglas für Konflikte und Potenziale. Deshalb verlangt er nach besonderer Beachtung und Gestaltung - und nach ständiger Weiterentwicklung.
FRÜHSTART KUNST DER ANDERE WEG AN DIE UNI Für das Studium an einer Kunsthochschule braucht man normalerweise eine Bewerbungsmappe. An der Hochschule für Bildende Künste (HBK) Braunschweig ist das anders: Beim „Frühstart Kunst“ können potenzielle Studienbewerber:innen die Hochschulangebote ausprobieren und einen Studienplatz auch ohne Mappe ergattern. „Das ist wirklich cool“, erinnert sich Jonas zurück. „Da geht man einfach hin, für sechs oder sieben Stunden. In einer Halle liegt dann Material aus und dann heißt es einfach 'Hier, macht mal!' Und dann machen die Leute auch.“ Für ihn sei dies von entscheidender Bedeutung gewesen, erzählt er weiter. Er habe Zweifel, ob er es jemals geschafft hätte, eine Mappe zusammenzustellen. „Ich habe vorher nicht als Künstler gearbeitet, sondern im Krankenhaus. Ich hatte schlichtweg wenig vorzuzeigen.“ Umso wichtiger, dass es Angebote wie den „Frühstart Kunst" gibt und andere Wege aufzeigen - die durchaus nach Oldenburg führen können.
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Auch das Element der Partizipation empfindet er als positiv; „Meine Herangehensweise ist zwar von Projekt zu Projekt unterschiedlich, und bei einigen arbeite ich ganz allein“, gibt er einen Einblick in seine Arbeit.
„Ich habe aber früh festgestellt, dass es meist fruchtbarer ist, wenn man mit anderen zusammenarbeitet.“
Wenn verschiedene Personen an einem Werk beteiligt seien, dann ergebe sich dabei oft mehr als die Summe der einzelnen Teile. Und dieser Effekt ist umso wertvoller, wenn man sich einem Thema annähert, das man selbst noch nicht kennt, für das es aber etwa 174.000 Fachleute gibt - nämlich die Oldenburger:innen.
Grundprinzip Offenheit
Doch wie sieht das alles konkret aus? Wie nähert man sich einer Innenstadt - dieser unruhigen Mischung verschiedenster Nutzungen, diesem vibrierenden Treffpunkt tausender Menschen - künstlerisch an? Wie kann man sie „greifen“ und „darstellen“?
Wir begeben uns auf Spurensuche und begleiten Jonas durch sein „Studio 10“. Dabei fällt eines sofort auf: Der junge Künstler lässt sich nicht auf Genre, Methode oder Werkstoff festlegen - auch wenn er Bildhauerei studierte. Auf seiner großen Werkbank liegen allerlei Werkzeuge, Materialien, manches wirkt wie zufällig liegen gelassen, hat aber doch einen Sinne und Zweck. Dazwischen: Einige minimalistische plastische Entwürfe, die an Produktdesign erinnern. Was erwartet uns hier nur? Jonas muss schmunzeln. „Ich möchte noch nicht zu viel verraten“, sagt er schließlich. „Ich will offen sein für das, was an Einflüssen reinkommt. Das Werk entsteht im Prozess.“ Zu viele Vorgaben würden einer möglich freien Arbeit sowieso eher entgegenstehen, findet der Stipendiat.
„Ich find es schön, wenn man in der Kunst eine Erfahrung macht und sich anhand dieser Erfahrung selbst etwas erklären kann.“
Der Klang der Stadt
Wir dürfen also nicht mit einer überlebensgroßen Statue rechnen, die irgendwann monolithisch in der Innenstadt herumstehen wird, so viel steht fest. Doch womit dann? Ausgerechnet im hintersten Winkel des ehemaligen Ladenlokals offenbart sich endlich ein konkreter Hinweis, in welche Richtung es gehen könnte. Dort nämlich steht ein kleines Tonstudio, verschiedene Instrumente sind aufgereiht - und natürlich befindet sich dort auch der obligatorische Computer für Aufnahme und Postproduktion. Das liegt eine Frage nahe: Wird etwa Klangkunst eine Rolle spielen?
