top of page

SELTSAME ANWANDLUNGEN

Das Theater Laboratorium ist bekannt und beliebt für seine gekonnte Verbindung von hintergründiger Philosophie und krachender Komik. Nun haben Pavel Möller-Lück und Markus Wulf ein neues Stück inszeniert. Gelingt auch „Die seltsamen Anwandlungen des Leonard Haslinger“ dieser Spagat? Wird das Stück ein weiterer Dauerbrenner? Darüber - und über noch viel mehr - haben wir mit den beiden gesprochen.


Bühnenszene aus „Die seltsamen Anwandlungen des Leonard Haslinger“ im Theater Laboratorium Oldenburg
Auf den Punkt: Mit viel Liebe zum Detail entstehen im Theater Laboratorium authentische Kulissen, die trotzdem Raum zum träumen lassen. (Bild: Kulturschnack)

„Wollen wir nach hinten gehen?“ Als wir Pavel Möller-Lück im Foyer des Theater Laboratoriums treffen, halten wir uns nicht lange mit Smalltalk auf. Wetter prima, Laune bestens, also geht es gleich ans Eingemachte. Was einen guten Grund hat, wie sich bald zeigen sollte. Denn„hinten“ steht die Bühne.


Pavel hat eine geradezu diebische Freude daran, uns die Kulisse für das neue Stück „Die seltsamen Anwandlungen des Leonard Haslinger“ zu zeigen. Diese Freude kommt nicht von ungefähr: Mit der legendären Liebe zum Detail ist wieder mal ein Ort entstanden, der einerseits wirkt, als könnte er tatsächlich irgendwo real existieren, der andererseits aber auch als Plattform für Größeres taugt. Die Vorfreude wächst.


 

THEATER LABORATORIUM


DIE SELTSAMEN ANWANDLUNGEN DES LEONARD HASLINGER


PREMIERE:

MI, 2. OKTOBER 2024, 20 UHR


WEITERE VORSTELLUNGEN:

DO, 3. OKTOBER, 18 UHR (KARTEN)

SA, 5. OKTOBER, 20 UHR (KARTEN)

SO, 6. OKTOBER, 18 UHR (KARTEN)

DO, 24. OKTOBER, 20 UHR (KARTEN)

FR, 25. OKTOBER, 20 UHR (KARTEN)

SA, 26. OKTOBER, 20 UHR (KARTEN)

SO, 27. OKTOBER, 20 UHR (KARTEN)


WEITERE TERMINE IM DEZEMBER,


THEATER LABORATORIUM

KLEINE STRAßE 8

26121 OLDENBURG


 

Kongeniales Duo


Wir kommen zurück ins prächtige Foyer und setzen und an einen der zahlreichen Tische. Auch an einem Dienstagmorgen herrscht eine gewisse Geschäftigkeit dort, die ein angenehmes Grundrauschen bildet. Zu uns stößt nun Markus Wulf. Der Regisseur und Drehbuchautor ist in Oldenburg aufgewachsen, lebt inzwischen aber in Köln und widmet sich dort in erster Linie der Filmproduktion. Pavel und er kennen sich schon lange und hegten insgeheim immer den Plan, eines Tages zusammenzuarbeiten. Bei „Leonard Haslinger“ ist dies nun endlich passiert.


Schon farblich bestens aufeinander abgestimmt: Das kongeniale Duo Markus Wulf und Pavel Möller-Lück. (Bild: Kulturschnack)

Eine Woche vor der Premiere sind die beiden überraschend entspannt, „aber nur oberflächlich“, wie sie schnell lachend beteuern. Man sehe sie ja nicht während der Proben, da gehe es anders - im Sinne von: lauter - zu. Trotzdem spürt man sofort, dass die Chemie stimmt. Und genau das sollte sich auch während unseres Interviews zeigen.


 

Euer neues Stück trägt einen auffälligen Titel. Das drängt sich die Frage auf: Wer ist denn dieser Leonard Haslinger?


Pavel: Leonard Haslinger ist seit über dreißig Jahren Pförtner am Oldenburgischen Staatstheater. Er ist ein sehr zufriedener Mann, der diesen Job außerordentlich gerne macht. Leonard Haslinger ist aber auch jemand, der das Kind in sich pflegt und gewissermaßen ständig wiederentdeckt. Man weiß nicht, ob es aus Langeweile ist, aber ich glaube eher nicht. Er ist einfach jemand, der gerne spielt, der aber auch zufrieden und freundlich seinen Job macht.


Das klingt nach einem angenehmen Zeitgenossen. Er hat dann aber offensichtlich seltsame Anwandlungen. Was hat es damit auf sich?


