Das Oldenburgische Staatstheater ist das Flaggschiff der Oldenburger Kulturlandschaft. Sein Output allein würde unsere Stadt schon zu einer Theatermetropole machen. Um halbwegs den Überblick zu behalten, gibt es nun den Kulturschnack Staatsakt. Hier treffen wir uns mit den Akteur:innen und sprechen mit ihnen über Premieren, Projekte, Persönliches. Das ist Theater - im Rampenlicht und hinter den Kulissen!

Weltweit sprechen etwa 2,2 Millionen Menschen Platt. Überraschenderweise tun sie das nicht nur in Ovelgönne und Friesoythe, sondern auch in Kanada und Brasilien. Aber hier, in unserer Region, ist natürlich das Epizentrum des Niederdeutschen. Nicht von ungefähr gibt es einen entsprechenden Bachelor-Studiengang an der Carl von Ossietzky Universität und das Niederdeutsche Bühne am Oldenburgischen Staatstheater.
Sie ist die Heimat des Schauspiels auf Platt. Aber was für Stoffe gibt es eigentlich zu sehen? Sind es die typischen Schenkelklopfer-Komödien im Dorfkrug-Setting? Oder steckt sehr viel mehr im Niederdeutschen Theater? Und ob, stellt sich im Kulturschnack Staatsakt Nr. 6 heraus, der das Stück „Hector sien Reis or de Söök na't Glück“ unter die Lupe nimmt. Hauptdarsteller Florian Pelzer - schon selbst kein typischer Plattschnacker - erzählt, warum der literarische Welterfolg von François Lelord auf Platt nicht nur funktioniert, sondern sogar noch an Reiz gewinnt.
OLDENBURGISCHES STAATSTHEATER
HECTOR SIEN REIS OR DE SÖÖK NA’T GLÜCK
NACH DEM ROMAN VON FRANÇOIS LELORD
SA 29. MÄRZ, 20 UHR (TICKETS)
KLEINES HAUS
26122 OLDENBURG
S E C H S T E R
S T A A T S A K T
E R S T E R A U F T R I T T
Ein großzügig verglaster Raum mit Blick auf die Villen des Dobbenviertels, eine strahlende Wintersonne erhellt den frostigen Tag. Verschiedene ältere Möbelstücke stehen ungeordnet herum. Zwei Kultur-Redakteure prüfen und justieren die Blickwinkel der aufgestellten Kameras. Der Gesprächspartner erscheint pünktlich und gut gelaunt. Er freut sich auf das anstehende Gepräch.

THORSTEN Hi Florian. Cool, dass du dir die Zeit genommen hast!
FLORIAN Voll gerne. Ich freu mich total, dass wir mit dem Niederdeutschen Schauspiel beim „Staatsakt“ dabei sein können.
THORSTEN Die Freude liegt ganz bei uns! Kev, startest du die Kameras?
KEVIN Die laufen schon längst!
(Florian und Thorsten quatschen noch kurz über Alltägliche, etwa seine Anfahrt aus Bremen. Dann beginnt das Gespräch.)
THORSTEN Wir müssen heute mit einem Bekenntnis starten: Der Kulturschnack ist ein Etikettenschwindel! „Schnack“ ist ja ein plattdeutsches Wort. Aber wir sprechen gar kein Platt! Oder, Kevin?
KEVIN Nope! THORSTEN Siehste, dachte ich doch. Aber wie war das bei dir, Florian? Wir ist es dazu gekommen, dass du platt schnackst?
FLORIAN Sehr gute Frage. (überlegt kurz) Das hat- wie bei vielen wahrscheinlich - über die Familie angefangen. Meine Großeltern haben zuhause immer plattgeschnackt. Wenn ich bei ihnen zu Besuch war und mit am Esstisch saß, dann haben Oma und Opa zusammen immer Platt gesprochen. Und wie das dann eben so ist: Wenn man das verstehen und mitreden will, dann muss man eben die Wortlaute aufgreifen.Ich hab die Sprache als Kind also zunächst über das Hören und danach über das eigene Anwenden gelernt.
THORSTEN Ist das nur passiert, um bei Oma und Opa mitschnacken zu können? Oder hat die Sprache für dich auch einen Reiz? Was gefällt dir daran?
FLORIAN Zu Beginn war es wirklich nur, um Teil des Gesprächs sein zu können. Relativ schnell habe ich dann aber gemerkt, dass diese Sprache zur norddeutschen und zur Oldenburger Kultur gehört. Oldenburg ist ja diese schöne Kombination aus Stadt und Land, alles unweit voneinander entfernt. Und gerade wenn man raus aufs Land fährt, dann ist das Platt auch noch eine feste Instanz. Letztlich ist es auch eine Frage der regionalen Identität. Ich bin gebürtiger Norddeutscher und gebürtiger Oldenburger. Für mich war es schnell klar, dass es deshalb auch zu meiner Identität gehört.

