Definition einer Erfolgsgeschichte? Eine besonders positive Entwicklung. Oder: Die World Press Photo Ausstellung in Oldenburg. Von Beginn an erreichte sie Besucher:innenzahlen, von denen manche Metropolen nur träumen konnten. Wie konnte das gelingen? Und: Wie sorgt man dafür, dass dieses Interesse nicht irgendwann einschläft? Darüber - und über noch viel mehr - haben wir mit Initiator Claus Spitzer-Ewersmann gesprochen.
Von einer „Institution“ ist in der Regel dann die Rede, wenn sich etwas über viele Jahre - oder sogar Jahrzehnte - hinweg bewährt und die eigene Bedeutung immer wieder neu bestätigt hat. Dazu gehört zum Beispiel der World Press Photo Award, der bereits seit 1955 in Amsterdam verliehen wird.
Mit gerade einmal neun Jahren würde die World Press Photo Ausstellung in Oldenburg eher nicht zu dieser Kategorie zählen. Und dennoch wird dieser Begriff in diesem Zusammenhang ganz selbstverständlich verwendet und erntet keinen Widerspruch. Das ist nicht etwa eine Nachlässigkeit, sondern passiert aus gutem Grund. Denn so, wie die Ausstellung in Oldenburg kuratiert und inszeniert wird, war sie vom ersten Moment an genau das: eine Institution.
WORLD PRESS PHOTO EXHIBITION 2023
17. FEBRUAR - 10. MÄRZ 2024
DIENSTAG - SONNTAG
10 BIS 18 UHR
LANDESMUSEUM KUNST & KULTUR
26122 OLDENBURG
Authentizität, Relevanz, Ästhetik
Um einen solchen Status zur langen, ist zweifelsohne mehr nötig, als einfach nur jene Auswahl zu zeigen, die von der World Press Photo Foundation alljährlich auf eine einjährige Reise um den Globus geschickt wird. Diese „Copycat“-Variante der WPP war nichts, das Claus Spitzer-Ewersmann gereizt hätte. Der frühere Journalist und Blattmacher hatte zwar den Reiz erkannt, den die besten Pressefotos der Welt in sich tragen, weil sie Authentizität, Relevanz und Ästhetik vermischen wie kein anderes Medium. Bewusst war ihm jedoch gleichzeitig, dass man aus dem Thema viel mehr machen könnte als das bloße Aufhängen ausgezeichneter Bilder.
Schon mit dem Erscheinen des allerersten Programmhefts wurde deutlich, dass es in Oldenburg nicht „nur“ darum geht, Pressefotos zu zeigen. Das umfangreiche Rahmenprogramm setzte sie in einen Kontext, vertiefte die Themen, bot Hintergrundwissen, stellte Zusammenhänge her, gewährte Einblicke und sorgte für Begegnungen mit Fotograf:innen. Zu letzterem gehörte, dass es dem Mediavanti-Team stets gelang, die Preisträger:innen selbst nach Oldenburg zu holen und sie für einen Vortrag zu ihrem Siegerbild zu gewinnen. Bei den Beiträgen Mads Nissen, Warren Richardson, Francis Perez, Ronaldo Schemidt, John Moore oder Amber Bracken entstanden Momente, die bei den Anwesenden noch Jahre später Gänsehaut erzeugen sollten.
Mehr als eine Ausstellung
Aber auch die vielen anderen Punkte des Programms sorgten dafür, dass aus der WPP in Oldenburg nicht einfach nur eine weitere Ausstellung im Veranstaltungskalender wurde, sondern ein „Place to be“: Ein Ort, den man gesehen haben muss. Ob es die intime, nahbare Atmosphäre der Sonntags-Matineen in der Buchhandlung Isensee, der genial-kreative Spirit der Fotoslams im Polyester oder die vielen spannenden Vorträge von den talentierten Fotograf:innen aus dem In- und Ausland waren, eins hatten alle Veranstaltungen gemeinsam: Sie feierten das Foto und betonten seine Bedeutung für unsere Gesellschaft.
Zwar war der enorme Erfolg irgendwann Fluch und Segen zugleich, denn an Sonntagen musste man sich durch arg volle Gänge im Dachgeschoss des Oldenburger Schlosses schieben. Doch auch das trug letztlich zur Gesamterfahrung bei. Die WPP musste man einfach besucht haben, wenn man mitreden wollte - ganz so, wie es sich für eine Institution gehört.
