Oldenburg? Kennt man. Wer hier einige Jahre lebt, hat die Stadt gewissermaßen druchgespielt. Kann da noch etwas überraschen? Ja, allerdings. Nämlich dann, wenn jemand von außerhalb einen intensiven Blick auf Oldenburg wirft und dabei ganz andere Eindrücke gewinnt als viele Einheimische sie haben - so wie Gordon Endt. Der Projektstipendiat der Oldenburger Kunstschule stellt nun in einer Ausstellung das spektakuläre Ergebnis seiner halbjährigen Arbeit vor.
Jede:r kennt das: Wenn man irgendwo fremd ist, muss man sich zunächst mal orientieren. Mit der Zeit gewinnt man erste Eindrücke und später vielleicht auch ein Gefühl für den bisher unbekannten Ort. Das hat vielleicht manchen Nachteil, schließlich ist es vergleichsweise mühsam, sich nicht auszukennen und alles erst herausfinden zu müssen. Es hat aber den entscheidenden Vorteile, dass man auf diese Weise eine Stadt und ihre Eigenarten vollkommen neu entdecken kann - und dabei vielleicht ganz anders wahrnimmt als diejenigen, die schon lange dort sind.
Dieses Prinzip trifft auf die Stipendiaten der Oldenburger Kunstschule zu. Nach Jonas Meyburg im Jahr 2023 war nun der gebürtige Freiburger Gordon Endt für sechs Monate in Oldenburg und hat die Stadt auf eine künstlerische Weise beobachtet, kennengelernt und zu verstehen versucht. Was beide Künstler gemeinsam haben: Sie suchten dafür den direkten Kontakt mit der Oldenburger Bevölkerung. Und auch die Ergebnisse weisen eine Parallele auf: Sie zeigen uns Oldenburg, wie wir es nie zuvor wahrgenommen haben.
GORDON ENDT: OPT OUT
16. BIS 30. NOVEMBER
DIENSTAG BIS FREITAG 15-18 UHR
STUDIO 10
26122 OLDENBURG
Umweg zum Wunschziel
Manchmal laufen die Dinge nicht nach Plan und werden gerade deshalb genau richtig. So war es auch bei „Opt Out“, der Abschlussausstellung von Gordon Endt. „Mein Ziel war es eigentlich, gemeinsam mit den Passant:innen in meinem Studio in der Langen Straße einen Animationsfilm zu machen“, erinnert er sich an seine ursprünglichen Pläne. Die verwarf er jedoch, nicht zuletzt wegen der Lage in der betriebsamen Innenstadt, in die viele Menschen - zumal im Winter - wenig Muße mitbringen: „Ich fand es letztlich sinnlos, einen Filme zu erstellen, der hier nebenbei läuft - und die Leute schauen kurz rein und bekommen höchstens die Hälfte mit.“
Der rettende Gedanke war dann eine Erinnerung an sein Studium an der Universitat Politècnica im ostspanischen Valencia. Dort hatte sich Gordon intensiv mit interaktiven Medien beschäftigt. Eine Vorstellung drängte sich auf: „Es wäre es doch super, wenn ich beim Film selber bestimmen kann, mit welcher Geschwindigkeit ich laufe, wie lange ich an einem Ort bleibe oder wo ich überhaupt lang gehe, weil mich etwas interessiert.
Stadtportrait aus Menschensicht
Gesagt - getan. Was aber unendlich viel leichter klingt, als es tatsächlich ist. Denn bevor er vom Sagen zum Tun übergehen konnte, musste Gordon zunächst viele Gespräche führen, um sich dem Phänomen Oldenburg über das Wissen der Einheimischen erst einmal anzunähern. Denn der spielbare Film - oder ist es ein verfilmtes Spiel? - sollte keine Tourismusbroschüre ersetzen, sondern mit den Gefühlen der Oldenburger:innen gespeist sein.
