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IM KLEINEN GANZ GROSS

Eine Kabinettschau im Prinzenpalais? Da bleibt der Puls des Gelegenheits-Kulturfans zunächst noch ganz ruhig. Schließlich steht dieses Format für kleine Ausstellungen in lediglich zwei Räumen. Warum das aktuelle Kulturhäppchen dennoch sehenswert ist? Zum einen, weil es um das historische Oldenburg geht - und zum anderen, weil die Schau die Dimensionen der Räumlichkeit mühelos sprengt.


Innenräume des Prinzenpalais in Oldenburg
Angenehm: Die Kabinettausstellung mag nicht groß sein, sie erzeugt aber eine angenehme Atmosphäre (Bild: Kulturschnack)

In den Museumslandschaften - egal an welchem Ort - gibt es eine goldene Regel: Ausstellungen, die sich mit alten Ansichten des jeweiligen Standorts beschäftigen, gehen immer! Es gibt ein romantisches Verhältnis der Bevölkerung zur Geschichte ihrer jeweiligen Heimat - die meist einen Hauch positiver dargestellt oder erinnert wird als sie tatsächlich war. Aber das gehört zu einer Romanze ja dazu.


Nun ist im Oldenburger Prinzenpalais (das übrigens zum Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte gehört) eine Kabinettschau mit alten Aufnahmen aus Oldenburg zu sehen, die allesamt von Franz Titzenthaler stammen. Mit seiner „Photographisch-artistischen Anstalt" fertige er im 19. Jahrhundert in erster Linie Stadtansichten für den freien Verkauf an. Ab 1890 wurde er jedoch als „großherzoglich-oldenburgischer Hof-Photograph“ ausgezeichnet, In Folge dessen gelangen ihm einige bemerkenswerte Innenaufnahmen aus hoheitlichen Gemächern, die sonst unmöglich gewesen wären.


 

LANDESMUSEUM FÜR KUNST UND KULTURGESCHICHTE


ZWISCHEN ERINNERUNG UND INSZENIERUNG

OLDENBURG IN HISTORISCHEN AUFNAHMEN


14. MÄRZ BIS 9. JULI 2023

DIENSTAG - SONNTAG 10 - 18 UHR


PRINZENPALAIS

26122 OLDENBURG

 

Nah ran an die Details


Wer die Ausstellung betritt, könnt zunächst ernüchtert sein. Nicht nur beschränkt sie sich auf lediglich zwei Räume, die ausgestellten Fotografien sind zudem nur kleinformatig zu sehen. Man muss nah ran, um Details zu erkennen - was in diesem Teil des Prinzenpalais immerhin kein größeres Problem ist, weil normalerweise nicht ständig andere Gäste durchs Bild laufen. Anders ausgedrückt: Man hat die Räume häufig ganz für sich allein.


Spannend sind bei der näheren Betrachtung die erwähnten Innenaufnahmen, die mit ungeahnter Opulenz überraschen - gerade weil man die aktuell eher kärgliche Einrichtung des Prinzenpalais parallel vor Augen hat. Die Bilder lassen die Betrachter:innen nachempfinden, warum das Prinzenpalais seinen Namen trägt - nämlich weil es tatsächlich für zwei russische Prinzen gedacht war.


Bei Alexander und Peter handelte es sich um die verwaisten Enkel des legendären Oldenburger Herzogs Peter Friedrich Ludwig. Von 1826 bis 1829 wohnten sie in dem markanten klassizistischen Gebäude, bevor Peter nach dem Tod des Großvaters und des Bruders wieder zurück nach St. Petersburg ging.



Unwiederbringlich verloren


Der besondere Clou der Ausstellung sind jedoch die Außenaufnahmen. Zum einen geben sie einen guten Einblick in die Oldenburger Geschichte, auch wenn sich bei manchem Anblick etwas Wehmut mischt, das ein ästhetisch gelungenes Stadtbild unwiederbringlich verloren ist. Wer diese Art des Masochismus nicht scheut, dem seien weitere Gelegenheiten empfohlen, zum Bespiel diese:


Längst vergriffen, in einigen Antiquariaten aber noch verfügbar: Der erste Band von Oldenburg in alten Ansichten“ gehört eigentlich in jede Hausbibliothek. (Bilder: Kulturschnack)


All das soll nicht etwa reaktionär klingen. Veränderung ist grundsätzlich erstmal spannend, Disruptionen oft sogar dringend nötig. Insofern ist es durchaus zu begrüßen, dass Oldenburg im Jahre 2023 nicht mehr als aussieht wie 1893. Jedoch stellt sich immer die Frage, wie sensibel man mit dem eigenen historischen Erbe umgeht. Ist man in der Lage zu erkennen, was erhaltenswert ist - und was man korrigieren sollte? Diese Betrachtung ist eine eigene Kunstform, die manche Orte intuitiv beherrschen und andere eben nicht. Wie Oldenburg sich in dieser Beurteilung schlägt? Das einzuschätzen überlassen wir dem Auge des Betrachters. Eine eigene Meinung haben wir aber auch.