Markus: Leonard sitzt eben an seiner Pforte. Aber anders als in jeder anderen Firma werden beim Theater zeitgleich auf der Bühne Geschichten erzählt - die Leonard auf seinem Monitor sehen kann. In unserem Fall läuft gerade als Weihnachtsmärchen „Hänsel und Gretel“ - und zwar dreimal am Tag. Das heißt, der Pförtner kann dann das Stück auswendig. Er spielt es dann bei sich gewissermaßen mit - und das läuft dann durchaus aus dem Ruder.


Bühnenszene aus „Die seltsamen Anwandlungen des Leonard Haslinger“ im Theater Laboratorium Oldenburg
Da fehlt noch Leben: Die Kulisse des Pförtnerbüros ist wunderbar gelungen - doch vollendet wird sie erst durch Schauspieler und Figuren. (Bild: Kulturschnack)

Pavel: Das läuft allerdings aus dem Ruder (beide lachen verschwörerisch). Das Schöne ist aber, dass es immer eine Form von Synchronität hat. Wir hören nicht immer das, was auf der Bühne passiert, oft übernimmt auch Haslinger. Und eines ist dabei sicher: Timing ist nicht sein Problem. Nebenbei muss er aber auch noch seinen Job machen und gelegentlich die Schranke öffnen. Dann kommt er fast beiläufig wieder zurück zum Märchen und verwandelt sich auch selber. Dann ist einfach die Pforte nicht besetzt oder nur sehr merkwürdig besetzt. Dann wird alles sehr fremd für einen Augenblick.


„Hänsel und Gretel“ als Weihnachtsmärchen: Damit reißt man normalerweise niemanden mehr vom Hocker. Warum ist es ausgerechnet dieses Stück geworden, das Leonard von seiner Pforte aus verfolgt?


Pavel: Das Schöne an „Hänsel und Gretel“ ist: Man muss nichts erzählen. Es ist ja vielleicht das bekannteste Märchen von den Gebrüdern Grimm, jeder hat es irgendwie auf dem Zettel. Das eröffnet uns die Möglichkeit, vom Original abzuweichen oder einen netten Perspektivwechsel vorzunehmen. Und dann kann man anfangen, richtig zu jonglieren mit dem Stoff.


Bei Stücken des Theater Laboratoriums gibt es ja immer die Erwartung, dass auch Figuren eine Rolle spielen. Ist das bei Leonard Haslinger auch der Fall?


Pavel: Ja, sie kommen ins Spiel. Aber es sind aber keine Figuren, wie wir sie gewohnt sind. Haslinger ist schließlich Pförtner und kein Puppenspieler. Dass bedeutet, dass er sich Dinge spontan nachgebildet, etwa aus Butterbrotpapier. Er baut sich seine Welt so zusammen, wie er sie gerade braucht. Das heißt: Wir sehen Figuren - aber nicht jene, die wir hier normalerweise haben, sondern welche, die aus dem Moment entstehen. Leonard spielt damit und das verselbständigt sich irgendwann.


Markus: Man könnte auch sagen: Es gibt keine Figuren, aber es gibt Figurenspiel. Das ist Weltliteratur aus Butterbrotpapier!



Pavel: Das ist natürlich eine Herausforderung. Es ist dieses Mal nicht so, dass eine Figurenbildnerin etwas erstellt und ich bewege es dann nur. Wir agieren hier sehr viel stärker aus dem Moment heraus - mit Dingen, die uns umgeben. So wie eigentlich Kinder spielen. Das ist die Herausforderung, aber auch das Schöne daran.


Gibt es da gar keine Angst, dass es live dann nicht klappt? Oder übt man das einfach hundert Mal?


Pavel: Das ist meine größte Angst: Dass die Figur einfach nicht gut aussieht und nicht kann, was ich will! (beide lachen herzlich). Nein, man übt es natürlich. Man muss sich schnell in eine Formensprache bringen und bis jetzt ist das eigentlich immer ganz gut gelungen. Wenn ich angefangen bin zu reißen und zu fummeln und das hinzustellen, war die Figur eigentlich immer da.


Markus: Ich hätte es dir auch gesagt, wenn es nicht so wäre. (beide lachen)


Kleinod und ***: Das Theater Laboratorium in der ehemaligen Turnhalle des Oldenburger Turnerbundes in der Kleinen Straße. (Bild: Theater Laboratorium)
Stimmungsvoll: Das Laboratorium weckt schon draußen vor dem Eingang Vorfreude auf das Theatererlebnis. (Bild: Theater Laboratorium)

Wie muss man sich die Entstehung eines Stücks wie „Leonard Haslinger“ eigentlich vorstellen? Gibt es von Anfang an immer das Vorhaben oder die Vorstellung, auf eine bestimmte Weise Figuren einzubinden? Oder ergibt sich das erst im Prozess?


