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SIGHTS TO SEE

In der Kunstszene etwas Einzigartiges zu kreieren, das niemand sonst macht: Das ist im Laufe der Zeit beinahe unmöglich geworden. Dem Fotokünstler Thomas Kellner ist es dennoch gelungen: Er setzt bekannte Bauwerke durch eine spezielle Art der Fotografie völlig neu in Szene - und dabei sogar in Bewegung. Seine spektakulären „Sights“ sind nun im Schloss zu sehen.


Alles anders: Selbst tausendfach gesehene Bauwerke wie das Kolosseum in Rom bekommen durch Thomas Kellners Arbeit eine völlig neue Wirkung. (Bild: Thomas Kellner)

Akropolis, Eiffelturm, Freiheitsstatue: Die bedeutenden Sehenswürdigkeiten dieser Welt kennen wir alle von unzähligen austauschbaren Hochglanzfotografien der Tourismusgesellschaften und Travel-Influencer. Gelegentlich beschleicht einen das seltsame Gefühl, man wäre von den ikonischen Bauwerken schon gelangweilt oder genervt, bevor man sie jemals in echt gesehen hat.


Thomas Kellner löst diesen Widerspruch auf. Das vermeintliche Bekannte wirkt bei ihm aufregend neu. Kein Wunder, schließlich setzt er ein Verfahren ein, das von den üblichen Verdächtigen ganz andere Bilder kreiert als die gewohnten. Dabei legt der gebürtige Bonner Wert darauf, dass er nicht etwa Fotograf ist, sondern ein Künstler, der mit Fotos - genauer gesagt: mit Dias - arbeitet. Und vielleicht ist dieser feine Unterschied das Geheimnis seines Erfolgs.


 

LANDESMUSEUM KUNST & KULTUR


THOMAS KELLNER: SIGHTS


27. SEPTEMBER 2024 BIS 12. JANUAR 2025


DIENSTAG BIS SONNTAG

10-18 UHR


OLDENBURGER SCHLOSS

26122 OLDENBURG

 

Der lange Weg nach Oldenburg


Dr, Anna Heinze ist stolz. Vier Jahre habe es gedauert, bis die Ausstellung von Thomas Kellner realisiert werden konnte, erzählt die Museumsleiterin beim Pressetermin am Vortrag der Ausstellungseröffnung. „Damals haben wir die Sammlung Schupmann gezeigt. Es war nur ein Bild von Thomas Kellner dabei. Aber seitdem hatten wir ihn im Blick.“ Der Künstler lächelt bescheiden. Ihm ist anzumerken: Er weiß um seine Alleinstellung in der Kunstszene - er möchte aber nicht viel Aufhebens darum machen.


Der Künstler und sein Werkzeug: Thomas Kellner nutzt Diafilme, um seine Fotomotive segmentiert abzulichten. (Bild: Kulturschnack)

Vielleicht liegt es daran, dass er auch die Schattenseite des Künstlerdaseins kennt. Nach dem Studium in Siegen habe er sich ein fünf Jahres-Ultimatum für den Karrierestart gestellt, erzählt er - und diesen Zeitraum auch gebraucht. Erste Erfolge wie die Verleihung des Kodak Nachwuchs-Förderpreises 1996 wechselten sich ab mit einigen Enttäuschungen. Eine der größten sollte ausgerechnet auf die Veröffentlichung des Fotobuchs „Monumente“ im Sommer 2001 folgen. Im Vorwort schrieb Prof. Dr. Gerhard Glüher „Thomas Kellner zerstört symbolisch seine Objekte“ - kurz darauf taten es Flugzeuge in New York tatsächlich. Monumente waren zunächst nicht mehr gefragt.


Einen Ausweg fand Kellner ausgerechnet auf der anderen Seite des Atlantiks. Mit seinen letzten Finanzreserven organisierte er dort eine Art Road Show in eigener Sache - und stieß dabei auf großes Interesse von Galerien und Museen. „Als ich ankam, musste ich zunächst immer ein Buch verkaufen, bevor ich mir einen Burger leisten konnte“, blickt er zurück. „Danach fragte meine neue Galeristin aus Chicago, wie hoch der Scheck sein soll, den sie mir ausstellt.“



Die tanzenden Gebäude


Für Begeisterung hatte jene Methode gesorgt, die Thomas Kellner schon seit 1997 immer weiter verfeinerte und perfektionierte. Dazu inspiriert hatte ihn der kubistische Maler Robert Delaunay, der einst den Eiffelturm in eine zersplitterte Struktur zerlegte. Und so begann Thomas auch ebendort: In Paris, mit dem Eiffelturm. „Dort hab ich mich hingesetzt und gefragt: Was kann ich jetzt machen?“, weiß er noch heute. Und heraus kam dabei einiges, wie sich zeigen sollte.


