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STAATSAKT #2: WALD

Das Oldenburgische Staatstheater ist das Flaggschiff der Oldenburger Kulturlandschaft. Sein Output allein würde unsere Stadt schon zu einer Theatermetropole machen. Um halbwegs den Überblick zu behalten, gibt es nun den Kulturschnack Staatsakt. Hier treffen wir uns mit den Akteur:innen und sprechen mit ihnen über Premieren, Projekte, Persönliches. Das ist Theater - im Rampenlicht und hinter den Kulissen!


Die Säulen des Oldenburgischen Staatstheaters in Oldenburg, Schauplatz des Kulturschnack Staatsakt
Alles auf grün: Der WALD erobert sich sein Gebiet zurück - und wo bleiben dabei die Menschen? (Bild: Stephan Walzl)

Majestätische Bäume, ein Mosaik aus Millionen Pflanzen, eine friedvolle und wohltuende Ruhe: Mit Wald verbinden wir Menschen viel Positives. Das ist schon evolutionsbiologisch verankert, weil er uns früher Schutz und Nahrung geboten hat. Das gilt aber auch gegenwärtig, denn er bietet uns ersehnte Rückzugsräume in ansonsten ziemlich hektischen Zeiten. Nicht umsonst ist Waldbaden ein globaler Trend.


Aber was wäre eigentlich, wenn der Wald sich nicht länger auf seine Rolle reduzieren ließe? Wenn er sich den Raum zurückerobert, den er an die Menschheit verloren hat - und selbige plötzlich in der Defensive wäre ? Und wäre das eigentlich eine gute Sache - oder eine schlechte? Darüber haben wir uns in der zweiten Folge des KULTURSCHNACK STAATSAKT mit Nora Hecker unterhalten. Sie ist die Dramaturgin des Schauspiels „WALD“, das in Oldenburg unter der Regie von Milena Paulovics als eine Uraufführung zu sehen ist. Warum ihr erst ins Theater und dann in den Wald gehen solltet? Das erfahrt ihr hier!


 

OLDENBURGISCHES STAATSTHEATER


WALD

URAUFFÜHRUNG


MI 2. OKTOBER 20 Uhr, MI 9. OKTOBER 20 UHR, SO 13. OKTOBER 18.30 UHR, SA 19. OKTOBER 20 UHR, DO 31. OKTOBER 18.30 UHR, SO 3. NOVEMBER 18.30 UHR, FR 22. NOVEMBER 20 UHR, DI 26. NOVEMBER 20 UHR, FR 29. NOVEMBER 20 UHR, MI 5. FEBRUAR 20 UHR, SO 23. FEBRUAR 18.30 UHR, SA 15. MÄRZ 20 UHR, MI 2. APRIL, 20 UHR, SA 5. APRIL 20 UHR



KLEINES HAUS

26122 OLDENBURG


 


Z W E I T E R S T A A T S A K T


E R S T E R A U F T R I T T


Ein Theaterfoyer im 1. Obergeschoss zur Mittagszeit, in leicht trübes Herbstlicht getaucht. Durch die Glasfassade im Hintergrund sind mehrere große Bäume zu erkennen. Zwei Kultur-Redakteure warten auf ihre Gesprächspartnerin, verschiedene Kameras sind auf Stative montiert.


Portrait von Nora Hecker, Dramaturgin von WALD am Oldenburgischen Staatstheater in Oldenburg
Im Hintergrund das Thema: Dramaturgin Nora Hecker hat uns viel Spannendes zur Uraufführung von „WALD“ erzählt. (Bild: Kulturschnack)

NORA (die Treppe emporkommend) Ich hab mich eben kurz an der Ampel kurz verquatscht. Bin ich schon zu spät?


THORSTEN Nee, du bist superpünktlich!


KEVIN So lieben wir das!



(Nora geht mit Thorsten ans Geländer oberhalb der Treppe und wird mikrofoniert. An den Kameras werden die Aufnahmen gestartet. Das Gespräch beginnt)



THORSTEN Euer neues Stück trägt den schönen Titel „WALD“. Das verrät aber noch nicht viel über den Inhalt. Kannst du uns verraten, worum es geht?