Markus: Ich glaube, es stimmt beides. Es entsteht auf jeden Fall im Fluss, in der Aktion, im Tun. Man kann sich natürlich hinsetzen und eine Szene schreiben. Wichtig ist aber, es dann auf der Bühne auszuprobieren. Und am Ende ist immer das entscheidend, was auf der Bühne entsteht. Das trifft auch auf die Figuren zu. Allerdings ist deren Entstehung nicht beliebig, eine Figur muss sich aus einer emotionalen Logik heraus ergeben. Es gibt ja auch ein Machtverhältnis: Wer spielt? Und wer wird gespielt? Da kann man nicht einfach sagen: Ach, das ist jetzt egal. Als extremes Beispiel fällt mir „Frankenstein“ hier im Haus ein. Da war die Entscheidung zu sagen: Nur die Kreatur ist ein Schauspieler, alle anderen sind Figuren.


Pavel: Es wird auch eine Parallelgeschichte gibt darin, die eine Geschichte des Verlassenseins ist. In diesem Zusammenhang spielt übrigens die Kammerschauspielerin Elfie Hoppe vom Staatstheater eine Rolle. Sie spielt aber natürlich nicht physisch mit, sondern über Aufnahmen, Telefongespräche und so weiter. Es gibt also wieder eine Geschichte in der Geschichte, so dass man wunderbar hin- und herspringen kann zwischen den Gefühlswelten.



Das Skript zu „Die seltsamen Anwandlungen des Leonard Haslinger“ im Theater Laboratorium Oldenburg
Das gute Stück: Auf dem Tisch im Foyer liegt ein Skript von „Leonhard Haslinger“ -wahrscheinlich auch in dieser Form ein Genuss. (Bild: Kulturschnack)

Was gefällt euch denn am besten an eurer Inszenierung? Gibt es den Lieblingsmoment oder Lieblingselement, worauf man sich immer wieder freut? Oder nimmt man das Stück nur als was Ganzes wahr?


Markus: Es gibt Schokolade! (lacht)


Pavel: Das Beste ist ja immer, wenn man sich auf jeden Moment freut. Das meine ich ganz ernst. Wenn der Abend beginnt, dann möchte ich mich auf die erste Szene freuen, ich möchte auf den Schnitt zu nächsten freuen und ich möchte mich auf die nächste Szene selbst freuen. Und natürlich gibt es Momente, wo man sagt: Ach, das wollte ich schon lange mal! Es gibt auch einen wirklich großen Moment, in dem Leonard Haslinger sich verwandelt. Ich will dem noch gar nicht so sehr vorgreifen, aber: Das ist ein Moment, auf den wir lange gewartet haben.


Markus: Ich merke zum Beispiel, dass ich die Hexe mehr lieb gewonnen habe, als ich gedacht hätte. Wenn man über Hänsel und Gretel nachdenkt, erwartet man ja nicht unbedingt, dass ausgerechnet die Hexe ein Lieblingscharakter wird, Aber so etwas kann passieren: Man wird überrascht vom eigenen Stück.


Bühnenszene aus „Die seltsamen Anwandlungen des Leonard Haslinger“ im Theater Laboratorium Oldenburg
Schlüsselszene: In diesem Bild ist nicht nur Schokolade, sondern auch eine Figur versteckt. Tipp: Es ist nicht die Ente. (Bild: Kulturschnack)

Viele eurer Stücke werden zu Klassikern. Das liegt nicht zuletzt an der fein ausbalancierten Mischung aus tragischen und komischen Elementen. Gibt es die bei Leonard Haslinger auch?


Pavel: Es gibt immer eine Melancholie. Sie ist ein Motor, um etwas zu entdecken und, wie ich ja immer sage, um zwei Millimeter heiler zu werden an der Welt. Das spielt natürlich eine Rolle. Aber unsere Intention war eigentlich auch, eine Form von Komik zu erzeugen, von der die Menschen sagen: Das ist auf eine mal kuriose, mal ganz direkte Weise amüsant! Wie beim „Fischer und seiner Frau“ oder den „Bremer Stadtmusikanten“ war es uns ein Bedürfnis, das Dramatische und Melancholische zwar zu spielen - aber eine Form zu wählen, die wirklich Spaß macht. So eine Hexe zum Beispiel ist ja auch eine echte Figur. Da steckt ja jemand dahinter. Und die zu entdecken hat, hat wahnsinnig viel Spaß gemacht.


Markus: Das Tragische schließt das Komische und sogar das Alberne überhaupt nicht aus. „Die Bremer Stadtmusikanten“ ist so ein Gute-Laune-Stück, aber wenn man überlegt, worum es da eigentlich geht, dann sieht es anders aus. Da geht es um Charaktere, die getötet werden sollen, weil sie nicht mehr genug Leistung bringen. Das ist eigentlich gar nicht so lustig.