„Ja, auf jeden Fall“, betont Jonas. Das Thema Klang beschäftigt ihn schon seit geraumer Zeit. Bevor er begann, sich als Jugendlicher - „mit 15 oder 16“ - ernsthaft der Kunst zu widmen, hatte er schon lange mit Sounds getüftelt. An die Hochschule führte ihn letztlich zwar ein anderer Ansatz, das Studium an der HBK ermöglicht es seinen Studierenden aber, interdisziplinär zu denken und zu arbeiten. So konnte Jonas neben der Bildhauerei auch Experimente in der Klangkunst durchführen.
Dabei handelt es sich aber nicht etwa um Musik, sondern um intermediale Kunstformen, in denen Klänge mit anderen Künsten und Medien zu einem Kunstwerk verschmelzen. Das können zum Beispiel Klangskulpturen, Klanginstallationen, Musikperformances oder medienkünstlerische Arbeiten mit Hörspiel, Feature, Video oder Computernetzen sein. Ihr fragt euch, wie das klingen könnte? Wir uns auch. Doch vorerst müssen wir uns noch gedulden.
KUNST-STIPENDIEN IN DER DAUER LIEGT DIE KRAFT Stipendien sind noch nicht überall üblich und auch in Oldenburg trifft man dieses Format nur vereinzelt an, etwa im Edith-Russ-Haus. Doch die Vorzüge sind vielfältig:
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Jonas sieht Vorteile im Vergleich zur klassischen Bildhauerei. Die sei gerade im öffentlichen Raum zwar sehr präsent, in der Regel aber passiv. Das sei beim Klangkunstwerken anders: „Es gibt da viele Konzepte, zum Teil aus den Sechzigern, die sehr zum Erkunden einladen.“ Daran wolle er sich bis zu einem gewissen Grad orientieren, gleichzeitig aber etwas Neues schaffen. Und dabei kommen auch seine Handfertigkeiten ins Spiel - denn zur Klangkunst gehören die Tonquellen und Abspielmöglichkeiten. Und die kreiert Jonas in seiner Werkstatt selbst, wie einige Prototypen erahnen lassen.
Work in progress
Es wäre aber zu simpel, wenn der junge Stipendiat einfach irgendetwas komponieren würde. Das ist nicht der Fall, denn die Komposition - sofern man bei Klängen davon sprechen kann - übernimmt die Stadt selbst. Jonas wird verschiedenste Quellen für seine Arbeit nutzen, denen er in den kommenden Wochen über Orte, Daten oder Personen begegnet. „Ich beschäftigte mich viel mit Energie, die transformiert wird“, gibt er einen Hinweis darauf, was ihn besonders interessiert.
„Früher in der Bildhauerei habe ich viel mit Materialien gearbeitet, die sich verändern oder die von anderen Kräften - wie der Schwerkraft - verformt werden.“
So habe er zum Beispiel mit Karamell gearbeitet, was sich bei einer Luftfeuchtigkeit von über 60 Prozent einfach auflöst. In Oldenburg interessiere ihn zum Beispiel die energetische Infrastruktur, sprich: Kabel, Rohre, Anlagen, Netze. Diese Dinge sind im Alltag meist unsichtbar sind, verbinden uns aber dennoch miteinander.
Ein Beispiel für eine andere Datenquelle ist der Klimaschutzplan der Stadt Oldenburg: Die Zahlen und Skalen aus dem Papier könnten zu Sounds verarbeitet werden. „An die Stelle kalter, abstrakter Werte rücken Sound-Landschaften“, erklärt Jonas. Wie das geht? Wir haben keinen Schimmer, sind aber sehr entspannt auf das Ergebnis. Denn diese andere Form der Auseinandersetzung mit der Stadt, die Einnahme veränderter Blickwinkel und die Verwendung kreativer Methoden ermöglicht ganz neue Wahrnehmungen. Und nicht zuletzt darum geht es bei diesem Stipendium.