THORSTEN Und wenn du es mit dem Hochdeutschen vergleichst: Macht es dir besonders viel Spaß, Platt zu sprechen, weil es doch etwas anders ist?
FLORIAN Auf jeden Fall! Es macht wahnsinnig viel Spaß. Privat spreche ich es mittlerweile nur selten, was ich ganz schade finde. Deswegen ist das Theaterspielen eine schöne Abwechslung. Und immer, wenn ich anfange, einen Text zu lernen und auf der Bühne zu spielen, merke ich, wie schade es eigentlich ist, dass man das viel zu selten macht.
Es gibt fast nichts, was auf Platt unangenehm rüberkommt. Selbst wenn man negative Sachen ausspricht, klingt es doch immer irgendwie schön. Die Sprache hat einen angenehmen Singsang und eine große Wärme.
THORSTEN Ja, selbst wenn man auf Platt flucht wie ein Kesselflicker, ist niemand böse Würdest du deshalb sagen, Platt eignet sich gut als Bühnensprache? Macht es bestimmte Dinge möglich, die auf Hochdeutsch vielleicht gar nicht so gut funktionieren würden?
FLORIAN Das ist für mich schwierig zu vergleichen, weil ich bisher wenig auf Hochdeutsch gespielt habe. Plattdeutsch ist ja oft sehr breit und sehr melodisch. Ich glaube, das macht es für manche Zuschauer:innen angenehmer, dem Stück zu folgen. Du hast es ja gerade gesagt: Selbst wenn man flucht, hat das immer noch etwas Schönes. Ich glaube, dass man im Plattdeutschen viele Theaterstücke positiver rüberbringen kann als im Hochdeutschen, weil die Aussprache dort oft sehr hart ist.
THORSTEN Andersrum gefragt: Würde ein betont düsterer Stoff wie „Macbeth“ auf Platt funktionieren?
FLORIAN Schwierig. Ich glaube, es würde funktionieren, aber es hätte einen ganz anderen Charakter. Es würde nicht „Macbeth“ sein, wie es gerade im Staatstheater gespielt wurde. Es wäre einfach ein anderes Stück. Das Prinzip gilt auch für „Hector sien Reis“. Unser Regisseur Nils Braun hat es ja vorher in Freiberg auch auf Hochdeutsch inszeniert und er sagte selber, das es nun einen ganz anderen Charakter bekommen hat. Es sei viel weicher, viel angenehmer, viel herzlicher. Ich glaube, „Macbeth“ würde auf Platt funktionieren, aber es wäre halt nicht „Macbeth“, wie wir es kennen.
THORSTEN Na, das wäre doch mal ein Experiment wert! Vielleicht erleben wir das in einer der kommenden Spielzeiten.
FLORIAN (lacht) Super gerne! Ich wär dabei!
Vorbilder: Das Buch von François Lelord und die Verfilmung von Peter Chelsom sind weltweitn bekannt. Auf Platt gewinnt der Stoff aber neue Facetten hinzu. (Bilder: Piper Verlag, Eurovideo)
THORSTEN Kommen wir mal zu „Hector sien Reis“. Die Buchvorlage von François Lelord war vor zwanzig Jahre ein Riesenerfolg, es wurde später auch verfilmt. Ich nehme trotzdem an, dass die Handlung nicht jeder kennt. Kannst du kurz beschreiben, worum es geht?
FLORIAN Hector ist ein Psychiater, der gerade mehr oder weniger in einer Midlife-Crisis steckt. Er kriegt immer mehr mit, dass seine Patienten traurig und unglücklich sind. Er hinterfragt daraufhin nicht nur sich selbst, sondern generell dieses Unglück. Wo kommt das her und wie kann man es vielleicht verändern? Auf der Suche nach Antworten begibt er sich dann auf eine Reise um die Welt und lernt dort unterschiedlichste Persönlichkeiten kennen, die alle eine andere Definition von Glück mitbringen. Er versucht, daraus dann Schlüsse für sich selbst und sein eigenes Leben, aber auch für das Glück generell zu ziehen.
STARKES THEATERPROGRAMM
DIE GROßE VIELFALT
Mit dem KULTURSCHNACK STAATSAKT starten wir ein regelmäßiges Interview-Format mit dem Oldenburgischen Staatstheater. Ihr fragt euch, warum wir das tun? Nun: Dafür gibt es genau 164 Gründe.