In den nächsten Wochen steht die nächste World Press Photo Ausstellung in Oldenburg an. Sind inzwischen erste Abnutzungserscheinungen zu erkennen? Immerhin eilt die Schau nicht mehr von Rekord zu Rekord, die Zahl von 20.350 Besuchenden aus dem Jahr 2020 konnte in und nach der Corona-Zeit nicht mehr übertroffen werden. Warum das aber gar kein Problem ist, sondern sogar gewünscht, hat uns Claus Spitzer-Ewersmann im Interview verraten. Was er sonst noch zu sagen hatte? Eine Menge! Und weil es so interessant war, könnt ihr es hier ungekürzt nachlesen.
Claus, es ist die mittlerweile neunte World Press Photo Ausstellung in Oldenburg. Erzähl mal: Warum könnt ihr nicht genug davon kriegen?
Wir werden jedes Jahr gefragt, ob es jetzt vielleicht langweilig wird, oder ob das nicht alles nur noch Routine ist. Und ich sag dann immer: Nein, überhaupt nicht! Weil vieles natürlich davon abhängt, was für Bilder man hat, und welche Stimmung sie transportieren. Dieses Mal war der ganze Foto-Jahrgang sehr vom Krieg geprägt, das Siegerfoto stammt aus der Ukraine. Dann muss man natürlich überlegen: Wie geht man damit um? Denn das ist definitiv kein Bild, das man in der Werbung einsetzen kann. Da fallen uns die Radfahrer vom Rad, wenn sie das Plakat sehen! Aus Respekt vor den Toten und aus Wertschätzung der Angehörigen wird das also nicht passieren.
Von Business as usual kann also bereits beim Plakat keine Rede mehr sein?
Genau. Wir haben uns dann gesagt: Wenn es schon anders sein soll als sonst, dann auch konsequent. Deshalb gibt es dieses Jahr drei Plakatmotive statt nur eines. Damit wollen wir nicht zuletzt die Vielfalt der Bilder unterstreichen und betonen, dass es trotz allem nicht nur das Kriegsthema gibt, um das sich alles dreht.
Ihr hattet in der Regel den Fotograf:innen des Siegermotivs in Oldenburg zu Gast. Deren Auftritte bei der Vernissage und der Eröffnung sind vielen Menschen noch in allerbester Erinnerung. Wie verfahrt ihr dieses Mal?
Als Ehrengast wird Lee-Ann Olwage aus Südafrika hier sein, die Fotografin des Bildes auf unserem Programmheft. Das zeigt ein sogenanntes „Hexencamp“, in das Frauen kommen, die an Demenz leiden. Viele Menschen in Afrika können nicht gut damit umgehen, wenn betroffene Familienmitglieder sich plötzlich komisch benehmen und wirres Zeug reden, Dafür sind diese Camps errichtet worden. Das klingt jetzt nach einer Strafkolonie, aber das ist es gar nicht unbedingt. Viele Frauen sagen auch, dass sie dort Schutz und Zuflucht finden und gehen freiwillig rein.
Das ist natürlich eine ganz spannende Geschichte, weil es ins Bewusstsein rückt, dass Demenz ein weltweites Thema ist. Dem Foto sieht man die Schwere des Themas aber gar nicht an. Das Bild ist bunt, fast fröhlich - das fanden wir gut.
Das klingt nach einer guten Wahl. Und der Fotograf des eigentlichen Siegerbildes - Evgeniy Maloletka - kam tatsächlich gar nicht infrage?
Wir haben ihn in Amsterdam getroffen. Er ist kein Entertainer, spricht kein sehr gutes Englisch und sagt auch selber, dass er gar nicht weiß, ob er zu Ausstellungen kommen möchte. Für ihn stellen sich ja viele Fragen: Will ich gerade wirklich raus aus der Ukraine? Und wenn ich wiederkomme, kann ich überhaupt rein? Eigentlich könnte er uns nur zwei Tage vorher Bescheid sagen, ob er kommt oder nicht, Und da haben wir gesagt: Das geht so nicht. Da sind zu viele Punkte, die einfach nicht machbar sind.
