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WAS ICH ANHATTE...

Eine Ausstellung kann ihre Relevanz über die Hochwertigkeit und/oder Einzigartigkeit der präsentierten Kunstwerke erlangen. Manchmal sind es aber auch die Inhalte und Kontexte, die besonders bedeutungsvoll sind. Für die Ausstellung „Was ich anhatte...“ gilt letzteres: Sie thematisiert sexuelle Gewalt - und bringt uns den Taten ganz nah.


Kleidungsstücke: Einfach nur vernähter Stoff - oder doch viel mehr? (Bild: Shutterstock)

Es gibt Ausstellungen, die schätzt man, die genießt man, für die schwärmt man. Und es gibt andere Ausstellungen, bei denen visuelle Eindrücke eine kleinere Rolle spielen, für die man aber geradezu eine Dankbarkeit verspürt. Dafür, dass sich engagierte Menschen eines wichtigen Themas annehmen. Und dafür, dass sie es eindrücklich und einfühlsam umsetzen - und damit ein wichtiges Zeichen setzen.


Genau das trifft auf die Ausstellung „Was ich anhatte...“ zu. Sie wurde von der Dokumentarfilmerin Beatrix Wilmes und Celina Dolgner kuratiert und ist seit November 2020 als Wanderausstellung in ganz Deutschland zu sehen. Die Exponate haben es in sich: Zu sehen sind nämlich diejenigen Kleidungsstücke, die Opfer von sexuellen Übergriffen zum Tatzeitpunkt trugen. Näher kann uns das Geschehen kaum kommen. Der AStA der Carl von Ossietzky Universität hat „Was ich anhatte...“ nun nach Oldenburg geholt - und wir verraten euch hier, warum ihr die Ausstellung besuchen solltet.


 

WAS ICH ANHATTE AUSSTELLUNG ZU SEXUALISIERTER GEWALT


20. JANUAR BIS 2. FEBRUAR 2024

10-18 UHR


CVO-UNIVERSITÄT

BIBLIOTHEKSFOYER

26129 OLDENBURG


 

Vierzigtausend Einzelfälle?


Plötzlich war das Thema in aller Munde: Als am 2. September 2024 im französischen Avignon das Verfahren im „Fall Pelicot“ begann, war das mediale und gesellschaftliche Interesse enorm. Das lag einerseits an den unvorstellbaren Ausmaßen der Taten, die wir hier nicht näher beschreiben wollen. Das lag aber auch daran, dass das Opfer Gisèle Pelicot ihr Recht auf Anonymität nicht in Anspruch nahm und stattdessen selbstbewusst sagte: „Die Scham muss die Seite wechseln.“


Textile Einladungen? Die ausgestellten Kleidungsstücke widerlegen die Theorie, die Opfer könnten Handlungen provoziert haben. (Bild: ***)
Einladung zum Übergriff? Die ausgestellten Kleidungsstücke widerlegen die Theorie, die Opfer könnten Handlungen provoziert haben. (Bild: Beatrix Wilmes)

So unfassbar tragisch dieser Fall auch ist und so schmerzhaft die Beschäftigung mit ihm auch sein mag: Es war gut, dass er so viel Aufmerksamkeit erzeugt hat. Denn er rückte Vergewaltigungen und sexuelle Gewalt in die gesellschaftliche Mitte - und dort müssen sie hin, wenn wir ernsthaft etwas gegen sie unternehmen wollen.


Das Geschehen im Fall Pelicot spielte ich zwar in Frankreich ab, in Deutschland ist die Situation aber nicht vollkommen anders. Die polizeiliche Kriminalstatistik weist für das Jahr 2023 insgesamt 39.029 Fälle von sexueller Nötigung und Vergewaltigung aus. Dabei ist die Rollenverteilung eindeutig: Die Tatverdächtigen waren zu 97,8 Prozent männlich, die Opfer zu 91,9 Prozent weiblich. Oft geht es bei diesen Delikten um das rücksichtslose Ausleben eines Machtverhältnisses. Viele von ihnen passieren sogar in der vemeintlichen Sicherheit des eigenen Zuhauses.





No Victim Blaming


So fassungslos diese Zahlen auch machen: sie bleiben abstrakt, die Opfer bleiben anonym. Deshalb berühren sie uns viel zu wenig. Genau das macht den Fall Pelicot so wichtig: Er gab dem Unfassbaren ein Gesicht. Und aus demselben Grund ist auch die Ausstellung „Was ich anhatte...“ von Bedeutung. Denn sie findet einen Weg, das ferne Geschehen ganz nah an uns ranzuholen.


Mit seiner betonten Sachlichkeit verankert der Titel das Thema direkt in unserem Alltag. Mit Absicht: Es geht hier um tatsächliche Passiertes - und wir begegnen der Tat über die Kleidung der Opfer. Zu sehen sind jene Sachen, die sie zum Zeitpunkt des Übergriffs trugen. Man sieht Material und Muster, Fasern und Farben; fast wie morgens im eigenen Kleiderschrank. Und man erkennt: Nichts an ihnen ist aufreizend oder provokant. Ganz im Gegenteil, vieles ist praktisch, alltäglich, geradezu unschuldig. Schnell wird klar, wie absurd die ewige Legende ist, dass die Opfer von sexuellen Übergriffen diese durch ihre Kleidung selbst initiiert haben könnten („Victim Blaming“). Zumal es sowieso keinen Impuls geben kann, der übergriffiges Verhalten irgendwie rechtfertigen würde. Nein heißt Nein - unabhängig von allen Umständen.