ERST GRANDEZZA, DANN GROßSTADT

WIE OLDENBURG EINEN TEIL SEINER GESCHCHTE VERLOR


Die meisten kennen die Geschichte: Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Oldenburg wegen der Fluchtbewegungen quasi „über Nacht“ zur Großstadt. Innerhalb weniger Jahre wuchs die Stadt von etwa 80.000 auf über 120.000 Einwohner:innen. In der Tat: eine enormer Sprung - mit weitreichenden Folgen.


Der Überbau der Haaren in Oldenburg
Zwischen verständlich und nicht nachvollziehbar: Der Jordan, an dem Hunte und Haaren sich trafen, wurde überbaut. Einer der schönsten Orte Oldenburgs ging verloren. (Bild: Stadtmuseum Oldenburg)

Die Gründe für den Zuwachs, nämlich die Aufnahme von Geflüchteten und Vertriebenen, war natürlich eine humanitäre Aufgabe von größter Bedeutung. Leider jedoch traf die Stadtführung angesichts dieser epochalen Herausforderung einige ungünstige Entscheidungen, die Oldenburg vernarbt zurückließen.


Natürlich ist unsere Heimatstadt heute noch schön. Was vielen Entwicklungen nach dem Zweiten Weltkrieg aber fehlt, ist jene weltläufige Eleganz und ästhetische Anspruchshaltung, die einst Peter Friedrich Ludwig hierherbrachte. Das Auto dominierte sämtliche Planungen und nahm dem Wallring seinen ursprünglichen Charakter. Das ist im historischen Vergleich deutlich zu sehen.


Dass beim schnellen Wachstum in die Fläche Gestaltungsfragen nur eine Nebenrolle spielten, ist angesichts der Situation verzeihlich. Warum aber viele charakteristische Altbauten und Strukturen für Versicherungen, Einkaufszentren oder Parkhäuser weichen mussten, ist weniger nachvollziehbar.


Der Blick zurück ist aber mehr als eine Sehnsucht nach dem alten Stadtbild, er kann auch als Inspiration für die Zukunft dienen: Sollte das Auto tatsächlich einmal stärker an Bedeutung verlieren, liegen hervorragende Pläne für eine menschenorientierte Stadt nicht etwa in der Schublade - sie liegen in den Geschichtsbüchern.


Was einst gewesen ist


Genau dieses Prinzips - den Vergleich des Heute mit dem Früher - bedient sich auch die Kabinettschau im Prinzenpalais. Wie das, bei einem derart begrenzten Platzangebot? Ganz einfach: Mit einer digitalen Erweiterung! Genauer gesagt mit der App „DigiWalk", die es ihren Nutzer:innen ermöglicht, Stadtspaziergänge zu hinterlegen, die anderen nachlaufen können.


In diesem Fall führt der Weg - natürlich - zu jenen Orten, die Titzenthaler einst ablichtete. Unwillkürlich zieht man den Vergleich: Zwischen dem, was einst gewesen ist (und wie es sich vermutlich angefühlt hat) - und dem, was nun ist (und wie es wirkt und klingt). Alles hat zwar seine Vor- und Nachteile und gewiss möchte niemand zu den Zeiten eines patriarchalischen Absolutismus zurückkehren. Dennoch beschleicht uns das Gefühl, dass früher zwar ganz sicher nicht alles besser, aber eben auch nicht alles schlechter gewesen ist. Letzteres gilt zumindest für das Stadtbild Oldenburgs.





Den Rahmen sprengen


Im Jahr 2023 sind digitale Erweiterungen für analoge Ausstellungen nichts völlig Neues mehr. Auch Stadtspaziergänge auf vorgezeichneten Routen kennt man schon. Dennoch zeigt sich hier einmal mehr, wie gut diese Ansätze funktionieren können, wenn sie durchdacht sind oder schlicht zum Thema passen. Im Falle von „Zwischen Erinnerung uns Inszenierung" funktioniert die Erweiterung jedenfalls hervorragend. Der vorgezeichnete Weg führt uns zwar nicht zu unbekannten Orten - doch was wir sehen, sehen wir mit anderen Augen.


Die Ausstellung sprengt also in doppeltem Sinne ihren Rahmen: sowohl den räumlichen, als auch den zeitlichen. Titzenthalers Bilder berühren uns dadurch mehr und gewinnen noch an Relevanz für die Gegenwart. Und trotz des möglicherweise ernüchternden ersten Eindrucks wird die Ausstellung dadurch: im Kleinen ganz groß.


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