Eines der drei wichtigsten Motive der Ausstellung hat sogar eine Verbindung nach Oldenburg. Was hat es damit auf sich?
Ja, tatsächlich, Das Motiv mit den drei Imkern stammt von Jonas Kakó. Jonas hatten wir im letzten Jahr bei einer Sonntagsmatinee zu Gast. Nur drei Wochen später haben wir erfahren, dass er die Regionalentscheidung für Nord- und Zentralamerika gewonnen hat - mit einem Bild von seinem Projekt über das Austrocknen des Colorado River. Ein 30-jähriger Foto-Student aus Hannover hat also diese ganzen nordamerikanischen Profis ausgestochen mit seiner Arbeit - das war schon ein dickes Ding,
Es macht uns natürlich auch ein bisschen stolz, dass wir bei der Auswahl unserer Gäste so ein gutes Händchen haben und wenn du dann merkst ‘Hey, der gewinnt so ein Ding, und wir haben ihn schon ein halbes Jahr vorher eingeladen.‘
Was ist das denn für ein Projekt von dem du sprichst? Es klingt, als wäre das längerfristig angelegt?
Jonas Kakó ist den ganzen Colorado River abgefahren, über zweitausend Kilometer. Und dabei hat er festgestellt, dass es wirklich nicht mehr viel Wasser gibt. Auf dem Bild sind drei Imker zu sehen, die Bienenvölker am Fluss immer wieder mit Wasser versorgen müssen - das ist schon verrückt! Bei den diesjährigen Matineen haben wir sogar ein ganz ähnliches Thema. Es sind nämlich die beiden österreichischen Fotografinnen Stella Meyer und Sarah Schneider dabei, die in Chile gelebt haben - in einem Dorf, das kein Trinkwasser hat. Die Trinkwasserversorgung wurde nämlich noch unter Pinochet privatisiert und das ist seitdem nicht reformiert worden. Die Bevölkerung muss jeden Liter kaufen.
Grundsätzlich plagen sich ja viele Leute mit der Schwere der Welt herum. Parallel gibt es die Vorstellung, dass bei der WPP eher belastende Bilder zu sehen sind. Kannst du das entkräften? Oder muss man einfach bereit sein, sich dem zu stellen, was gerade passiert in der Welt?
Ich glaube, man muss sich dem stellen. Zum einen, weil die Welt eben so ist. Wir können keine andere zeigen als die, die wir haben, Allerdings ist die Auswahl nicht so schwer, wie man befürchten könnte. Es sind zwar Kriegsbilder aus der Ukraine zu sehen, aber aus Südamerika schickt niemand diese Bilder und aus Afrika auch nicht. Das heißt, die Entscheidung der Foundation, den Wettbewerb in Regionalentscheidungen aufzuteilen, hat auch für eine Vielfalt an Themen - auch leichteren - gesorgt. Der Klimawandel spielt zwar logischerweise eine Rolle, aber anders als man erwarten würde. Das Projekt von Jonas ist ein Beispiel, ein anderes ist die Alpaqueros-Geschichte von Alessandro Cinque aus den Anden. Bei ihr würde man erstmal gar nicht darauf kommen, dass sie mit dem Klima zu tun hat, Die Bauern dort müssen ihre Tiere in Zukunft tausend Meter tiefer in Zukunft züchten, weil es weiter oben schlicht nicht mehr möglich ist.
Eine große Bandbreite zeichnet nicht nur die Themen der Fotos aus, sondern auch das Programm. Ihr gebt euch stets Mühe, das Thema Fotografieren in unterschiedlichen Kontexten zu zeigen. Die beliebten Matineen hast du schon erwähnt. Auf was dürfen wir uns noch freuen?
Die Ausstellung wird wie gewohnt im Schloss zu sehen sein. Als Ergänzung werden wir wieder eine Sonderschau von „The Everyday Projects“ zeigen, die es nirgendwo anders zu sehen gibt; dieses mal geht es um positive Beispiele im Umgang mit dem Klimawandel. Außerdem wird es ein Rahmenprogramm mit Vorträgen, Filmen, Workshops geben. Führungen wird es natürlich ebenfalls wieder geben, auch diejenige von Schüler:innen für Schüler:innen. Das ist ein richtiges Erfolgsmodell. Als wir im letzten Jahr beim Treffen der Ausrichterstädte in der Amsterdam waren, haben sich viele andere Städte danach erkundigt, wie das abläuft und wie man das umsetzen könnte - darunter zum Beispiel Barcelona. Das ist schon klasse.