AUSSTELLUNG LÄUFT NUR KURZ DIE ZEIT IST KNAPP Sechs Monate hat Gordon Endt in der Oldenburger Fußgängerzone gearbeitet, die Ausstellung mit dem Ergebnis seines Schaffens läuft aber nur zwei Wochen. Wer in den verbleibenden Tagen des Novembers nicht mehr die Gelegenheit hat, ins Studio 10 in der Langen Straße zu kommen, muss sich nicht grämen: „Opt Out“ soll der Stadt erhalten bleiben. „Ich suche gerade nach Orten, an dem der interaktive Film dauerhaft ausgestellt werden kann“, verrät Gordon. Denkbar - weil artverwandt - sei etwa das Oldenburger Computer-Museum. Aber auch das Edith-Russ-Haus für Medienkunst oder das künftige Stadtmuseum könnten geeignete Ort sein, um Oldenburg einmal ganz anders zu erleben bzw. zu erspielen. Bis eine Lösung gefunden ist, lohnt sich ein Blick auf Gordons Website oder seinen YouTube-Channel. Aber hoffen wir, dass „Opt Out“ eine angemessene dauerhafte Heimat in Oldenburg findet.
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„Es sind viele Gespräche eingeflossen“, berichtet der Künstler. „Mache haben hier im Studio stattgefunden, andere in meiner Nachbarschaft oder sonstwo in der Stadt.“ Nach jeder Konversation fertigte Gordon zunächst eine grafische Skizze an, die Momente, Gedanken oder Gefühle festhielt. Hinzu kamen weitere Zeichnungen, die seine eigenen Empfindungen und Erfahrungen widerspiegelten. Mit jedem Bild wuchs auch der Film, denn alles bedeutete zusätzlichen Input. „Am Ende entstand ein Stadtportrait aus der individuellen Sicht der Menschen.“
Zeichnerisches Talent: Der Medienkünstler Gordon Endt weiß auch mit dem Stift umzugehen. (Bilder: Kulturschnack)
Kooperation mit der KI
Und wie wird daraus nun ein spielbarer Film? Beziehungsweise: Kunst mit Controller? Als Basis nutzte Gordon digitales Kartenmaterial von Google, in dem viele Städte bereits dreidimensional hinterlegt sind, so auch Oldenburg. Diese - im Detail eher grobkörnigen - Bilder der Stadt übertrug er in die Spiele-Engine Unity, die eine Echtzeit-Darstellung von 3D-Daten ermöglicht. Dadurch wurden sie mittels eines üblichen Konsolen-Controllers begehbar. Aber wäre das schon Kunst? Nein, schließlich wäre es nur ein Abbild der Realität, das keinen eigenen Twist hätte.
Der kommt jetzt: Mithilfe einer künstlichen Intelligenz verwandelte Gordon seine Skizzen in digitale 3D-Modelle, die er in das künstliche Oldenburg einfließen ließ. Dabei verzichtete er aber auf Text-Prompts, also auf möglichst präzise Vorgaben, wie das Ergebnis am Ende aussehen soll. Stattdessen fütterte er den Algorithmus lediglich mit seinen Zeichnungen - und dabei zeigten sich Möglichkeiten, aber auch Grenzen: „Mit fotorealistischen Bildern kann die KI gut umgehen“, berichtet Gordon. „Bei meinen Skizzen tauchten aber Artefakte auf, zum Bespiel in Form von Löchern.“ Außerdem spüre man die „Bias“ der KI, also die Voreingenommenheit bei bestimmten Themen. „Ein Bild von mir trug im 3D-Modell plötzlich Lippenstift. Bei der Darstellung von Menschen gibt es eine Verschiebung zu normativ schönen Frauen, obwohl es dafür gar keine Anhaltspunkte gab.“ All die kleinen - und manchmal großen - Schwierigkeiten im Erstellungsprozess hat Gordon in einem aufschlussreichen Making Of-Video beschrieben.
