Im vergangenen Jahr gelang der Oldenburger Kunstschule ein kleiner Geniestreich. Mit Unterstützung der Wirtschaftsförderung erfüllte sie sich einen lang gehegten Wunsch: ein Stipendium, das ambitionierten jungen Künstler:innen die Gelegenheit gibt, ein halbes Jahr intensiv zu arbeiten. Mit Gordon Endt ist nun der zweite Stipendiat in Oldenburg zu Gast und wirft einen künstlerischen Blick auf unsere Stadt.
Berlin. Frankfurt. Braunschweig. Vilnius. Valencia: Wer die bisherigen Stationen im Lebenslauf von Gordon Endt liest, würde nicht zwangsläufig darauf kommen, dass sein Weg ihn direkt nach Oldenburg führen würde. Zu verdanken haben wir diesen Umstand auch nicht dem guten Ruf unserer Stadt, sondern einem seiner Kommilitonen an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig. Dessen Name? Jonas Meyburg.
Da klingelt etwas? Kein Wunder: Jonas war der erste Stipendiat im Studio 10 der Oldenburger Kunstschule. Sein urbanes Klangprojekt „infraaktif“ markierte den Auftakt für das ambitionierte Projekt, das vielversprechende junge Künstler:innen nach Oldenburg holt und sie einen kreativen Blick auf die Stadt werfen lässt. Während seines halbjährigen Aufenthalts in Oldenburg erhielt Jonas Besuch von Gordon. Bei ihm hinterließ die Stadt bleibenden Eindruck - und so gibt es nun ein längeres Wiedersehen.
GORDON ENDT: CREATIVE COMMON CROWD CANVAS
APRIL BIS NOVEMBER 2024
STUDIO 10
LANGE STRAßE 10
26122 OLDENBURG
Kurzer Weg zur Kunst
Man spürt es sofort, schon nach den ersten Sätzen unseres Gesprächs: Gordon Endt mag dem Klischee des genialen Künstlers optisch vielleicht nicht vollends entsprechen - doch er ist genau das. Wenn man ihn über seine Leidenschaft sprechen hört - über Motivation, Faszination, Interpretation - spürt man, wie sehr ihn die Kunst bewegt. Gordon stellt große Fragen nach Zusammenhängen, die Antworten sucht er jedoch im Kleinen, in der alltäglichen Normalität. Und dafür erscheint nichts geeigneter als: die Kunst.
Das Talent des gebürtigen Freiburgers zeigte sich schon früh: „Es gibt die Anekdote, dass ich schon zeichnen konnte, bevor ich gesprochen habe“, erzählt Gordon schmunzelnd von seiner Kindheit. Er sei von seinen Eltern künstlerisch immer gefördert worden, Museumsbesuche gehörten zum Familienalltag - und hinterließen Eindruck: „Die Freiheit der Kunst hat mich immer fasziniert.“ Entsprechend früh reifte auch der Wunsch, beruflich in diese Richtung zu gehen. Besagte Freiheit ließ sich am schwäbischen Wohnort Schorndorf allerdings nicht vollends nachempfinden - und so ging es nach dem Abitur über die Metropolen Berlin und Frankfurt schließlich nach Braunschweig an die Hochschule für Bildende Kunst.
Reifeprüfung in Spanien
Im Gegensatz zu Jonas Meyburg, der sich vor allem für Sounds interessierte, sah Gordon seinen Schwerpunkt im Videobereich. Schon als Jugendlicher hatte er Stop-Motion-Filme gedreht, nun konnte er sein Wissen und Können vertiefen. Für seinen Master wechselte Gordon dann aber wieder in eine größere Stadt - und zwar ins spanische Valencia. Die Universitat Politècnica de València bot einen modern ausgestatteten Multimedia-Studiengang, der Gordons Interessen genau widerspiegelte.
Ausgerechnet hier - in ungewohnter Umgebung, ohne tiefere Sprachkenntnisse - reifte der Entschluss, Kunst endgültig zum Beruf zu machen. „Man wollte dort natürlich seine ersten Ausstellungen realisieren und sichtbar werden“, erinnert sich Gordon heute zurück. Das verlangte viel Mut und Eigeninitiative, denn im Studium war es vorwiegend um die Kreation von Kunst gegangen, nicht aber um Präsentation und Kommunikation. „Ich musste erstmal lernen, über meine Werke zu reden.“ Doch das gelang - und Gordon war auf den Geschmack gekommen.