NORA Das Stück spielt in einer fiktiven, aber nahen Zukunft, nicht allzu fern von unserem Heute. Der Wald ist das zentrale Motiv und sozusagen auch Antrieb und Motor der Handlung. In dem Stück erobert sich der Wald die Städte Europas zurück. Er überwuchert mit all seinen Lebensformen - also mit Bäumen, Pilzen oder Kleinstlebewesen wie Käfern, die auch im Stück auftreten - die Städte Europas.


Szene aus dem Schauspiel „WALD“ von Miriam Lesch am Oldenburgischen Staatstheater in Oldenburg
Noch ist Zeit: Die Menschheit glänzt nicht unbedingt darin, Probleme zu erledigen, bevor sie akut sind - und oft nicht einmal dann. (Bild: Stephan Walzl)

Alles beginnt mit einer Buche, die auf einem Balkon wächst - über Nacht, plötzlich. Und zwar kein kleiner Baum, sondern ein ausgewachsener, sehr großer Baum. Und zu Recht ist der Balkonbesitzer natürlich irritiert davon und weiß zunächst nicht, wie er damit umgehen soll. Er versucht sich Hilfe zu holen beim städtischen Gartenbauamt, aber kommt da nicht so richtig weiter. Es geht erst um die Fällung des Baums, schließlich bleibt er aber auf dem Balkon. Und das ist aber nur der Anfang der ganzen Geschichte. Es bleibt eben nicht bei dem einen Baum, sondern die kompletten Städte werden überwuchert.


THORSTEN Die Natur erobert sich sich ihren Raum also zurück und der Mensch muss reagieren und zurückweichen. Da fragt man sich: Ist das eigentlich eine Utopie oder eine Dystopie?


Portrait von Nora Hecker, Dramaturgin von WALD am Oldenburgischen Staatstheater in Oldenburg
Theaterfrau: Nora Hecker spricht mit Kenntnis und Leidenschaft über ihre Arbeit. (Bild: Kulturschnack)

NORA  Ich würde mich ungern festlegen auf eins von beidem, weil das eine Entscheidung ist, die auch die Figuren im Stück fällen müssen. Also: Passen Sie sich an? Gehen Sie mit der Natur und versuchen, wieder eins zu werden mit ihr? Gelingt es ihnen, den gedanklichen Gegensatz Natur und Mensch zu überwinden und sich wieder als Teil der Natur zu verstehen? Oder vergehen die Menschen, verschwinden sie? Denn ohne zu viel zu verraten: Flucht ist nicht mehr so richtig möglich im Stück.


THORSTEN Gibt es da eine Botschaft, die ihr vermitteln wollt? Oder ist das offen angelegt, so dass sich die Menschen im Publikum sich selber Gedanken zu dieser Fragestellung machen können?


NORA Der Text verzichtet auf Moral oder den moralischen Zeigefinger, was erst mal sehr schön ist. Es ist nicht implizit eine Botschaft eingeschrieben, die man zwingend vermitteln soll, sondern man stößt eher Gedanken über die Verbindung bzw. das Verhältnis von Natur und Mensch. Mit Blick auf die Klimakrise ist das eine Frage, die total aktuell ist. Wie verhalten wir uns, wenn es so nicht weitergehen kann? Das Stück beschreibt natürlich ein Extrem, in dem die Menschen gezwungen sind zu handeln. Und dann stellt sich die Frage: Wie geht es weiter? Das ist ein Anstoß für Nachdenken.


THORSTEN In dem Stück begegnen unter anderem Cesar, Plinius und Bambi. Wie können die uns denn bei der Fragestellung helfen?


NORA Das ist die Frage, ob sie helfen oder nicht. (lacht) Plinius und Caesar treten immer wieder als eine Paarung auf. Plinius der Ältere hat in der Antike eine große Enzyklopädie, also sehr umfassendes Werk über die Natur veröffentlicht. Er hat dabei einen bestimmten Begriff von Natur vermittelt - nämlich dass alles, was der Mensch mithilfe oder in der Natur macht, schon Natur ist oder dazugehört. Es ist natürlich total absurd und surreal, dass diese beiden Figuren auftreten und permanent nach Straßen suchen, die sie mal gebaut haben. Die guten römischen alten Straßen, die vermeintlich für die Ewigkeit gebaut wurden, die jetzt aber auch nicht mehr zu finden sind. Das birgt eine ganz große Komik.


