Wie bespielt man ein Museum, das geschlossen hat? Wie erreicht man Besucher:innen, die nicht kommen können? Die Unmöglichkeit dieser Situation hat in Oldenburg nicht etwa zu Frustration geführt, sondern zu einem wahren Ausbruch an Kreativität. Das Stadtmuseum ist in einer Zeit, in der es vollständig aus dem Blickfeld hätte verschwinden können, präsent wie nie zuvor. Die Not wurde hier tatsächlich zur Tugend gemacht.
„Moment Mal. Irgendwas ist anders.“ Wer die Räumlichkeiten in der Achternstraße 22 von früher kannte, ist beim Betreten irritiert. War es hier früher nicht düster und dicht gedrängt? Davon ist nichts mehr zu sehen. Nun flutet das Tageslicht den ganzen Raum und verändert die Atmosphäre grundlegend. In Zusammenspiel mit dem rohen Betonfußboden ist ein charakterstarker Ort entstanden.
Ideale Voraussetzungen für den Projektraum_04 des Stadtmuseum Oldenburg. Hinter dem etwas kryptischen Namen steht im Kern ein Ort der Begegnung. Zum einen mit dem Museum selbst, das aktuell keine Heimat hat, weil der Altbau abgerissen wurde und der Neubau noch nicht steht. Zum anderen aber auch mit den Stadtteilen Oldenburgs, denn sie und ihren Eigenschaften (bzw.-arten) sind hier Thema. Und sie eröffnen Blicke auf bisher Unbekanntes, Verstecktes oder Übersehenes - in diesem Fall aus Osternburg. Und ohne zu viel vorwegzunehmen: Ein Besuch - bzw. eine Begegnung - lohnt sich aus beiden Gründen.
STADTMUSEUM OLDENBURG
PROJEKTRAUM_04
THEMEN: WOHNEN / OSTERNBURG
SAMSTAG, 22. APRIL - SAMSTAG, 1. JULI
MO - FR 12.30 - 18 UHR
SA 10 - 18 UHR
26122 OLDENBURG
Raum auf Zeit
Es ist sofort spürbar: Mit den neuen Räumlichkeiten ist das Museumsteam sehr zufrieden. Tatsächlich sind sie eine gute Lösung - und das nicht nur geographisch und räumlich, sondern auch historisch. Schließlich hat das Gebäude, in dem das Stadtmuseum zu Gast ist, eine eigene Geschichte: Im Zuge des Abrisses des hinreißend schönen Modehauses Gehrels in den 1960er-Jahren (heute: H&M) ersetzte es nämlich das Stammhaus des Kürschnermeisters Carl Willers, der an dieser Stelle noch bis zur Jahrtausendwende Pelze verkaufte.
„Es ist immer eine Herausforderung, eine geeignete Immobilie zu finden“, erzählt Dr. Steffen Wiegmann, Leiter des Stadtmuseums. Darin liege aber auch ein gewisser Reiz. „In diesem Fall fand die Schlüsselgabe erst drei Wochen vor der Eröffnung statt“, deutet er einen gewissen Zeitdruck an. In dieser kurzen Spanne musste die Ausstellung konzipiert und realisiert werden - eine Herausforderung, denn „Konzeption“ bedeutet hier, die vielen Gespräche aus den Stadtteilen auszuwerten, sie visuell oder plastisch umzusetzen und in den Raum einzubauen. In einem intensiven Prozess gelingt dies aber immer wieder - und so auch hier.
„Die Projekträume sind wichtige Bestandteile unserer Schließzeit“, ordnet Steffen die Wertigkeit ein. Sie seien etwas anderes als etwa die Pop-Up-Ausstellung in der Lambertistraße, nämlich „das Ergebnis einer partizipativen und kooperativen Arbeit von über hundert Beteiligten.“ Mit dem Entdecken und Kennenlernen der Stadtteile gäben die Projekträume zudem schon einen gewissen Vorgeschmack auf die neue Dauerausstellung, denn dort werden Stadtteile und Partizipation ebenfalls präsent sein.