Viel Vorarbeit: Bevor Thomas Kellner mit seinen Fotografien beginnt, segmentiert er seine Objekte und plant sein Vorgehen. (Bild: Kulturschnack)

Die Kunstwerke von Thomas Kellner bestehen aus hunderten Einzelaufnahmen. Die plant er präzise voraus und hält in seinem Skizzenbuch den genauen Ablauf fest. Dann fotografiert er seine Motive in der Regel von unten links nach oben rechts, ein Dia-Film nach dem anderen. Die Kamera steht dabei auf einem Stativ und bewegt sich nicht von der Stelle. Stück für Stück wird nur der Fokus verschoben. Dadurch erscheinen die Gebäude im Ergebnis dynamischer und lebendiger als bei einer frontalen Gesamtaufnahme - oder in der Realität. Manchmal scheinen sie regelrecht zu kippen, zu wackeln oder sogar zu tanzen.


Die Entstehung eines Bildes dauert meist mehrere Stunden, bis zu sechzig Filme mit 24 oder 36 Fotos werden dabei verwendet. Doch was passiert eigentlich, wenn jemand durchs Bild huscht? „Ich arbeite mit sehr langen Belichtungszeiten, da sieht man das gar nicht“, verrät Thomas. Außerdem habe es durchaus Vorteile, dass man nicht alles vorhersehen könne: „Fehler und Zufälle sind meine besten Freunde“, schmunzelt der Künstler - denn oft sind sie es, die entscheiden Impulse für die künstlerische Umsetzung geben.


Klar zu erkennen: Das Brandenburger Tor ist nah am Original. Andere Bauwerke wirkt deutlicher fremder. (Bild: Kulturschnack)

Die Dias lässt er schließlich auf großformatigen Kontaktbögen belichten, so dass seine Bilder wirken wie ein Kaleidoskop, das all die touristischen Attraktionen vollkommen neu inszeniert - obgleich doch jedes einzelne Foto vergleichsweise profan entstand. Aber so ist es ja auch in anderen Genres der Kunst: Ein Pinselstrich allein ist ebenfalls noch kein Gemälde.



Steine im Schwebezustand


Profan ist aber eben nur die Entstehung der einzelnen Fotos, nicht der Prozess drumherum. Thomas hält sich nicht sklavisch an sein Verfahren, sondern weicht auch von ihm ab, sucht und findet neue Ansätze. So wirken die Gebäude auf seinen Bildern mal relativ natürlich, mal vollkommen verändert. Gemeinsam haben alle Werke aber, dass sie das Gesehene neu erfinden. „Dekonstruktivistisch trifft es wohl am besten“, wählt Thomas selbst eine Beschreibung für seine Arbeit. Der Begriff bedeutet: Etwas wird auseinandergenommen und neu zusammengesetzt. Und dadurch entstehen in diesem Fall neue Anblicke und Assoziationen auf das eigentlich Altbekannte.


Monumental: Thomas Kellner kann viele Geschichten erzählen - unter anderem über die Entstehung der raumfüllenden Aufnahme des Grand Canyon. (Bild: Kulturschnack)

Der Künstler bleibt trotz allem bescheiden. Ihm scheint bewusst zu sein, dass zwar sein Name auf den Plakaten prangt - dass im Grunde aber seine Methode der Star ist. Die Besucher:innen betrachten die Bilder von ganz weit weg und von ganz nah dran - fasziniert von der Wirkung dessen, was sie schon zu kennen glaubten. Denn obwohl Thomas nur die Realität abbildet und sie nicht etwa verfremdet, schaffen seine Dekonstruktionen neue Sehrerlebnisse.


Man muss ihm beinah dankbar sein dafür. Denn so atemberaubend viele Bauwerke in der Realität auch sind, ihre Abbildungen stehen heutzutage eher für gepflegte Langeweile. Sie noch einmal neu entdecken zu dürfen, ist eine ebenso überraschende wie imposante Erfahrung. Und das betrifft nicht nur Sehenswürdigkeiten aus den Metropolen dieser Erde. In der Ausstellung sind auch Kapellenschulen aus dem Siegerland zu finden - und sogar ein Bauwerk aus Oldenburg.


Aufgeräumt: Mit zurückhaltenden Farben und einer gelungenen Hängung gibt die Ausstellung den Bildern den nötigen Raum. (Bild: Kulturschnack)


Selbst eine Sehenswürdigkeit


Es ist erstaunlich. Als Thomas Kellner ab 1997 seine Methode der experimentellen Fotografie zu entwickeln begann, betrat er tatsächlich Neuland. Zwar gab es in der Malerei sein Vorbild Delaunay. Doch seine Art des Fotografierens war vollkommen neu.


Doch damit nicht genug. Nicht nur das Verfahren war eine Innovation, dasselbe galt auch für dessen Ergebnisse. Akropolis, Eiffelturm und Freiheitsstatue kannte auch zur Jahrtausendwende schon jeder; und manch eine:r hatte sich auch damals schon sattgesehen. Das änderte sich mit Thomas' Werken. Er bot allen - Einheimischen wie Tourist:innen - die Chance, die großen Attraktionen neu zu entdecken. Nun haben wir diese Gelegenheit auch in Oldenburg. Da kann es nur heißen: Hingehen und ansehen. Schließlich ist die Ausstellung auch selbst: eine Sehenswürdigkeit.



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