Es war ein cleverer Griff der Autorin, Figuren zu nehmen, die aus der Geschichte stammen, und sie ins Heute oder in eine Zukunft zu versetzen und zu schauen: Wie greift denn diese Klammer über diesen langen Zeitraum? Haben wir Menschen uns in unserer Sicht auf die Welt, auf die Natur oder auf die Zivilisation verändert oder eben auch nicht? Und Bambi ist sozusagen als Begleitung des Waldes da. Wir kennen Bambi aus verschiedenen anderen Kontexten und das ist eben eine Figur, die symbolisch für den Wald steht. Es ist eine verspielte Figur, die auch immer mal wieder kommentiert.


STARKES THEATERPROGRAMM DIE GROßE VIELFALT Mit dem KULTURSCHNACK STAATSAKT starten wir ein regelmäßiges Interview-Format mit dem Oldenburgischen Staatstheater. Ihr fragt euch, warum wir das tun? Nun: Dafür gibt es genau 164 Gründe.

Das Spielzeit-Heft des Oldenburgischen Staatstheaters in Oldenburg

Das ist nämlich die Zahl der Seiten des aktuellen Spielzeitheftes des Oldenburgischen Staatstheaters. Es ist prall gefüllt mit dem äußerst facetten- und variantenreichen Programm der insgesamt sieben Sparten. So gibt es in der kommenden Spielzeit 4 Uraufführungen und 32 Premieren, dazu 7 Wiederaufnahmen und unzählige weitere Attraktionen. Und selbst das ist noch nicht alles. Zwischen und außerhalb von Oper, Schauspiel oder Konzert finden viele weitere Projekte statt. Das Staatstheater schreibt weiter an seiner eigenen Geschichte - und damit auch jener der Stadt. Angesichts dieser Opulenz haben wir uns dazu entschieden, dem Staatstheater regeläßig einen Besuch abzustatten. Gemeinsam suchen wir nach spannenden Gästen, Themen und Geschichten für den KULTURSCHNACK STAATSAKT. Was ihr davon habt? Einen spannenden Einblick in die Theaterwelt und mehr Informationen darüber, was die Menschen dort bewegt.


THORSTEN Die meisten Menschen wissen ziemlich genau, was Schauspieler:innen auf der Bühne machen. Bei Regisseur:innen hat man auch so eine Ahnung. Du bist aber Dramaturgin. Was genau ist denn deine Aufgabe?


NORA Genau, die meisten wissen das nicht, schließlich sind wir diejenigen, die hinter der Bühne bleiben. Es gibt verschiedene Aspekte der Dramaturgie. Einmal ist das die klassische Produktionsdramaturgie, Das heißt, wir sind einer Produktion - wie etwa „WALD“ - zugeordnet, die wir durch Gespräche mit der Regie und durch die Entwicklung der Konzeption begleiten. Das beinhaltet auch die Auswahl eines Stücks und die Erstellung einer Textfassung. Wir begleiten zum Teil auch die Proben mit und sind da sozusagen das dritte Auge und versuchen, den professionellen Blick auf das Stück und auf die Inszenierung zu behalten und das zu vermitteln. Dabei treten wir auch in die Perspektive der Zuschauer:innen und achten darauf, dass der dramaturgische Bogen stimmt, dass die Geschichte so erzählt werden kann, wie sie gemeint ist. Wir suchen auch Regisseure aus, wir machen Einführungen, wir schreiben Texte in allen möglichen Veröffentlichungen, machen Programmhefte, moderieren Matinees. Ich hoffe, ich habe jetzt nichts vergessen, aber es ist eben ein sehr vielfältiger Bereich. (schmunzelt)



Opulent: Neben der Handlung machen auch Bühnenbild und Kostüme „WALD“ zu einem Erlebnis. (Bilder: Stephan Walzl)


THORSTEN Hattest du jemals das Gefühl, du würdest gerne auch mal selbst auf der Bühne stehen, damit die Dinge genau so laufen, wie du sie dir vorgestellt hast?