DISKRIMINIERUNG AM ARBEITSPLATZ AUSSTELLUNG „WAS ICH ANHABE...“ Die Ausstellung „Was ich anhatte...“ blickt zurück auf geschehene Taten. Unabhängig davon gibt es aber weitere Anlässe, sich über unseren Umgang mit Kleidung Gedanken zu machen - wie eine eng verwandte Ausstellung zeigt.


Erschlagen: Die Frage, was man anzieht oder nicht, ist manchmal schwer genug. Durch Außenstehde wird alles noch komplizierter. (Bild: Shutterstock)

Unter dem Titel „Was ich anhabe...“ hat Beatrix Wilmes eine Folgeausstellung zum Thema Kleidung konzipiert. Hier geht es allerdings nicht um sexuelle Übergriffe, sondern um strukturelle Diskriminierung. In beruflichen Kontexten werden Frauen immer wieder benachteiligt, wenn sie sich weiblich kleiden. Nicht von ungefähr hat eine der erfolgreichsten Frauen der deutschen Nachkriegsgeschichte - Angela Merkel - sich dem Kleidungsstil der Herrenriege angeglichen. Auch „Was ich anhabe...“ ist eine einsichtsreiche Ausstellung, die in den Mittelpunkt rückt, was im Alltag gern übersehen wird oder unausgesprochen bleibt. Vielleicht findet sie ihren Weg ebenfalls nach Oldenburg. Immerhin ist unsere Universität - mit dem Institut für Materielle Kultur - für diese Themen geradezu prädestiniert.


Der AStA der Carl von Ossietzky Universität zeigt mit der Ausstellung ein gutes Gespür für ein wichtiges Thema - und zudem ein gutes Timing. Schließlich sind die Erinnerungen an den Fall Pelicot noch frisch: Der ideale Zeitpunkt, um sich bewusst zu machen, dass es ähnliche Fälle auch hierzulande gibt. Unterstützt wurde der AStA u.a. von einer Mach|Werk-Förderung des städtischen Kulturbüros, die nicht zuletzt das umfangreiche Rahmenprogramm ermöglicht hat:


  • 21. JANUAR, 14:30 UHR Begleitete Führung durch conTakt / Autonomes Frauenhaus

  • 23. JANUAR, 20 UHR Screening des Films „#FEMALE PLEASURE“ mit Regisseurinnen-Gespräch im Cine k

  • 28. JANUAR, 16 UHR Vortrag „Ich will kein Geld und keine Entschuldigung“ zu Sexualdelikten im Täter-Opfer-Ausgleich von Hilke Kenkel-Schwartz (Oldenburger Interventionsprojekt OLIP)

  • 29. JANUAR, 10 UHR Begleitete Führung durch das FemRef der Uni Oldenburg

  • 30. JANUAR, 13 UHR Lunchtalk mit Ann-Christin Gericks (Wildwasser Oldenburg). Fragen könnt ihr bis zum 27. Januar anonym über eine Box in der Aussellung einreichen.

  • 31. JANUAR, 15 UHR Begleitete Führung durch das FemRef der Uni Oldenburg



Großes Interesse: Die Ausstellung stieß medial auf viel Aufmerksamkeit - sie konnte wie hier in München aber auch viele Besucher:innen anlocken. (Bild: ***)
Großes Interesse: Die Ausstellung stieß medial auf viel Aufmerksamkeit - sie konnte wie hier in München aber auch viele Besucher:innen anlocken. (Bild: Wasichanhatte.de)

Intensität durch Nähe


Es gibt Ausstellungen, die ihre Besucher:innen visuell geradezu erschlagen. „Was ich anhatte...“ gehört eindeutig nicht zu dieser Kategorie. Es ist eine kleine, leise Ausstellung. Aber genau diese Eigenschaften machen sie stark, denn ihre überschaubaren Dimensionen ermöglichen, was für die intensive Auseinandersetzung unerlässlich ist: Nähe. Man kommt Opfern und Taten sogar so nah, dass es unbequem wird. Ein Nachteil? Ganz und gar nicht - denn genau das muss und will „Was ich anhatte...“ auch sein. Hier geht es nicht um Show, hier geht es um Sensibilität - für die Betroffenen, für das Thema aber auch für uns selbst. Denn wir alle haben es in der Hand, eine gesellschaftliche Atmosphäre zu schaffen, in der Übergriffe tatsächlich ein No-go sind.


Deshalb sind nicht nur alle Frauen aufgerufen, sich diese Ausstellung anzusehen, sondern auch - und gerade - die Männer. Sie können sich gar nicht genug mit diesem Thema beschäftigen, denn nur so kann die nötige Sensibilität entstehen. Unanbhängig vom Geschlecht dürften alle Gäste aber dasselbe spüren: Eine regelrechte Dankbarkeit, dass sich engagierte Menschen diesem wichtigen Thema angenommen haben - und dass dessen gelungene Umsetzung nun in Oldenburg zu sehen ist.

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