Das ist auch etwas, was uns aus Amsterdam immer wieder gespiegelt wird: Dass wir um die Ausstellung herum viel probieren und damit letztlich auch eine Inspiration für andere Orte sind.
Theoretisch könnte ja jeder solche Ideen haben wie ihr, die meisten beschränken sich dann aber darauf, einfach die Bilder zu zeigen. Wie kam es eigentlich bei euch dazu, dass ihr gesagt habt: „Nein, das reicht uns nicht“?
Wir sind ja eigentlich gar keine Ausstellungsmacher. Das ist ja überhaupt nicht unser Business. Das heißt, wir haben zu dieser Ausstellung über den Inhalt gefunden: Pressefreiheit, Presse, Fotografie und so weiter. Und dann haben wir uns früh die Frage gestellt: Hängen wir jetzt einfach nur die Bilder an die Wand? Oder machen wir mehr zum Thema, um andere Leute dahin locken zu können? Das ist ein ganz entscheidender Punkt, dass wir Lust drauf haben, dieses ganze Themenfeld abzudecken.
Du hast lange als Journalist gearbeitet, bist ein leidenschaftlicher Erzähler. Spielt es eine Rolle, dass du eine redaktionelle Sicht auf die Dinge hast? Dass du also weißt, wie man Themen attraktiv aufbereiten kann?
Ich glaube ja. Es ist eine unserer Stärken, dass wir ein Gespür für Themen haben und auch Geschichten finden, die nicht so naheliegend sind. Ich habe ein Beispiel: Wir hatten letztes Jahr zum ersten Mal Führungen mit einer Gebärdensprachdolmetscherin, Dieses Jahr werden wir eine Führung mit einem Blinden-Sprachführer anbieten (17. Februar, 11:30 Uhr). Der sitzt sonst im Stadion vom VfL Wolfsburg und von Hannover 96 und macht dort quasi Radioreport für Blinde und erzählt, was da gerade im Spiel passiert
Das ist ein super Thema, um auch redaktionell was draus zu machen. Wie erkläre ich einem Blinden ein Bild? Sowas interessiert mich.
Und wie ist es bei den Vorträgen? Wir haben da schon ganz tolle Geschichten erlebt, etwa Kriegsreporter Christoph Bangert im Spielraum des Staatstheaters. Muss man sich noch sehr bemühen, das Publikum für so etwas zu begeistern? Oder ist die Nachfrage nach neun Jahren WPP einfach da?
Es ist sehr wechselhaft. In manchen Vorträgen saßen wir mit zwanzig Leuten - in anderen mit achtzig, neunzig und hätten sogar noch mehr haben können. Einen Termin habe ich noch genau vor Augen: 24. Februar 2022, Kriegsausbruch in der Ukraine. An dem Abend hatten wir hier mit Ursula Meissner Deutschlands renommierteste Krisen- und Kriegsfotografin zu Gast. Die saß genau an diesem Tag bei uns auf der Bühne. Wir hatten morgens erst 20 Karten verkauft, am Abend waren 125 Leute da. Dieser Zufall hat natürlich dafür gesorgt, dass das Interesse an dem Thema plötzlich viel größer war. Man kann sich vorstellen: Es war ein mulmiges Gespräch. Trotzdem war es eine große Bereicherung für alle. Niemand wusste so richtig Bescheid, was gerade passiert, aber Ursula Meissner konnte natürlich viele Dinge einordnen, weil sie entsprechende Erfahrungen schon gemacht hatte.
Kleine Ahnengalerie: Die WPP in Oldenburg kann bereits auf eine eigene Geschichte zurückblicken. (Plakate: Mediavanti)
In diesem Jahr haben wir Jonas Kakó noch einmal zu Gast. Sein Colorado River-Projekt stellt er im Schlosssaal vor. Wir haben einen Vortrag mit dem Fotografen Julius Schien, der die Orte rechtsradikaler Verbrechen in Deutschland fotografiert hat,
Damit zeigt er nicht zuletzt, wie nah uns das im Grunde ist und wie sehr es jeden betreffen kann, weil das gar keine spektakulären Orte sind, sondern der profane Alltag. Wir glauben, dass dieses Thema großen Zuspruch finden wird.