![]() Das ist nämlich die Zahl der Seiten des aktuellen Spielzeitheftes des Oldenburgischen Staatstheaters. Es ist prall gefüllt mit dem äußerst facetten- und variantenreichen Programm der insgesamt sieben Sparten. So gibt es in der kommenden Spielzeit 4 Uraufführungen und 32 Premieren, dazu 7 Wiederaufnahmen und unzählige weitere Attraktionen. Und selbst das ist noch nicht alles. Zwischen und außerhalb von Oper, Schauspiel oder Konzert finden viele weitere Projekte statt. Das Staatstheater schreibt weiter an seiner eigenen Geschichte - und damit auch jener der Stadt. Angesichts dieser Opulenz haben wir uns dazu entschieden, dem Staatstheater regeläßig einen Besuch abzustatten. Gemeinsam suchen wir nach spannenden Gästen, Themen und Geschichten für den KULTURSCHNACK STAATSAKT. Was ihr davon habt? Einen spannenden Einblick in die Theaterwelt und mehr Informationen darüber, was die Menschen dort bewegt. |
THORSTEN Du spielst diesen Hector. Was bist auf der Bühne für ein Typ? Was macht dich aus?
FLORIAN Ich bin ja noch nicht in dem Alter, in dem man normalerweise eine Midlife-Crisis hat. Ich bin deshalb nicht der klassische Hector, den man sich vielleicht vorstellt, wenn man den Film sieht oder das Buch liest, sondern ein bisschen jünger, ein bisschen neugieriger. Es ist deshalb noch nicht so, dass ich mein eigenes Leben hinterfrage, weil ich mir das Modell einer anderen Person als Spiegel gegenüberstelle. Vielmehr geht es um das Lernen von anderen. Ich versuche meinen Weg frühzeitig zu finden, damit ich gar nicht erst auf diese Unglücksschiene komme. Im Mittelpunkt steht also eine positive Neugierde auf das Leben anderer und erst dadurch entsteht das Hinterfragen von Glück und Unglück.
THORSTEN Du bist relativ plötzlich zu dem Glück gekommen, Hector spielen zu können. Durch eine Erkrankung im Ensemble musstest du nur drei Wochen vor der Premiere einspringen. Das Stück ist mit zwei Stunden Spielzeit nicht gerade kurz. Wie schafft man es denn, sich in so kurzer Zeit so viel Stoff anzueignen?
FLORIAN Ein großer Vorteil war, dass ich bei vielen Proben von Anfang an dabei war. Somit wusste ich ungefähr, wohin diese Rolle gehen soll. Der Rest ist aber dann ganz einfache Fleißarbeit: Text lernen, Text lernen, Text lernen. Dafür spreche ich mir alles auf meinem Handy ein - und immer da, wo ich auf der Bühne sprechen würde, lasse ich eine Lücke, in die nich dann reinsprechen kann. Und das läuft dann in allen möglichen Momenten: Beim Spülmaschine ausräumen, beim Staubsaugen, beim Spazierengehen, auf dem Fahrrad - bis es sitzt und ich auf der Bühne alles umsetzen kann.
Opulent: „Hector sien Reis or de Söök na't Glück“ bietet das bisher aufwändigste Bühnenbild des Niederdeutschen Schauspiels. (Bilder: Stephan Walzl)
THORSTEN Das Stück spielt ja wie erwähnt nicht im Dorfkrug, wie es manchmal bei niederdeutschen Stücken der Fall ist, sondern in der großen beiden Welt. Und es handelt vom ganz großen Thema Glück. Kann man sagen, dass dieser Stoff das ganze Potenzial des niederdeutschen Theaters zeigt, dass es sich deshalb auch ideal für einen Einstieg eignet?
FLORIAN Ich habe sehr viel positives Feedback von Leuten bekommen, die von Haus aus gar kein Plattdeutsch sprechen oder vielleicht sogar das erste Mal bei uns waren. Deshalb glaube ich, dass es ein sehr gutes Einstiegsstück ist. Klar, es ist lang und klar, es hat ein großes Thema, aber genau das macht es so zugänglich.
Ich denke, jeder hat sich schon mal die Fragen gestellt: Bin ich glücklich? Wie kann ich glücklicher werden? Und weil man so gut anknüpfen kann, eignet sich das Stück sehr gut für Leute, die kein Platt oder wenig Platt sprechen.
THORSTEN Würdest du sagen, dass sich das Stück durch die plattdeutsche Sprache verändert? Dass es sich in Nuancen anders darstellt als auch hochdeutsch?
