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STAATSAKT #5: DIE VÖGEL

Das Oldenburgische Staatstheater ist das Flaggschiff der Oldenburger Kulturlandschaft. Sein Output allein würde unsere Stadt schon zu einer Theatermetropole machen. Um halbwegs den Überblick zu behalten, gibt es nun den Kulturschnack Staatsakt. Hier treffen wir uns mit den Akteur:innen und sprechen mit ihnen über Premieren, Projekte, Persönliches. Das ist Theater - im Rampenlicht und hinter den Kulissen!


Die Säulen des Oldenburgischen Staatstheaters in Oldenburg, Schauplatz des Kulturschnack Staatsakt
Keine Möwen weit und breit: „Die Vögel“ von Walter Braunfels haben nichts mit Hitchcocks Thriller zu tun. (Bild: Stephan Walzl)

Die Vögel? Bei diesem Titel denken die meisten an Alfred Hitchcocks Thriller-Meisterwerk aus dem Jahr 1963. Es gehört zu den absoluten Klassikern des Genres. Doch die gleichnamige Oper hat nichts mit den Möwen aus der Bodega Bay zu tun. Der zeitweise gefeierte, heute aber vergleichsweise unbekannte Komponist Walter Braunfels (1882-1954) schrieb sie bereits in den Jahren 1913 bis 1919 - und griff dabei auf eine antike Komödie von Aristophanes zurück, die über zweitausend Jahre alt ist.


Alter Stoff also? Mitnichten. Entstanden ist nämlich ein Werk, das sich musikalisch durchaus auf dem Niveau deutlich bekannterer Namen bewegt - und das auf beinahe prophetische Weise die Entwicklungen der Jahre ab 1933 vorwegnahm. In dem Stück geht es nämlich nicht etwa um ornithologische Merkwürdigkeiten - sondern um Machtverschiebungen, wie sie derzeit überall auf der Welt passieren. Im Kulturschnack Staatsakt Nr. 5 haben wir mit der amerikanischen Sopranistin Penelope Kendros über das zeitlos aktuelle Stück gesprochen - und dabei auch einiges über Operngesang und Erdnussbutter gelernt.


 

OLDENBURGISCHES STAATSTHEATER


DIE VÖGEL

OPER VON WALTER BRAUNFELS

LIBRETTO NACH ARISTOPHANES


DI 28. JANUAR, 19.30 UHR (TICKETS) SO 2. FEBRUAR, 19.30 UHR (TICKETS) FR 7. FEBRUAR, 19.30 UHR (TICKETS)

SO 2. MÄRZ, 18 UHR (TICKETS) SO 9. MÄRZ, 18 UHR (TICKETS)

SA 14. JUNI, 19.30 UHR (TICKETS)

DO 26. JUNI, 19.30 UHR (TICKETS)


30 MINUTEN VOR DEM JEWEILIGEN BEGINN DER VORSTELLUNGEN GIBT ES EINE KURZE STÜCKEINFÜHRUNG IM GLASHAUS


GROßES HAUS

26122 OLDENBURG


 


F Ü N F T E R

S T A A T S A K T


E R S T E R A U F T R I T T


Ein Foyer am zur Mittagszeit, im zweiten Geschoss des Haupthauses oberhalb des Theaterwalls gelegen. Weißer Mamor und Blattgold verleihen dem hohen Raum einen neobarocken Eindruck. Zwei Kultur-Redakteure prüfen ein letztes Mal Einstellungen und technische Voraussetzungen. Die Gesprächspartnerin ist ein kleines bisschen aufgeregt - doch das legt sich schnell.


Penelope Kendros, Sopranistin am Oldenburgischen Staatstheater in Oldenburg, zu sehen in „Die Vögel“ von Walter Braunfels
Leidenschaftliche Sängerin: Penelope Kendos brilliert in „Die Vögel“ am Oldenburgischen Staatstheater in der Rolle der Nachtigall. (Bild: Kulturschnack)

THORSTEN Penelope! Wie schön, dass du heute dabei sein kannst - so kurz vor dem großen Ereignis.