Zusammen weniger allein
Und was ist mit den ausgewiesenen Oldenburg-Fachleuten, also den Bürger:innen? Wie können die mitmachen? Ganz einfach: Während der oben genannten Öffnungszeiten können sie Jonas in seinem Studio besuchen und sich mit ihm austauschen. Wir versprechen: das lohnt sich, denn Jonas hat auf eine angenehm zurückhaltende Art viel zu sagen. Ob oder wie diese Gespräche Einfluss auf die künstlerische Arbeit haben? Ihr ahnt es: Steht nicht fest. Darüber hinaus wird es auch Veranstaltungen wie Open Air Konzerte geben, behaltet das Studio 10 also lieber im Blick!
Daneben führt Jonas bereits seit einiger Zeit Interviews mit fachlichen Expert:innen oder Passant:innen. Eine Idee, was daraus wird, hat er während des Gesprächs in der Regel noch nicht. Vielmehr handele es sich bei den Interviews um Recherche und Stoffsammlung. Er selbst habe dabei eine redaktionelle Funktion, die alle eingehenden Stoffe sortiert, ein- und zuordnet. Später können aus den Materialien sowohl Komponenten für eine Klangcollage ergeben, aber auch eine Aufhängergeschichte, die einen roten Faden bilde. Jonas gefällt diese Art der Arbeit:
„Die Öffnung nach außen und der Blick darauf, was an Einflüssen reinkommt - das ist ein schöner Prozess.“
Der Stipendiat weiß, wovon er spricht: Als Tutor und Gruppenleiter an der Universität hat Jonas viel Erfahrung gesammelt, was kollaborative Arbeit angeht. So eröffnen sich also Chancen für die Bevölkerung, Teil eines spannenden Kunstprojekts zu werden, das es - so viel lässt sich schon sagen - in dieser Form noch nicht gegeben hat. Sofern die Besucher:innen einwilligen, könnten ihre Aussagen Teil des Kunstwerks sein, das am Ende entsteht.
Wie nie zuvor
Als wir langsam zurück zum Ausgang gehen und durch die Fenster bereits die Lange Straße sehen, wird noch einmal deutlich: Jonas Meyburg mag rein äußerlich kein bunter Vogel sein, er entspricht keinem gängigen Künstler-Klischee. In seinem Inneren tummeln sich aber unzählige kluge Einfälle, Ansätze und Ideen. Dazu passt der betont offene Ansatz für dieses Projekt. Zwar gibt es hier und da Vorstellungen und Festlegungen. Die genauen Inhalte sind anfangs aber ebenso offen wie das Verfahren oder die Methoden - denn schließlich hängt alles von seinem Untersuchungsobjekt Oldenburg ab.
All das wirkt aber nicht etwa unvorbereitet, sondern vielmehr so, als sei es der richtige Ansatz für eine möglichst unvoreingenommene Betrachtung der Stadt und ihres Sounds. Aber hat Jonas nicht vielleicht doch Wünsche, was sich idealerweise am Ende ergeben soll? „Doch, durchaus“, antwortet er „Ich könnte mir vorstellen, dass es am Ende kleine Boxen mit Soundmodulen gibt, mit denen man durch die Stadt geht und die jeweiligen Klänge reagieren auf die Räume, auf die Umgebung, auf den Plan der Stadt.“ Visuelle und akustische Eindrücke würden miteinander verzahnt und durch die eigene Bewegung hat man Einfluss auf diese Orchestrierung.
Wir hätten nichts dagegen, wenn es genau so kommt, denn dieses Vorstellung klingt ziemlich cool. Etwas anderes steht dagegen bereits fest: Wenn Jonas Mitte Oktober die Ergebnisse seiner Arbeit präsentiert wird, dann erhalten wir damit einen Blick auf unsere Stadt, wir es ihn nie von zuvor gab. Allein das wäre eine enorme Bereicherung, denn so etwas ist selten nach etwa tausend Jahren Stadtgeschichte. Und wer weiß? Vielleicht stoßen diese neuen Wahrnehmungen weitere Prozesse an oder schaffen neue Akzente für Oldenburgs Image - weil wir die Dinge plötzlich anders oder plötzlich andere Dinge sehen. Es ist der Sound der Stadt - tanzen wir dazu!
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