Das klingt tatsächlich so spannend, dass man sich die Tickets besser schnell besorgt. Das gilt so ähnlich aber auch für die fachlichen Veranstaltungen wie die Foto-Workshops. Die sind ja auch sehr beliebt ...
Seit dem letztem Jahr bieten wir zusammen mit der Volkshochschule Workshops an. Mit Jan Rikus Hillmann ist zum Beispiel der bekannteste, beste, renommierteste deutsche Fotograf zu Gast, der schon ganz viel mit KI macht. Das ist ein reiner Profiworkshop, der stößt auf großes Interesse. Kein Wunder eigentlich, immerhin könnte diese Entwicklung bedeuten, dass es in Zukunft keine Stock-Fotografie mehr gibt. Was soll ich in Archiven rumsuchen, wenn mir die KI ein Bild erstellen kann? Große Nachfrage gibt es aber auch nach den Workshops mit thematischem Fokus wie die Street Photography mit Dirk Marwede oder Reisefotografie mit Volker Kunkel.
WELCHES JAHR HABEN WIR DENN? Immer wieder entsteht leichte Verwirrung, um welchen Jahrgang es sich bei der jeweiligen World-Press-Photo-Ausstellung in Oldenburg handelt. Tatsächlich spielen gleich drei Jahre eine Rolle, obwohl die Fotos alle aus demselben Zeitraum stammen. Wir zeichnen die zeitliche Entwicklung nach. 2022 Fotograf:innen aus aller Welt schießen ihre Fotos an den Orten des Geschehens. Die gelungensten Ergebnisse reichen ihre Redaktionen, Kolleg:innen oder sie selbst bei der World Press Photo Foundation in Amsterdam ein, damit sie in die Auswahl zum Pressephoto des Jahres kommen. Insgesamt waren es diesmal über 60.000 Bilder von 3.752 Fotograf:innen aus 127 Ländern. 2023 Die Jurys verbringen die ersten Wochen des Jahres mit der Sichtung und Beurteilung der Einreichungen. In immer engeren Auswahlrunden werden dann die Pressebilder des Jahres festgelegt - inklusive des Gewinnerbildes. Obwohl die Bilder aus dem Jahr 2022 stammen, ist bei der Benennung das Jahr der Bekanntgabe ausschlaggebend. In diesem Fall also: World Press Photo 23. Im Anschluss daran wird eine Auswahl kuratiert, die dann weltweit auf Ausstellungtour geht. Diese läuft bis kurz vor der Bekanntgabe des Siegerbildes des Folgejahres, also etwa bis März. 2024 Die Tour der World Press Photo 23 kommt zum Ende des Ausstellungszyklus nach Oldenburg. Das ist aber nicht etwa der schlechteste Platz, sondern der beste. Denn alle, die die Ausstellung bis dahin verpasst hatten, kommen nun nach Oldenburg, um sie noch zu sehen. Zudem passt der Besuch perfekt in die noch kalte Jahreszeit. Die Zahlen bestätigen das eindrucksvoll. Und deshalb sieht man also im Jahr 2024 die Bilder, die im Jahr 2023 ausgewählt wurden, aber aus dem Jahr 2022 stammen. Alles klar? |
Bei der WPP haben wir also die Ausstellung, die Vorträge, die Workshops und noch mehr Rahmenprogramm. Glaubst du, dass man dadurch den Stellenwert der Fotografie und das Bewusstsein für ihre Präsenz im Alltag aufwertet?
Ich denke schon, dass unser Bewusstsein für die Bedeutung der Pressefreiheit und der Fotografie durch die Auseinandersetzung größer wird. Bestimmte Themen würden wir ja überhaupt nicht vor Augen kriegen, wenn vor Ort nicht Pressefotograf:innen unterwegs wären. Etwa die Geschichte mit der Umsiedlung der Alpakas in den Anden: Da wäre ich im Leben nicht draufgekommen, dass da ein Problem liegen könnte, Die Bilder sagen nun etwas anderes.
Wenn du an die Nachrichten aus aller Welt denkst: Was glaubst du, wie wichtig ist das Foto im Vergleich zu einer Meldung? Bilder emotionalisieren uns. Würden uns Nachrichten ohne sie ganz anders erreichen?