PENELOPE Ja, die Premiere von „Die Vögel“ ist schon morgen. Das ist immer aufregend, auch wenn man es schon oft erlebt hat.


THORSTEN Dann legen wir am besten gleich los, danach kannst du wieder deine Stimme schonen.


KEVIN Alles bereit, kann losgehen!



(Penelope und Thorsten setzen sich auf zwei Hocker vor einem Kamin. An den Kameras werden die Aufnahmen gestartet. Das Gespräch beginnt)



THORSTEN  Bei „Die Vögel“ denken viele Menschen zu allererst an Alfred Hitchcocks Thriller. Aber darum geht es hier im Staatstheater natürlich nicht. Kannst du kurz beschreiben, wovon „Die Vögel“ handelt?


PENELOPE  Es ist ein politisches Stück. Eine der Hauptfiguren - eine Lebemann namens Ratefreund - übernimmt das Reich der Vögel und erklärt sich selbst zum König. Er macht das durch Angst und Demütigung und bietet sich selbst als einzige Lösung an. Für mich als Amerikanerin ist das aktuell sehr relevant, aber das gilt leider auch für viele andere Teile der Welt. Das Thema war der Grund, warum die Nazis das Stück schnell verboten haben. Es gab aber noch einen weiteren, nämlich dass Walter Braunfels als sogenannter Halbjude angesehen wurde. Deswegen war seine Musik viele Jahre lang verloren.


THORSTEN  „Die Vögel“ basiert ja auf einer antiken Vorlage, die schon über zweitausend Jahre alt ist. Auch die Uraufführung der Oper ist schon über hundert Jahre her. Ist dieses Stück nach all dieser Zeit immer noch hochaktuell?


PENELOPE Ja, ich denke zurzeit ist es sehr aktuell. Nicht nur in Europa und Amerika, sondern eigentlich in der ganzen Welt. Das Thema Macht ist sehr relevant.


THORSTEN  Die historische Basis für „Die Vögel“ war eine Komödie. Und Walter Braunfels beschrieb sein Werk im Untertitel - trotz des brisanten Themas - als ein „lyrisch-phantastisches Spiel“. Müssen wir viel lockerer werden im Umgang mit der großen Politik?


PENELOPE  Nein, das glaube ich eigentlich nicht. Es gibt zwar durchaus lustige Momente in dem Stück, aber es ist mehr eine Tragödie.


Szene aus der Oper „Die Vögel“ von Walter Braunfels  am Oldenburgischen Staatstheater in Oldenburg
Am Ziel? Dem Lebemann Ratefreund gelingt es, die Vögel zu verführen. Doch wird sein Erfolg von Dauer sein? (Bild: Stephan Walzl)

THORSTEN Was denkst du: Warum hat Walter Braunfels ausgerechnet die Vögel ausgewählt, um das Thema darzustellen?


PENELOPE Ich vermute, weil es eine ganz andere Welt ist. Die Vögel sind sehr leichtgläubig und sehr unschuldig. Er konnte manche menschlichen Eigenschaften auf die Spitze treiben. Deswegen hat er sie gewählt.


Partitur aus „Die Vögel“, das am Oldenburgischen Staatstheater in Oldenburg aufgeführt wird.
Echte Handarbeit: Der Prolog der Nachtigall aus dem Jahr 1913 - handgeschrieben vom Komponisten. (Bild: Erbengemeinschaft Walter Braunfels)

THORSTEN  Apropos Vögel: Im Stück gibt es einen Wiedehopf, einen Zaunschlüpfer - und du bist die Nachtigall. Ich nehme mal an, sie steht als eine Metapher für bestimmte Eigenschaften. Kannst du beschreiben, was für ein Typ Vogel du auf der Bühne wirst?