FLORIAN Die plattdeutsche Sprache gibt dem Stoff tatsächlich eine ganz angenehme Wärme, man hat oft ein kleines Schmunzeln im Gesicht. Selbst bei einer Szene, die auf dem Papier gar nicht so schön klingt, bekommt durch diese Sprache so ein leichtes Schmunzeln und eine gewisse Schwerelosigkeit.
Guter Typ: Florian Pelzer bricht mit der Erwartung, dass die Mitglieder des Niederdeutschen Schauspiels eher älteren Semesters sein müssten. (Bilder: Kulturschnack)
THORSTEN Kommt man glücklicher aus dem Stück raus, als man reingeht?
FLORIAN Ich hoffe doch! Ich selber habe für mich sehr viele Erkenntnisse aus dem Stück mitnehmen dürfen; für mein persönliches Glück. Und das habe ich auch von vielen anderen gehört.
Ich hoffe, dass wir es erreichen können, dass man mit neuen Gedanken aus dem Stück rausgeht. Sicher bin ich mir dagegen, dass man eine gewisse Schwerelosigkeit und ein sehr schönes Gefühl mit nach Hause bringt.
THORSTEN Was will man mehr? Hat man mit dem niederdeutschen Schauspiel eigentlich manchmal das Gefühl, im Schatten vom hochdeutschen klassischen Schauspiel zu stehen?

FLORIAN Das hochdeutsche Schauspiel spricht natürlich eine wahnsinnig breite Masse an Menschen an, während die niederdeutsche Sparte immer noch ein wenig „nischiger“ ist. Aber: Wir sind dabei, uns immer weiter zu verjüngen und zu öffnen, das sieht man auch an mir. Man könnte deshalb sagen: Ja, wir stehen vielleicht ein bisschen im Schatten. Aber der Schatten ist vielleicht gar nicht schlecht für uns, weil wir so ein bisschen unser eigenes Ding machen können. Wir haben viele Freiheiten hier, die wir absolut genießen, und für die wir sehr dankbar sind. Es gibt immer Luft nach oben, aber wir haben hier schon einen tollen Stand und sehr viele Möglichkeiten. Und ich finde, der Schatten ist schon kleiner geworden. Wir haben mehr Strahlkraft als vielleicht noch vor ein paar Jahren. Und darauf bin ich sehr stolz.
THORSTEN Und wenn du die Wahl hättest, „Hector“ auf Platt oder „Hamlet“ auf Hochdeutsch, was würdest du wählen?
FLORIAN Hector! Ganz klar! (lacht)
THORSTEN Und auf einer Skala von 1 bis 10: Wie cool finden es deine Freunde, dass du ein Plattschnacker bist?
FLORIAN (überlegt kurz) Ich würde schon sagen, dass der Großteil das bei 8 bis 9 sieht. Die finden es total cool. Kaum jemand von denen hat einen Zugang dazu, was ich schade finde. Aber wenn die das hören, dass ich auf der Bühne stehe und dann auch noch auf Platt, dann ist es für die erstmal ein Highlight!
Alle: ab.
Alles andere als altbacken
Über zwei Millionen Plattschnacker gibt es derzeit noch, doch die Tendenz ist fallend - nicht nur in Kanada und Brasilien, sondern auch in Ovelgönne und Friesoythe. Immer weniger Menschen sprechen niederdeutsche Sprachen, vor allem in den jüngeren Generation ist man damit ein Exot. Sachliche Gründe gibt es dafür allerdings nicht.

Tatsächlich verleiht das Platt vielen Aussagen einen Charme, den man im Hochdeutschen vergeblich sucht. In den benachbarten Niederlanden wird dieser Effekt geliebt in der norddeutschen Heimat aber zu Unrecht als provinziell abgestempelt
Genau das ist die Sprache aber nicht, wie „Hector sien Reis or de Söök na't Glück“ auf beeindruckende Weise zeigt. Die Buchvorlage war nicht zufällig ein Welterfolg: Thema, Geschichte und tiefere Botschaft bieten für das Publikum viele Anknüfungspunkte - auch über die vermeintliche Sprachbarriere hinweg. Die spürbare Spielfreude des großen Ensembles um Florian Pelzer und der Charme des Plattdeutschen tun ihr Übrigens dazu.
Das beste Argument ist aber vielleicht sogar das Gefühl nach der Vorstellung. Wenn man in diesen Zeiten mit einer Schwerelosigkeit und einem schönen Gefühl nach Hause gehen kann, dann ist es es genau der Theatereffekt, den sich viele von uns gerade wünschen. Also: Bucht euer Ticket und geht mit Hector auf die Reise!