Doppelte Stadtbürgerschaft
Es ist mittlerweile kein Geheimnis mehr, aber weiterhin bemerkenswert: Was ein Problem für das Stadtmuseum hätte werden können - nämlich die lange Schließzeit wegen des Neubaus - ist mittlerweile zu einem Vorteil gereift. Es klingt beinahe absurd, aber ohne eigene Räumlichkeiten erreicht das Museum eine größere Präsenz als in vielen Phasen früherer Jahrzehnte. Das ist freilich kein Zufall oder Automatismus, sondern das Ergebnis kluger kreativer Vorarbeit und einer engagierten Umsetzung. Respekt an dieser Stelle an das Team des Museums, das diese große Aufgabe mit spürbarer Lust und Leidenschaft meistert.
Zu den vielen guten Ideen für die Schließzeit gehört zweifellos die Erkundung der Stadtteile. In Oldenburg gibt es nämlich nach wie vor eine „doppelte Stadtbürgerschaft“: Natürlich fühlen sich alle als Oldenburger:innen, aber eben auch als Bewohner:innen von Eversten, Kreyenbrück oder Ofenerdiek. Das Stadtmuseum respektiert diese Verbundenheit zum Stadtteil, indem es sie selbst genauer untersucht. Und das funktioniert am allerbesten im Gespräch mit den Menschen. Mit hohem Zeitaufwand haben Projektkoordinatorin Sandrine Teuber und Gesa Soetbeer viele Gespräche geführt und dabei den Stadtteil erfühlt. Die Ergebnisse dieser intimen Forschungsarbeit sind zum Teil in der Ausstellung zu hören und zu sehen.
Spiegelbild der Zeit
Hilfreich war dabei die große Offenheit der Gesprächspartner:innen, die gern über ihr Leben in Osternburg erzählt haben. „Es war wirklich ein Genuss, bei ihnen zu Gast zu sein“, schwärmt Sandrine noch heute von den Besuchen. Dabei sind die individuellen, persönlichen Geschichten gleichzeitig viel mehr als das. Denn was in den Wohnungen von Osternburg geschah, wie sie aussahen und ausgestattet waren - das repräsentiert manchmal ganze Epochen und Entwicklungen. In diesem Fall eine, die in der Residenz- und Beamtenstadt Oldenburg eher untergeordnet war, nämlich die Industrialisierung. In Osternburg gab es mit der Glashütte eine größere Fabrik, die ihren Mitarbeiter:innen sogar Wohnrechte anbot. „Die erloschen jedoch sofort, wenn das Arbeitsverhältnis endete“, erinnert Steffen an die strengen Gesetzmäßigkeiten jener Zeit.
Dennoch haben sich mit der Glashüttensiedlung - und etwas später auch mit der Siedlung Breslauer Straße - sehr charakteristische Wohnformen herauskristallisiert, die einerseits einzigartig sind, andererseits aber auch ein Spiegelbild ihrer Zeit sind. Ein Kuriosum sind etwa die winzigen Badezimmer mit einer Fläche von 2,34 Quadratmetern - da wurde bereits der morgendliche Toilettengang zu einem akrobatischen Kabinettstück. Und das ist nur ein Beispiel für viele kleine Kuriositäten und Anekdoten, die in ihrer Summe ein stimmungsvolles Portrait des Lebens in Osternburg ergeben.
Wohnen im Wandel
Das Besondere der Ausstellung: Wenn man über das Wohnen spricht, geht es immer auch um mehr. Etwa um gesellschaftliche Veränderungen, technische Entwicklungen, aber auch um Lebensentwürfe und -gefühle. Und auch hier waren die Menschen überaus einfallsreich und haben vielfach - genau - die Not zur Tugend gemacht. Das gilt aber nicht nur für die Geschichte, sondern auch für die Gegenwart, in der es um die zeitgemäße Weiternutzung der Gebäude geht. Inspirierend dabei: Die Genossenschaft HunteWoGen, die bereits 17 der 27 Gebäude in der Siedlung Breslauer Straße erworben hat und diese in Gemeinschaftsarbeit saniert und repariert, hegt und pflegt. Ein Idealtypus des nachbarschaftlichen Engagements, der sich stets über den Austausch mit Interessierten aus anderen Stadtteilen freut.
Eigeninitiative ist aber auch in der Ausstellung selbst möglich. So gibt es dort die „Osternburger Fensterblicke", bei denen es sich - wie der Name andeutet - um einfache Aufnahmen handelt, die von den Bewohner:innen selbst gemacht wurden. Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Aussichten bilden zusammen ein interessantes visuelles Portrait des Stadtteils. Und das ist sogar erweiterbar: Wer sich inspiriert fühlt, kann einen eigenen Fensterblick einreichen, so dass am Ende ein Archiv der gesamten Stadt entstehen könnte, das auch Veränderungen zeigt. Eine spannende Vision!