Sie würden uns weniger interessieren. Ein schlicht vorgelesener Tagesschau-Text oder eine Radiomeldung saust schon eher an mir vorbei, als wenn ich da plötzlich ein Bild vor Augen habe. Ob das gut oder nicht gut ist, ist vielleicht eine andere Frage. Vielleicht hast du von der Diskussion in Budapest gehört? In der Ausstellung gibt es nämlich Bilder von den Philippinen über ein Seniorenheim für queere Menschen. Völlig harmlose Bilder, einfach nur Porträts. In Budapest war es dann aber so, dass die Ausstellung für Menschen unter 18 Jahren gesperrt wurde und der Direktor des Nationalmuseums entlassen wurde, weil er das genehmigt hatte. Das zeigt dann natürlich schon nochmal, wie wichtig es ist, dass solche Themen angesprochen werden und gezeigt werden.
Mit der WPP steigt man zweifellos tief ein ins Weltgeschehen. Man sieht glücklicherweise leichtere Fotos, aber eben auch die schwere Kost. Gibt es eigentlich Besucher:innen, die damit nicht so gut klarkommen? Wie nimmst du Menschen wahr, die aus der Ausstellung kommen?
Dazu drei kleine Erlebnisse. Das erste: Es ist immer sehr spannend, Schüler:innen zu beobachten. Wenn die zu Beginn die Treppen hochkommen in ihrer Gruppe, dann ist alles lustig und sie denken: Ach, das wird schon ganz witzig sein, was wir hier zu sehen kriegen. Wenn die gleichen Schüler:innen wieder runtergehen, sind sie mäuschenstill. Da ist dann schon eine Betroffenheit zu spüren. Das zweite kleine Erlebnis: In fast jedem Jahr sind Leute zu uns an den Infotisch gekommen, die Tränen in den Augen hatten. Von bestimmten Bildern wurden sie vorher so sehr bewegt, dass sie damit nicht zurecht kamen. Das Interessante war, dass es sich dabei nicht immer um die ganz harten Kriegsbilder handelte, sondern auch mal um was Schönes. Man fühlt einfach sehr stark in der Ausstellung. Und das dritte Erlebnis war, dass wir vor bestimmten Fotos regelrechte Diskussionen oder sogar Auseinandersetzungen erlebt haben. In einem Jahr wurden Bilder aus dem syrischen Bürgerkrieg gezeigt - und da stand dann ein Anhänger einem absoluten Gegner gegenüber. Sie haben noch nicht aufeinander eingeschlagen, aber es war kurz davor. Und das sind natürlich schon sehr besondere Momente.
Das Tolle ist natürlich, dass so ein Haus wie das Landesmuseum tatsächlich als ein Ort des Austausches dienen kann - und zwar von Menschen, die vermutlich sonst überhaupt gar nicht miteinander ins Gespräch kommen. Alt und jung, reich und arm, links und rechts - oder zwei, die so ideologisch weit auseinander liegen wie gerade beschrieben.
Du hast vorhin schon erwähnt, dass die Künstliche Intelligenz für die Stockfotografie eine akute Bedrohung darstellt. Gibt es eigentlich eine Positionierung der World Press Photo Foundation dazu? Schließlich könnte man ja auch ein dramatisches Pressebild von der KI erzeugen lassen.
Es gab tatsächlich eine Auseinandersetzung darüber. Wir haben jetzt vier Wettbewerbskategorien: Single, Story, Long Term Project und das Open Format. Zu letzterer gab es im Vorfeld zum neuen Wettbewerb, die Information, dass auch KI-modifizierte Bilder eingereicht werden dürfen. Daraufhin gab es einen Sturm der Entrüstung von tausenden Fotograf:innen, unter ihnen auch die Gewinner:innen der letzten Jahre. Die Foundation hat dann eingelenkt und festgestellt: Nein, KI ist bei uns kein Thema, denn es geht um Fotos, nicht um Bilder. Das ist ist ihre Unterscheidung. Sie werden auch in diesem Jahr - wie in allen Jahren vorher auch - die Siegerfotos nochmal untersuchen lassen, ob da irgendwas gemacht wurde oder nicht.