Ausflug in den Alltag
Als glückliche Fügung erwies sich daraufhin, dass der begabte Kunststudent seine Masterarbeit wieder in Deutschland schrieb. So war der Weg nicht allzu weit, als Kommilitone Jonas ihn nach Oldenburg einlud. Da Stadt und Stipendium keinen allzu schlechten Eindruck hinterließen, bewarb sich Gordon um die zweite Ausschreibung der Oldenburger Kunstschule - und war erfolgreich. „Es ist ein ganz besonderes Stipendium, schon wegen der Lage des Studio 10 in der Innenstadt“, findet der Künstler. Spannend sei zudem, dass es so offen ausgelegt ist:
„Hier hast du nicht - wie bei anderen Stipendien - ein halbes Jahr Zeit und hängst dann fünf Bilder an die Wand. Hier findet wirklich ein Austausch statt. Man bekommt immer wieder kleine Feedbacks, die man einarbeiten kann.“
Generell kommt Gordon der partizipative Ansatz inmitten der City entgegen: „Ich bin immer schon gern aus dem Atelier rausgegangen, man bezeichnet das als Post-Studio-Praxis“, weiß der Multimedia-Experte. Das bedeute, dass man als Künstler:in das Studio verlasse, um die Kunst im Alltäglichen zu entdecken. „Das ist ein ganz spannender Ansatz. Schließlich kann man sich heutzutage gar nicht mehr abkapseln, weil alles miteinander verbunden ist.“ Die zentrale Lage des Studios sei für die Streifzüge durch die Normalität perfekt: „Man bekommt Kontakt zu Menschen, die mit Kunst sonst wahrscheinlich nur wenig Berührungspunkte häten.“ Und die lieferten das, was Gordon selbst am liebsten hat: neuen Input.
Dass Oldenburg eine Nummer kleiner ist als Valencia oder Berlin? Sei kein Problem, versichert der Wandervogel. „In der Kunst ist es immer die Frage: Geht man in die Metropolen, wo Kunst gerade heiß ist und wo es eine florierende Szene gibt?“ Das hätten kleinere Städte nicht unbedingt immer.
„Orte wie Oldenburg haben aber den Riesenvorteil, dass man hier viel mehr machen kann. Es gibt Freiräume, die es in großen Städten nicht gibt.“
Sowieso sei Oldenburg etwas Besonderes: „Es gibt hier tolle Institutionen wie das Edith-Russ-Haus oder das Horst-Janssen-Museum und ich habe das Gefühl, dass hier wirklich sehr viel passiert“, schildert Gordon seine Eindrücke. Zudem käme es gar nicht auf die Größe einer Stadt an, sondern „darauf, was die Leute draus machen.“ Und das scheint in Oldenburg einiges zu sein.
KUNST-STIPENDIEN IN DER DAUER LIEGT DIE KRAFT Stipendien sind noch nicht überall üblich und auch in Oldenburg trifft man dieses Format nur vereinzelt an, etwa im Edith-Russ-Haus. Doch die Vorzüge sind vielfältig.
|
Hauptdarstellerin: Oldenburg
Aber was hat Gordon vor mit dieser Ausgangssituation? Wird er am Ende etwa doch fünf Bilder malen und an die Wand hängen? Nein, keine Sorge: Für solch einen konservativen Ansatz ist der junge Künstler viel zu neugierig und experimentierfreudig. Und so schwebt ihm nicht etwa ein statisches Ergebnis wie ein Bild vor. Stattdessen wird er einen Film über Oldenburg machen, der sich deutlich von üblichen Stadtportraits unterscheiden dürfte - und das fängt bereits beim Namen an: „Creative Commons Crowd Canvas“.
Gordon schmunzelt. Er ist sich bewusst, dass der Name zunächst sperrig klingt, hat aber eine Erklärung parat: „Creative Commons sind im Grunde Kreativrechte, die verändert, benutzt und verbreitet werden können. Und Crowd Canvas ist eine gemeinsame Leinwand für eine Gruppe von Leuten.“ Damit will er ausgedrücken, dass es sich um einen Film handelt, der mit den Leuten über die Leute entsteht. „Es wird also durchaus eine Art Stadtportrait“, beschreibt Gordon sein Projekt. „Zum einen dadurch, dass die Leute mir ihre Geschichten erzählen. Zum anderen aber auch dadurch, dass sie selbst Gegenstand des Films werden.“ Und mit ihnen: die Stadt.
Der Trailer für das Projekt gibt einen guten Vorgeschmack - aber keine konkrete Vorhersage. (Video: Gordon Endt)
Kreativität trifft KI
So offen wie das Stipendium ist letztlich auch Gordons Filmprojekt: „Ich wusste vorab selber noch nicht, wie das Drehbuch aussieht. Das hängt eben vom Input der Leute ab.“ Diese Situation sei für ihn sehr ungewohnt, denn eigentlich plane er Filme von A bis Z durch. „Hier ist es genau andersrum: Ich höre mir erstmal an, was es hier in der Stadt gibt, was interessant ist und was ich verwerten kann.“ Dazu spricht er mit den Passant:innen in der Fußgängerzone, er wendet sich aber auch gezielt an interessante Personen und sichtet Material, das ihm online zugeliefert wurde. Ein großer Unterschied zu anderen Filmproduktionen ist zudem, dass Gordon bei alledem allein agieren muss. Das aber sei in diesem Fall kein Problem, sondern gehöre vielmehr zur Versuchsanordnung:
„Statt eines großen Teams nutze ich KI. Sie ist für mich einerseits Werkzeug, um das ganze gelieferte Material zu sichten, zu ordnen und zu verwerten. Sie ist aber andererseits auch ein Protagonist des Films.“
Ein Beispiel dafür: Man könne tausende Bilder von Oldenburg in die KI laden und sie dann beauftragen, daraus das Oldenburger Bild schlechthin zu kreieren. „Da weiß man gar nicht, was dabei herauskommt - und das deckt sich dann womöglich auch gar nicht mit den eigenen Eindrücken der Stadt“, gibt Gordon zu bedenken.
