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KOLUMNE: ZU UNSEREM BESTEN

Seit Mitte 2020 schreibt Kulturschnacker Thorsten eine monatliche Kolumne für die wunderbare Theaterzeitung des Oldenburgischen Staatstheaters. Digital findet ihr sie zum Nachblättern unter www.staatstheater.de. Oder: hier.


Szene mit Seu Kim aus dem Stück „Jurassic Trip“, das im Rahmen von „Wild & Leise“  im Oldenburgischen Staatstheater zu sehen ist
Immer in Bewegung: Theater ist ein Aktivposten unserer Gesellschaft - nicht nur auf der Bühne, sondern auch in unseren Köpfen. (Bild: Stephan Walzl)

Was Theater mit uns machen kann

 

Was erwarten Sie, wenn Sie ins Theater gehen? Auf was freuen Sie sich am meisten? Vielleicht eine kurze Auszeit vom Alltag, die uns in eine andere Welt entführt, in denen Probleme und Sorgen ganz weit weg erscheinen? Gute Unterhaltung, die ihnen ein positives Gefühl gibt und vielleicht zwei, drei Schmunzler ins Gesicht zaubert? Oder hochklassige Darbietungen der beteiligten Akteur:innen, die Sie vollauf genießen können und die Sie vielleicht sogar in fasziniertes Erstaunen versetzt?


All das wäre verständlich - und häufig ist es wohl eine Mischung aus allem. Aber: Es gibt sogar noch mehr. Nämlich eine Facette, die ich persönlich sehr wichtig finde, weil ich schon oft die Erfahrung gemacht habe, dass Theater dadurch lange in meinem Kopf nachhallt. Wovon ich rede? Von der gesellschaftlichen Bedeutung des Theaters. Ich gebe zu: Das klingt erstmal etwas spröde. Doch es ist das Gegenteil. Denn ich denke dabei nicht an den mahnend erhobenen Zeigefinger, der auch auf einer Bühne unangenehm überheblich wirken würde.


Ich denke stattdessen an die feinen Beobachtungen von sublim verlaufenden Veränderungen, das genaue Gespür für Zusammenhänge und Folgewirkungen, die klugen Analysen von Veranlagung und Verhalten und nicht zuletzt die philosophischen Gedankenspiele, die uns das Theater bietet.

Denn mit alledem gelingt ihm ein Spagat, den niemand sonst schafft: Die nahtlose Verbindung zwischen Ratio und Emotio, zwischen Verstand und Gefühl.

 


Klarheit und Katharsis


Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich frage mich: Wie oft habe ich schon im Theater gesessen und war ergriffen von Gedanken, die ich theoretisch auch zu jedem anderen Zeitpunkt hätte haben können, aber nur dort hatte? Wie oft habe ich dabei eine Klarheit gefühlt, die sich im Alltag in dieser Form nie einstellen wollte? Und wie oft hatte dieses Gefühl eine geradezu körperliche Dimension, die – ich übertreibe jetzt mal ein bisschen – beinahe wie eine Katharsis wirkte? Das kann kein Zufall sein:


Theater hat tatsächlich eine völlig andere Wirkungsmacht als Nachrichten, als Faktenwissen, als Datenlagen. Es wirkt viel tiefer, als jede Zahl es könnte.

Und geradezu erstaunlich ist es, dass diese Wirkung nicht mit den Erwartungen konkurriert, die ich im ersten Absatz aufgezählt habe. Nein, all das fließt zusammen und ergibt am Ende das, was wir alle so sehr lieben: Eine Theaterwelt, die gleichzeitig nah genug ans uns dran und weit genug von uns weg ist, um uns tief zu berühren, ohne dabei plakativ zu sein. Sie wissen schon: Der Zeigefinger.


Nun wäre all das nur eine nette Facette, die das Theatererlebnis lediglich ergänzt, wäre da nicht die Langzeitwirkung. Denn es bleibt ja nicht bei den intensiven Momenten im Dunkel des Saals. Was in diesen Augenblicken mit uns passiert, das verändert etwas. Das verändert uns. Weil wir eben nicht alles wieder löschen, wenn das Licht angeht – als wäre es nie dagewesen. Wir nehmen es mit nach Hause, gehen mit ihm um, denken es weiter, verinnerlichen es. Und das ist es, was Theater doppelt wichtig macht. Auch ohne diesen Effekt würde es jede Daseinsberechtigung genießen. Doch mit ihm gewinnt es das, was ich anfangs als spröde beschrieben habe: eine gesellschaftliche Bedeutung.

 


Wirkung im Innersten


Ich fand das immer wichtig. Ich ertappe mich aber dabei, dass ich es immer wichtiger finde. Wenn ich mir eine Vielzahl an Entwicklungen in unserem Land anschaue, die immer wieder auf Zuspitzungen und Polarisierungen zulaufen, dann wünsche ich mir mehr Feingefühl, mehr Zwischentöne, mehr Offenheit und mehr Einsicht. Man darf nicht erwarten, dass Schulen, Marktplätze und Soziale Medien als Orte der Begegnung und des Austauschs für eine Lösung sorgen. Zumal es allzu oft an jener Fähigkeit mangelt, auf die es ankommt: Die Herzen zu berühren. Und damit Verständnis und Empathie zu erzeugen.


Theater kann das. Mehr noch: Es ist seine Kernkompetenz. Es erreicht unser Innerstes – und kann deshalb dort Wirkung entfalten. Deshalb lautet mein Rat an uns alle: Lasst uns ins Theater gehen.

Nicht als vierteljährliches Ritual, sondern so oft wie möglich. Lasst uns ansehen, was wir bisher nicht für uns entdeckt haben. Seien wir offen für Anderes, für Neues, für Experimente. Lasst uns immer wieder neu empfinden, was Theater mit uns machen kann. Und brechen wir einfach mal mit den Erwartungen, die wir ans Theater haben, und saugen wir das Unerwartete auf. Denn ich glaube: Das kann nur zu unserem Besten sein.

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