Dass sie KI zunächst zugelassen haben, war vielleicht auch ein Akt der Unbeholfenheit: Wie gehen wir jetzt mit diesem Thema um? Wir wollen ja auch nicht von gestern sein.
Ihr habt ja immer unfassbar gute Besucherzahlen gehabt. Ist euch das heute noch wichtig? Oder habt ihr jetzt einfach ein Standing erarbeitet, bei dem ihr auf die Zahlen nicht mehr schauen müsst und die qualitativen Rückmeldungen wichtiger sind?
Beides. Wir sind ja tatsächlich ein bisschen verwöhnt von den Besucherzahlen. Der Rekord mit 20.350 im Jahr 2020 war natürlich Wahnsinn! Ich bin mir aber sicher, dass ich da nicht wieder hin möchte. Die Bewältigung dieser Massen gab die Räumlichkeit irgendwann einfach nicht mehr her. Das ist schon eine Art von „Overtourism“ gewesen. Es gab Situationen an Sonntagen, da stand man nicht mehr in der zweiten oder dritten, sondern in der fünften oder sechsten Reihe vor einem Bild. Was sieht man dann noch? Ich wäre froh, wenn wir uns wieder bei, 15.000 bis 17.000 einpendeln, das wäre völlig okay,
Gibt es nach all den Jahren eigentlich noch etwas, worauf du dich vorab wirklich freust? Sei es ein Ehrengast oder ein bestimmtes Veranstaltungselement?
Meine Freude an der Sache hat immer ganz viel mit den Bildern zu tun. Wenn irgendwann die Sieger:innen aus den sechs Regionen feststehen, dann macht bei uns im Team ein kleines „Wettbüro“ auf: Wer gewinnt jetzt wohl? Und dabei spielen natürlich viele Aspekte eine Rolle.
Was ist das schönste Bild? Und was ist das politisch relevanteste Bild? Was passt in diese Sieger-Reihe vielleicht rein, weil es eine eigene Bildsprache hat? Ab diesem Punkt wird's schon ein bisschen aufregend - und dann wundert man sich am Ende, wer schließlich gewonnen hat.
Dieses Jahr hätten wir zwar erwartet, dass ein Ukrainebild gewinnt, weil es einfach das relevanteste Thema war - aber wir hatten nicht mit dem Bild gerechnet, das letztlich gewonnen hat. Wobei das „relevanteste Thema“ auch so eine Sache ist. Die Australier:innen sagen vielleicht: „Was interessiert uns der Krieg in der Ukraine? Bei uns um die Ecke in Westpapua tobt seit Jahrzehnten ein Bürgerkrieg, das kümmert niemanden!“
Was mir persönlich am meisten Spaß macht, ist die Zeit ab August, wenn wir anfangen, unser Rahmenprogramm zusammenzustellen. Man schaut dann zum Beispiel, wen man für die Matineen einladen könnte: Wer hat sich in den letzten Monaten profiliert mit einem spannenden Thema? Wo finde ich ein Foto-Talent, bei dem man anhand weniger Arbeiten merkt, das es was werden könnte?
Zum Abschluss noch eine grundsätzliche Frage: Die World Press Photo Foundation gibt für die Ausstellungen ja die Bildauswahl und die Art der Präsentation vor. Gibt es eigentlich irgendwas, was dich daran stört oder was du gerne mal ganz anders hättest, aber nicht beeinflussen kannst?
Also, das wir uns nicht missverstehen: Ich finde die Entscheidung, von diesen alten Kategorien auf den Regionalwettbewerb zu wechseln, vollkommen richtig, weil das die Augen für Regionen öffnet, die sonst eher nicht vorkommen. Ich glaube aber, dass wir von den alten Kategorien ein, zwei, drei mit hätten rüberretten sollen. Also, sagen wir mal, das beste Naturfoto oder das beste Sportfoto aus Asien, Afrika und Australien und so weiter. Das ist leider ein bisschen unter den Tisch gefallen, und das hören wir auch oft von Besuchenden. Aber es ist ja erst das dritte Mal mit der neuen Systematik. Man kann so früh noch gar nicht sagen, ob das geglückt ist oder nicht. Aber irgendwann müsste man mal eine Zwischenbilanz ziehen und gucken, wie sich das entwickelt hat. Und dann gibt es vielleicht eine Mischform aus beidem? Das fände ich auf jeden Fall sympathisch.
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