Ein Psychogramm für Oldenburg
Und das Ergebnis? Wie sieht das digitale Oldenburg denn nun aus? Wer schwärmerische Bilder erwartet und sich auf ein digitales Lustwandeln im Schlossgarten freut, sei gewarnt: Die Variante unserer Stadt, die Gordon mit der KI erzeugt hat, ist nicht unbedingt postkartentauglich. Sie ist dunkler und abstrakter als die Realität. Oder... vielleicht doch nicht? Zwar unterscheidet sich die düstere Atmophäre durchaus von unserer Wahrnehmung des Oldenburger Alltags. Aber: Das tut sie deshalb, weil eben nicht die Oberfläche der realen Welt abgebildet wird, sondern weil die Geschichten der Menschen ausschlaggebend für das Ergebnis waren.
Dass Oldenburg normalerweise eine schöne Stadt ist? Darüber muss man nicht streiten. Immer wieder wird sie als sehr hübsch und lebenswert gepriesen. „Oldenburg ist eine richtig schöne Stadt, ich bin gerne hier“, betont auch der Medienkünstler. Er empfinde sie keineswegs als so düster, wie sie in „Opt Out“ vielleicht wirke. Aber: „Es gibt auch andere Ebenen Oldenburgs und die haben mich noch mehr interessiert als das Stadtbild.“ In den Gesprächen mit seinen Gästen seien immer wieder gruselige Momente oder schwarzer Humor aufgetaucht - und diese Dinge seien im Film erkennbar. „Das ist fast ein Psychogramm, ein Blick hinter die schönen Fassaden.“ erklärt Gordon. „Es ging nicht darum, eine 1:1-Replikation der Stadt zu erstellen und dort etwas stattfinden zu lassen. Ich wollte auf Dinge schauen, die man erst rausfindet, wenn man länger hier ist.“ Das habe er in den Gesprächen auch herauskitzeln wollen und deshalb auch unangenehme Fragen gestellt.
Schritt für Schritt: Auch wenn Gordon künstliche Intelligenz eingesetzt hat, war es ein weiter Weg von den Gesprächen bis zum begehbaren Kunstwerk Oldenburg. (Screenshots: Kulturschnack)
Ein anderer Blick auf die Stadt
Zwar kann man in „Opt Out“ nicht die ganze Stadt begehen, sondern nur ausgewählte Bereiche wie etwa den Hafen oder die Lange Straße. Dennoch ist es eine interessante Erfahrung, ein Kunstwerk - das gleichzeitig die Heimatstadt ist - mittels eines Controllers zu erkunden. Mit professionellen Games kann „Opt Out“ natürlich nicht mithalten, es ist aber dennoch beachtlich, wie gut das Ergebnis letztlich funktioniert.
Etwas Offenheit sollte man dennoch mitbringen. Eine lineare Handlung gibt es nicht, der Aufbau bleibt eher fragmentarisch. „Je nachdem, wolang du gehst, wen du triffst und mit wem du sprichst, entsteht ein anderes Bild der Stadt“, erklärt Gordon. Das eröffne die Gelegenheit für individuelle Erfahrungen - aber auch die Chance, gleich mehrfach zum Controller zu greifen, denn je nach Route ist die Geschichte eine andere. „Ungefähr eine Stunde dauert es, wenn man alle Wege gehen will“, weiß Gordon. Es schadet also nicht, wenn man etwas Zeit hat.
Zumal man sich in Erinnerung rufen sollte: Auch wenn man einen Controller in der Hand hat, ist „Opt Out“ kein Konsolen-Spiel. Selbst die Beschreibung als spielbarer Film ist nur ein Hilfskonstrukt. Was Gordon tatsächlich geschaffen hat, ist nicht anderes als ein digitales Kunstwerk - das zwar unsere Stadt in den Mittelpunkt rückt, das aber mehr von uns verlangt als schöne Fassaden zu bestaunen. Die bisweilen schroffe Rätselhaftigkeit mag manche abschrecken. In Wahrheit ist sie aber eine Einladung, Oldenburg einmal anders wahrzunehmen als wir es üblicherweise tun. Unser Tipp: Solche Einladungen sollt man immer annehmen. Warum? Weil man auf diese Weise die Chance erhält, die Heimatstadt und ihre Eigenarten nochmal neu kennenzulernen. Un das nächste Mal vielleicht antwortet: Oldenburg? Kennt man - noch längst nicht.
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