PENELOPE  Man denkt zunächst, dass die Nachtigall einfach eine schöne Sängerin ist, aber eigentlich trägt sie eine tiefe Traurigkeit in sich. Das sieht man besonders in der Szene zwischen dem eher verträumten Hoffegut, einem Freund Ratefreunds, und der Nachtigall. Es geht ja darum, was passiert, wenn man versucht, die Natur zu erobern. Hoffegut denkt, dass er komplett in die Nachtigall verliebt ist, aber eigentlich ist er von ihrem Lied verzaubert. Und die Nachtigall sagt: „Lieber Freund, bleibt wie du bist.“ Was sie damit meint: 'Du kannst von der Natur etwas lernen, Du kannst zuhören und genießen, aber du wirst mich nie komplett verstehen. Bleibe in deiner eigenen Welt.' Das ist mein absoluter Lieblingsmoment dieser Oper.


THORSTEN Wie tief tauchst du denn in so eine Rolle ein? Wie sehr musst du dich mit dem Stück beschäftigen, damit du diese Rolle so fühlst, wie sie gedacht ist?


PENELOPE Es ist immer eine Balance und ein Prozess. Es gab Momente in dem Proben, wo ich wirklich Tränen in den Augen hatte. Aber es ist meine Aufgabe als Künstlerin, das Publikum zum Weinen zu bringen und nicht alles für mich zu behalten. Obwohl es manchmal sehr schwierig ist.


STARKES THEATERPROGRAMM DIE GROßE VIELFALT Mit dem KULTURSCHNACK STAATSAKT starten wir ein regelmäßiges Interview-Format mit dem Oldenburgischen Staatstheater. Ihr fragt euch, warum wir das tun? Nun: Dafür gibt es genau 164 Gründe.

Das Spielzeit-Heft des Oldenburgischen Staatstheaters in Oldenburg

Das ist nämlich die Zahl der Seiten des aktuellen Spielzeitheftes des Oldenburgischen Staatstheaters. Es ist prall gefüllt mit dem äußerst facetten- und variantenreichen Programm der insgesamt sieben Sparten. So gibt es in der kommenden Spielzeit 4 Uraufführungen und 32 Premieren, dazu 7 Wiederaufnahmen und unzählige weitere Attraktionen. Und selbst das ist noch nicht alles. Zwischen und außerhalb von Oper, Schauspiel oder Konzert finden viele weitere Projekte statt. Das Staatstheater schreibt weiter an seiner eigenen Geschichte - und damit auch jener der Stadt. Angesichts dieser Opulenz haben wir uns dazu entschieden, dem Staatstheater regeläßig einen Besuch abzustatten. Gemeinsam suchen wir nach spannenden Gästen, Themen und Geschichten für den KULTURSCHNACK STAATSAKT. Was ihr davon habt? Einen spannenden Einblick in die Theaterwelt und mehr Informationen darüber, was die Menschen dort bewegt.


THORSTEN Konzentrierst du dich auf der Bühne eigentlich vor allen auf den Gesang? Oder denkt man die schauspielerische Ebene immer mit?


PENELOPE Was die Gesangstechnik betrifft, ist die Nachtigall eine der schwierigeren Rollen, an denen ich gearbeitet habe. Man braucht viel Flexibilität in der hohen Stimmlage und auch lyrische Fähigkeiten in den mittleren und tiefen Stimmlagen. Deswegen ist das eine große Herausforderung, auf die man sich tatsächlich konzentrieren muss. Gleichzeitig sind der Text und die Musik so berührend. Man begibt sich voll und ganz in den Moment.


THORSTEN  Mal ganz generell gefragt: Was empfindest du als schwierig auf der Bühne und was fällt dir leicht?


PENELOPE  Wenn das Orchester sehr laut ist, ist es immer leichter. Wenn man dagegen allein ist und man das Gefühl hat, man sei nackt, dann kann das beängstigend sein. Es gibt durchaus ein paar Momente in dem Stück, wo ich wirklich allein bin.



Farbenfroh: Das Bühnenbild gleich in seinen vielen bunten Facetten und Schattierungen de Gefieder eines exotischen Vogels. (Bilder: Stephan Walzl)


THORSTEN Das werde ich wohl nie nachempfinden können, denn ich kann kein bisschen singen. Deshalb frage ich mich: Wie stellst du sicher, dass du immer den richtigen Ton triffst? Funktionieren deine Stimmbänder wie ein Instrument, das du anschlagen kannst? Oder gibt es an manchen Stellen auch eine Unsicherheit?