Doch er lasse diese Ergebnisse in das Projekt einfließen. „Die KI entwickelt sich ja gerade rasend schnell weiter. Trotzdem verhält sie sich momentan manchmal wie ein kleines Kind, das noch lernt - und damit versuche ich zu spielen.“ Deswegen nehme er nicht jeden Fehler raus, sondenr macht ihn als Artefakt der neuen Technologie sichtbar. Allen Eltern kommt das bekannt vor: Schließlich ignoriert man die Fehler der eigenen Sprößlinge ja ebenfalls nicht, sondern versucht, etwas Positives daraus zu drehen.
Der traditionellen Sichtweise, dass Mensch und Maschine getrennt voneinander zu betrachten seien, kann Gordon sowieso nicht viel abgewinnen: „Es sind keine zwei Pole, die sich konträr gegenüberstehen. Das Fantastische - das passiert in der Mitte, zwischen den beiden.“
Der Reiz des Neuen
Generell versucht Gordon, alle Einflüsse aufzunehmen, er bringt aber auch eigene Vorstellungen mit in das Projekt. „Es gibt schon Themen, die ich auf jeden Fall drin haben möchte, etwa die Frage nach dem Klang der Stadt. Wie klingt Oldenburg? Das finde ich spannend“, gewährt er einen Einblick. Er müsse aber immer darauf schauen, dass es nicht zu viel werde: „Ich finde immer alles faszinierend. Ich lerne die Stadt ja im Eiltempo kennen! Deshalb muss man sich irgendwann auch Grenzen auferlegen.“
Einen Ort, an dem 175.000 Menschen zusammenleben, innerhalb kurzer Zeit verstehen zu wollen, ist zweifellos ein ambitioniertes Vorhaben. Ein Vorteil könnte dabei aber sein, wenn man Oldenburg bisher kaum kannte und der Stadt ohne Vorbelastung begegnet. „Ich mag es, Städte neu zu erkunden“, bekennt Gordon. „Und ich denke tatsächlich, dass der Blick von außen ein Vorteil ist, weil man sich Fragen stellt, die den Einheimischen gar nicht mehr in den Kopf kommen.“ So zum Beispiel die Frage, warum bestimmte Häuser in Oldenburg als Hundehütten bezeichnet werden. „Erst konnte es mir niemand beantworten, dann habe ich ganz viele unterschiedliche Antworten bekommen“, lacht der Künstler.
Oldenburg wie nie zuvor
Bei „Creative Commons Crowd Canvas“ kommen viele spannende Zutaten zusammen. Ein ambitionierter Künstler, die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz und der geballte Input vieler Oldenburger:innen. Erhalten wir dadurch etwa das ultimative Stadtportrait? Gordon glaubt das nicht: „Was mir die Leute an Material oder Geschichten geben, ist ja nicht objektiv, sondern erstmal nur ihr Blickwinkel und ihre Meinung.“ Der Film werde deshalb vielmehr ein Portrait dessen, was die Menschen über ihre Stadt denken. Dabei bilde die Bevölkerung eine Art kollektives Gewissen:
„Wie die Leute sich benehmen, was sie über die Stadt denken oder wie sie miteinander interagieren - das macht ja im Endeffekt die Stadt aus und eben nicht architektonische oder infrastrukturelle Gegebenheiten, die sich quasi nicht verändern.“
Noch bis Ende November wird Gordon in Oldenburg aktiv sein. Wie der Film am Ende aussehen wird? Das weiß er selbst noch nicht. Alle Neugierigen können sich aber auf der Projektwebsite Zwischenstände ansehen. Und schon nach den ersten Schritten wird deutlich: Gängigen Erwartungen an ein Stadtprotrait wird das Werk nicht entsprechen. Aber das ist genau richtig so. Denn erstens ist der Film kein Marketingprodukt, sondern ein Kunstwerk. Und zweitens bewegt er sich vielleicht trotzdem viel dichter an der Wahrheit - im Sinne einer treffenden Darstellung - als jeder noch so rasante Drohnenflug über urbane Häuserlandschaften. Eines jedenfalls ist sicher: Er zeigt uns Oldenburg, wie wir es nie zuvor gesehen haben.
Comments