NORA Nein! (lacht) Also: Regieführen ja, aber nicht das Schauspielen. Erstens glaube ich, dass mir dazu das Talent fehlt. Und zweitens bezweifle ich, dass die Dinge so laufen würden, wie ich es mir vorstelle, wenn ich selber da stehen würde.


THORSTEN  Hast du eigentlich eine Lieblingsszene in „WALD“? Einen Moment, wo du jedes Mal sagst: Das ist toll, das berührt mich?


NORA  Ja, den habe ich tatsächlich. Es ist das Ende. Das möchte ich natürlich nicht verraten, aber etwas kann ich sagen: Eine Figur fällt eine Entscheidung. Wie will sie weiterleben? Wie ist ihre Antwort auf diese Katastrophe und diese Überforderung, wenn der Wald plötzlich alles überwuchert? Wie geht diese Figur damit um? Und das ist für mich eine ganz schöne und auch sehr poetische Entscheidung. Und das werden diejenigen, die sich das Stück anschauen, dann sehen.


Szene aus dem Schauspiel „WALD“ von Miriam Lesch am Oldenburgischen Staatstheater in Oldenburg
Zu viel des Guten oder noch lange nicht genug? Diese Frage müssen die Charaktere in „WALD“ selbst beantworten. Das Publikum kann es ihnen aber gleichtun. (Bild: Stephan Walzl)

THORSTEN Apropos: Gesehen hat es bisher ja noch niemand. „WALD“ ist eine Uraufführung. Was fühlst du dabei? Ist das ein Druck, wenn man den Stoff als allererster auf die Bühne bringt? Oder überwiegt die Vorfreude, dass man ganz unvoreingenommen an die Sache rangehen darf?


NORA Ich denke, es ist beides. Die Autorin Miriam Lesch ist am 28. September selbst zur Premiere gekommen und natürlich wünscht man sich, dass ihr gefällt, was sie auf der Bühne zu sehen bekommt. Natürlich ist man im Austausch mit ihr während des Proben-Prozesses, aber sie hat vorab keine Probe gesehen. Das ist natürlich aufregend. Auch für die Regisseurin Milena Paulovics, die dann erst sieht, ob alles funktioniert, was wir uns gedacht haben. Es ist schon immer etwas Besonderes, eine Uraufführung zu machen.


Portrait von Nora Hecker, Dramaturgin von WALD am Oldenburgischen Staatstheater in Oldenburg
Gute Stimmung: Dramaturgin Nora sprach spürbar gern über „WALD“ - nicht zuletzt, weil sie sich dort auch gerne selbst aufhält. (Bild: Kulturschnack)

THORSTEN In einem einzigen Satz: Warum sollen sich die Leute Wald angucken?


NORA Oha! Ein einziger Satz. Wir sollten alle öfter in den Wald gehen, denn wir brauchen den Wald, während er uns nicht braucht, und wenn dieses Stück Gedanken dazu anstößt und eine Fantasie anregt, wie man weiter umgehen kann mit dem Wald und der Natur, dann ist es eine Empfehlung, da reinzugehen. Das war jetzt ein langer Satz, aber immerhin war es einer (lacht),


Alle: ab.


 

Eine neue Perspektive


Bäume, Pflanzen, Ruhe: Wir alle kennen den Wald und wissen, was wir an ihm haben. Vielleicht ist es gerade diese Alltäglichkeit und die theoretisch gute Erreichbarkeit, die dafür sorgt, dass wir uns nur selten größere Gedanken zum Wald machen. Und das, obwohl er evolutionsbiologisch und gegenwärtig so wichtig für uns ist und so positive Emotionen weckt.


Umso wichtiger, dass das Oldenburgische Staatstheater nun den Stoff von Miriam Lesch umsetzt und uns die Aufgabe abnimmt, eigene Gedankenspiele ersinnen zu müssen. Unter der Regie von Milena Paulovics - und natürlich dank des dramaturgischen Inputs von Nora - ist ein Stück entstanden, das uns betrifft und berührt und das uns mit mehr in den Abend entlässt als hundert unterhaltsame Minuten. Also: Nutzt die Gelegenheit und beschäftigt euch mit diesem Szenario, bevor die Natur sich tatsächlich irgendwann ihren Lebensraum zurückholt. Aber dann kennt ihr zumindest schon die Antwort auf die Frage: Utopie oder Dystopie?

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