PENELOPE  Ich hab viel geübt (lacht). Alles braucht natürlich seine Zeit. Wenn ich eine Rolle übernehme, dann fühlt es sich am Anfang immer so ein bisschen unbequem an. Aber dann proben wir sechs Wochen lang und am Ende des Prozesses fällt alles viel leichter als am Anfang.


THORSTEN Man hört an deinem sehr guten Deutsch, dass du nicht erst seit gestern hier in Europa bist. Mittlerweile sind es zehn Jahre, zunächst in Österreich und seit drei Jahren in Deutschland. Erlebst du eigentlich immer noch Momente, in denen du denkst: Wow, das ist doch alles ganz anders hier als in meiner Heimat?


PENELOPE  Ja, allerdings. Hier ist es einigermaßen normal, eine Opernsängerin zu sein. In Amerika ist das nicht so. Hier in Europa gibt es generell viel mehr Möglichkeiten für Kultur und für Musik. In den USA gibt es keine richtige Festanstellung für Sänger:innen. Das ist ein großer Unterschied!



Sympathisch und sprachgewandt: Sopranistin Penelope Kendros gewährt uns einen Blick in ihren Alltag als Opernsängerin - in fast perfektem Deutsch. (Bilder: Kulturschnack)


THORSTEN Muss man als amerikanische Sopranistin den Weg nach Europa zwangsweise gehen, um Erfolg zu haben? Denkt man das bei einer Opernkarriere automatisch mit?


PENELOPE Ich glaube ja. Es gibt hier einfach viel mehr Möglichkeiten für uns. Und für mich ist es richtig cool, jeden Tag zum Theater zu gehen, regelmäßig auf der Bühne zu sein und das Gefühl zu haben, dass es ein stabiler Job ist. It's a dream come true!


THORSTEN Das ist also ein großer Vorteil. Gibt es denn auch etwas, was du sehr vermisst aus deiner Heimat?


PENELOPE  (überlegt) Ja, es gibt diese Peanut Butter Cups, die ich wirklich sehr vermisse. (lacht). Erdnussmus ist ein bisschen anders hier.

THORSTEN Allerdings, da haben wir eindeutig Aufholbedarf! Du bist jetzt seit letztem Sommer in Oldenburg - und trotz des Erdnussbutterproblems noch hier. Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie gefällt dir dein Leben hier?


PENELOPE Zehn, absolut! (lacht) Ich liebe Oldenburg und fühle mich sehr wohl hier. Es ist ein Zuhause. Und es ist einfach eine coole Stadt - mit einem wunderschönen Theater!


THORSTEN ...und einem tollen Ensemble! Vielen Dank für die spannenden Einblicke!



Alle: ab.


 


Uralt und hochmodern


Wer beim Kulturschnack Staatsakt genau aufpasst, hat es sofort gemerkt: Diese Überschrift gab es doch schon beim letzten Mal? Ja, ganz genau - und ganz bewusst! Denn genau wie „Macbeth“ ist auch „Die Vögel“ erstaunlich gut gealtert. Technologisch mag die Welt von heute eine völlig andere sein als bei der Uraufführung im Jahre 1920, doch die Mechanismen der Macht sind häufig noch dieselben. Deswegen funktionieren die historischen Stoffe auf der inhaltlichen Ebene auch im beginnenden 21. Jahrhundert noch hervorragend.


Noch wichtiger ist aber natürlich die Musik! Walter Braunfels mag kein so bekannter Name sein wie Tschaikowski, Verdi oder Wagner. Als Komponist steht er den berühmten Kollegen aber in nichts nach. Wenn man eine erfahrene Sopranistin wie Penelope von dem Stoff schwärmen hört, dann ist klar: Dieser Opernbesuch lohnt sich! Zudem ist „Die Vögel“ eine Entdeckung: Zwar wurden das Stück und sein Komponist früher frenetisch gefeiert, doch infolge des Verbots geriet beides zwischenzeitlich in Vergessenheit. Nun bietet sich die perfekte Chance, ein zentrales Werk von Walter Braunfels besser kennen zu lernen - und zu genießen.

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