Foyer des  Theater Laboratorium Oldenburg
Ausflug aus dem Alltag: Die Abende im Theater Laboratorium beginnen bereits, bevor der Vorhang sich hebt. Das Foyer läutet das Erlebnis ein. (Bild: Theater Laboratorium)

Das Theater Laboratorium hat schon tausende Aufführungen erlebt. Wenn eine Premiere - wie jetzt für Leonard Haslinger - ansteht, gibt es da noch eine gewisse Aufregung? Oder ist das einfach Routine?


Pavel: Nee, nee! Das gehört schon zu den beeindruckendsten Erlebnissen, die man haben kann. Ich habe keine Panik, aber das Ausmaß des Respektes vor diesem Job ist an so einem Abend schon gewaltig. Das ist eine Form von Bewährung: Geht das auf, was ich mir gedacht hab? Finde ich den richtigen Faden? Bringe ich das so zusammen, wie ich das eigentlich will? Und wie geht es mir damit, wenn ich das erste Mal ganz knapp daneben bin, wo ich eigentlich nicht hinwollte? Finde ich dann den Faden wieder zurück? Kann ich mich da auf mich selber verlassen? Es gibt ja auch solche Premieren, wo man manchmal gar nicht weiß, wie es weitergeht, weil alles so neu und noch nicht eingespielt ist. Das passiert dann ja erst. Eine Premiere hat deshalb immer eine gewisse eine Entwurfhaftigkeit. Ich habe schon einen Riesenrespekt davor.


Bühnenszene aus „Die Bremer Stadtmusikanten“ im Theater Laboratorium Oldenburg
Dauerbrenner: „Die Bremer Stadtmusikanten“ wurden bereits 1.400 (!) Mal aufgeführt. Abnutzungs-Erscheinungen? Keine. (Bild: Theater Laboratorium)

Aber die ganz große Angst, dass ein Stück nicht funktionieren könnte, die gibt es nicht?


Pavel: Nein, da spielt dann einfach auch eine über 40-jährige Bühnenerfahrung eine Rolle. Man spürt schon im Vorfeld, ob etwas gut gebaut ist. Wenn man bei den Proben merkt „Ach, die Szene ist super“ und springt dann gleich rüber in die nächste, dann spürt man den Spaß, den auch das Publikum daran haben wird. Das kann man überschauen.


Markus: Man kann das ein Stück weit vorbereiten, also die Dinge handwerklich richtig machen. Aber dann bleibt ja trotzdem noch der Rest, der künstlerische Teil, der zwischen Pavel und dem Publikum entsteht.


Pavel: Das ist gewissermaßen die dritte Dimension an diesem Abend. Es gibt das, was man sich vorgestellt hat. Es gibt das, was sich daraus dann ergibt. Und schließlich gibt es die Reaktion des Publikums darauf. Die ist ja völlig ungeprobt. (lacht) Nein, die Vorfreude ist schon groß. Im letzten Jahr haben wir ja nicht inszeniert. Und wenn man dann nach zwei Jahren wieder ein Stück hat, das man zeigen will, dann fühlt man sich wie ein Rennpferd, wo gleich das Gatter hochgeht. Man will raus auf die Bahn und dann los!



 


Feine Töne, große Tiefe

Man kann es sich denken: Nach dem Interview ging es für uns alle nicht sofort zurück zur Tagesordnung. Mit Menschen wie Markus und Pavel gibt es immer Themen, Gedanken und Blicke auf die Welt, die besprochen werden wollen. Und so saßen wir noch eine Weile an unserem Tisch im Foyer und philosophierten unter anderem darüber, ob es Kultur nicht „auf Kasse“ geben müsste. Und wir ertappen uns bei dem Gedanken, dass es für die Stücke des Theater Laboratoriums beinahe gerechtfertigt erscheint.


„Die seltsamen Anwandlungen des Leonard Haslinger“ provozieren zunächst zwar tatsächlich die beiden Fragen, die wir am Anfang gestellt haben. Wie immer beim Laboratorium bietet das Stück aber sehr viel als eine reine Handlungsebene. Es sind die feinen Töne, die eine besonders große Tiefe erzeugen und die am längsten in unseren Köpfen nachhallen. Und wer weiß? Vielleicht verändern sie sogar etwas in uns. Deshalb bleiben Besuche in dieser kleinen Kultstätte des Theaters ein Erlebnis - und das gilt auch für Leonard Haslinger und seine seltsamen Anwandlungen. Ob der Pfortenphilosoph mit seinen Sidekicks Hänsel und Gretel zum nächsten Dauerbrenner wird? Das entscheidet ihr!

Comments


bottom of page