Die gute schlechte Nachricht Die Projekträume bringen uns das Stadtmuseum auf eine bisher unbekannte Weise näher. Die jeweiligen Themen fühlen sich hier nicht abstrakt an, sondern sehr persönlich und berührend. Kein Wunder: Sie sind ein wichtiger Teil dessen, was wir als unsere Heimatstadt wahrnehmen. Trotzdem wird dieser vierte Projektraum bereits der vorletzte sein. Nach Stand der Dinge dürfen wir uns auf einen weiteren Begegnungspunkt dieser Art freuen, dann ist wieder Schluss mit dieser kleinen Orten der Begegnung. Was an dieser schlechten Nachricht gut ist? Zweierlei: Zum einen wird das neue Stadtmuseum wohl pünktlich im Frühjahr 2025 fertig werden und im Vorfeld fließt - natürlich - die gesamte Energie des Stadtmuseums dorthin. Zum anderen wird die Art der Arbeit, wie sie in den Projekträumen zu sehen war, auch nach Fertigstellung des Gebäudes weitergehen. Man muss also auf nichts verzichten. Übrigens auch nicht auf die niedrigschwellige Begegnung, wie sie in der Innenstadt möglich war. Genau das wird in Zukunft nämlich auch im Foyer des Stadtmuseum ermöglicht. Wir dürfen gespannt sein.
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Neues vom Alten
Der Projektraum_04 des Stadtmuseums wäre aber kein Projektraum, würde er nicht auch etwas über das Museum selbst erzählen. Einen roter Faden bilden dabei die ehrwürdigen Villen entlang der Raiffeisenstraße. Sie sind ebenfalls Teil des Stadtmuseums und werden derzeit aufwändig saniert. In Zukunft wird dabei sehr viel mehr zu sehen sein als bisher - und die Projekträume geben einen leichten Vorgeschmack.
Dieses Mal erhält man einen Einblick in die Entstehung der Innenarchitektur. Auf Tapeten und Stoffbahnen wurden die originalen Entwürfe des Architekturbüros au den Zeiten um die Jahrhundertwende gedruckt. So ergibt sich die ziemlich einmalige Gelegenheit, durch einen Raum zu schreiten, der zwar historisch belegt ist, der so aber nie entstand, weil sich Eigentümer Theodor Francksen für eine andere Wandfarbe entschied - nämlich Grün statt Rot. „Wie weitere Farben wirken würden, können die Besucher:innen übrigens selbst ausprobieren“, erklärt Melanie Robinet, die für diesen Teil des Projektraumes verantwortlich ist. Stifte und Papier liegen bereit, es fehlen nur noch Fantasie und Fingerfertigkeit.
Bei der Begehung stellt sich übrigens ein spannender Nebeneffekt ein: Man schreitet gewissermaßen von der Arbeitersiedlung in aristokratisch anmutende Räumlichkeiten. „Das ist ein starker Kontrast: Hier der luxuriöse Überfluss, dort das Wohnen für alle“, stellt Melanie fest. Das führe sehr gut vor Augen, wie stark sich die Lebensrealitäten innerhalb der Bevölkerung unterschieden, denn sie stammen allesamt aus einer ähnlichen Zeit. Ob das heute so vollkommen anders ist, sei aber mal dahingestellt.
Viel mehr als eine Notlösung
Kein Zweifel: Die Projekträume des Stadtmuseums sind mehr als eine Notlösung. Sie sind tatsächlich Orte der Begegnung - und das wie erwähnt in einem doppelten Sinne. Natürlich erzielen sie nicht jene Wirkung, die das neue Stadtmuseum mit seiner Dauerausstellung ab 2025 erreichen wird. Wie könnten sie auch? Gleichzeitig sind sie aber viel mehr als eine Notlösung, denn was man in ihnen zu sehen bekommt, sind spannende Puzzlestücke unserer Stadt, ihrer Menschen und ihrer Geschichte. Und genau das sollte ein Stadtmuseum ja auch bieten. Hier wurde also tatsächlich die Not zur Tugend gemacht.
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